MESSNETZ WELTWEIT EINZIGARTIG
Wenn die NASA in Feldbach nach dem Wetter fragt

DOSSIER. Es ist ein Aushängeschild der Universität Graz, hilft dabei, den Klimawandel besser zu verstehen, liefert Daten für internationale Forschungsprojekte – und steht in der Region Feldbach. Das Messnetzwerk WegenerNet nimmt das Wetter in weltweit einzigartiger Genauigkeit unter die Lupe. Eine Spurensuche in der Südoststeiermark.
Von Jonas Binder, Julia Schuster, Jonas Rettenegger und Fatima Al Masodi
Wegener – was? WegenerNet! Nie gehört? Damit sind Sie nicht alleine – selbst wenn Ihnen der Begriff geläufig sein sollte, bleibt die Tragweite des Wissenschaftsprojekts vielen wohl verborgen. Doch benannt nach dem in Graz wirkenden Geophysiker Alfred Wegener († 1930), wird seit 2007 in und um Feldbach Klimaforschung von globaler Bedeutung betrieben – mit einer Vielzahl von Wetterstationen. So wurden die südoststeirischen Daten auch schon zur Kalibrierung von Wettersatelliten der Weltraumorganisationen ESA oder NASA verwendet. Doch was macht das WegenerNet so besonders?




Blicken wir auf den am Fluss Raab gelegenen Bezirk Südoststeiermark, konkret auf die neun Gemeinden Feldbach, Bad Gleichenberg, Edelsbach, Fehring, Gnas, Kapfenstein, Kirchberg, Paldau und Riegersburg.
An zwei Orten sind zudem Spezialinstrumente installiert, die die Atmosphäre über der Region bis in zehn Kilometer Höhe vermessen: ein Wetterradar auf dem Stradner Kogel (St. Anna am Aigen) sowie zwei Radiometer (Infrarot- und Mikrowellensensoren) in Saaz (Paldau). Doch dazu später mehr.
Gottfried Kirchengast gründete 2005 das Wegener Center und initiierte federführend das WegenerNet.
Gottfried Kirchengast gründete 2005 das Wegener Center und initiierte federführend das WegenerNet.
Bevor das WegenerNet 2007 in der Südoststeiermark in Betrieb ging, gab es nicht nur in Österreich oder Europa kein derartig dichtes Stationsnetz: „Weltweit hat die genaue örtliche und zeitliche Vermessung von Wetter-Klima-Extremen gefehlt“, erklärt Gottfried Kirchengast, Gründer und heute stellvertretender Leiter des Wegener Centers für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz – und selbst gebürtiger Feldbacher.
Das einzigartige Forschungsprojekt wurde nicht ohne Grund im südöstlichen Alpenvorland aufgebaut: „Im Übergangsbereich vom mediterranen Klima zum alpinen Klima sind die Wetterschwankungen sehr, sehr reichhaltig. Man kommt durch die unterschiedlichsten Wettersituationen“, weiß Kirchengast.
Seit fast 20 Jahren werden Daten erhoben, mehr als 80 Jahre soll das Projekt zumindest noch laufen, wünscht sich Kirchengast. Auch die langfristige Ausrichtung unterscheidet das Feldbacher Feldexperiment von anderen nationalen und internationalen Projekten – und sei in der Klimaforschung essenziell, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Das funktioniere aber nur mit entsprechender regionaler Verankerung, meint der Klimaforscher.
Ohne die Zusammenarbeit mit der Region würde es dieses langfristige Feldexperiment mit 150 Stationen – das heißt auch, 150 Grundbesitzer spielen mit – nicht geben.
Bevor das WegenerNet 2007 in der Südoststeiermark in Betrieb ging, gab es nicht nur in Österreich oder Europa kein derartig dichtes Stationsnetz: „Weltweit hat die genaue örtliche und zeitliche Vermessung von Wetter-Klima-Extremen gefehlt“, erklärt Gottfried Kirchengast, Gründer und heute stellvertretender Leiter des Wegener Centers für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz – und selbst gebürtiger Feldbacher.
Das einzigartige Forschungsprojekt wurde nicht ohne Grund im südöstlichen Alpenvorland aufgebaut: „Im Übergangsbereich vom mediterranen Klima zum alpinen Klima sind die Wetterschwankungen sehr, sehr reichhaltig. Man kommt durch die unterschiedlichsten Wettersituationen“, weiß Kirchengast.
Gottfried Kirchengast gründete 2005 das Wegener Center und initiierte federführend das WegenerNet.
Gottfried Kirchengast gründete 2005 das Wegener Center und initiierte federführend das WegenerNet.
Seit fast 20 Jahren werden Daten erhoben, mehr als 80 Jahre soll das Projekt zumindest noch laufen, wünscht sich Kirchengast. Auch die langfristige Ausrichtung unterscheidet das Feldbacher Feldexperiment von anderen nationalen und internationalen Projekten – und sei in der Klimaforschung essenziell, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Das funktioniere aber nur mit entsprechender regionaler Verankerung, meint der Klimaforscher.
Ohne die Zusammenarbeit mit der Region würde es dieses langfristige Feldexperiment mit 150 Stationen – das heißt auch, 150 Grundbesitzer spielen mit – nicht geben.
Sensor für Temperatur und Luftfeuchtigkeit an einer der Wetterstationen.
Sensor für Temperatur und Luftfeuchtigkeit an einer der Wetterstationen.
Die Forschenden des Wegener Centers mit einem der Regenmesser.
Die Forschenden des Wegener Centers mit einem der Regenmesser.
Die Wetterstationen werden regelmäßig gewartet.
Die Wetterstationen werden regelmäßig gewartet.
Wetterstation mit Spezialinstrumenten auf dem Dach des Unternehmens Niceshops in Saaz.
Wetterstation mit Spezialinstrumenten auf dem Dach des Unternehmens Niceshops in Saaz.
Man wollte deshalb bereits in der Konzeption des Projekts bewusst einen Nutzen für die Region schaffen, weshalb die Daten der Stationen öffentlich zugänglich sind. „Manche Landwirte haben in ihren eigenen Obstgärten kleine Wetterstationen und nutzen unsere nächste Station, um die Genauigkeit zu überprüfen. Sie machen ihre eigenen Vorhersagen“, erklärt Jürgen Fuchsberger, Datenspezialist des WegenerNet.
Aber auch die Besitzer der Grundstücke, auf denen die Stationen stehen, greifen auf die Daten zu – manche mehr, manche weniger. Was aber fast alle interessiere, sei, woran genau geforscht und was aufgezeichnet wird, schildert Fuchsberger Erfahrungen der beiden Feldwarte, die für das Wegener Center etwa die Flächen rund um die Wetterstationen mähen oder Regenmesser auf Verstopfungen überprüfen.
Thomas Friesinger aus Mühldorf stellt seinen Grund für eine der 156 Wetterstationen zur Verfügung.
Thomas Friesinger aus Mühldorf stellt seinen Grund für eine der 156 Wetterstationen zur Verfügung.
„Ich habe hauptsächlich Kontakt zu den Warten“, berichtet Thomas Friesinger. Auf seinem Grund in Mühldorf (Gemeinde Feldbach) steht die Station 77, hin und wieder rufe er ihre Daten im Internetportal ab. „Eigentlich war mein Onkel da dahinter, er hat die Fläche zur Verfügung gestellt. Ich habe den Grund von ihm geerbt“, erzählt Friesinger beim Lokalaugenschein der Kleinen Zeitung. Genauer auseinandergesetzt habe er sich mit der Forschung allerdings noch nicht.

Klimawandel im Großen und Kleinen
Doch woran arbeiten die Wissenschaftler nun, was passiert mit den Unmengen an Daten? „Das Haupt-Forschungsthema ist die große Frage: Wie ändern sich Wetter und Wetterextreme mit dem Klimawandel?“, bringt es Kirchengast auf den Punkt.
Die Forschenden erstellen mithilfe der im Projekt gewonnenen Messwerte sowie weiterer Daten Modelle, die zur Vorhersage von Klimaveränderungen und Wetter auch anderorts genutzt werden können. Um mehr über Systematiken des Wetters zu lernen, werden die Daten des WegenerNet mit jenen für andere Regionen abgeglichen. Solche Daten liefert beispielsweise das kleine Schwesternetz des WegenerNet im Gesäuse (Bezirk Liezen) mit insgesamt 19 Stationen.
Letztlich geht es um die Generalisierbarkeit von Ergebnissen, den Übertrag vom Kleinen ins Große. Dieser Datenschatz kann vielfältig genutzt werden. Hier sehen Sie einen Überblick über verschiedene Anwendungsfälle, nähere Informationen können per Klick ausgeklappt werden.
Und umgekehrt, vom Großen ins Kleine: Was verraten die Daten über die Klimawandel-Auswirkungen auf die Region Feldbach? Insbesondere im Sommer (Juni, Juli, August) hat die Lufttemperatur deutlich zugenommen – im Vergleich zur Periode 1961 bis 1990 bereits um rund drei Grad Celsius (°C). Damit liegt man aber ähnlich wie die Erwärmung in Österreich insgesamt.
Durch das dichte Messnetz des WegenerNet kann die Erwärmung in der Region sehr feingliedrig als Gitter mit einer Auflösung von 100 mal 100 Metern dargestellt werden. Zu sehen ist nachfolgend die Abweichung der Jahrestemperatur gegenüber dem Mittelwert der Jahre 1961 bis 1990.
Da das Stationsnetz erst seit 2007 in Betrieb ist, wurden die Werte der Periode 1961 bis 1990 für die einzelnen Gitterzellen aus gröber aufgelösten, räumlichen Daten der Geosphere Austria modelliert.

Erwärmung der
Region Feldbach
Selbst die kühlsten Jahre der Messreihe sind allerorts wärmer als der Schnitt 1961 bis 1990. Vor allem die jüngsten Jahre sind deutlich zu warm.
Auch wenn die Temperaturzunahme in der Region Feldbach und Österreich insgesamt ähnlich ausgeprägt ist, gibt es hinsichtlich einzelner Hitzeereignisse dennoch Unterschiede: So habe etwa die Dauer von Hitzeereignissen in Österreichs Tiefland in den vergangenen Jahren im Schnitt um 50 Prozent (gegenüber 1961 bis 1990) zugenommen, in der Region Feldbach aber um 110 Prozent, rechnet Fuchsberger vor. Noch markanter zugelegt hat jedoch die Häufigkeit solcher Ereignisse – um 70 Prozent in Österreich, um 220 Prozent (!) in der Feldbachregion.
Jürgen Fuchsberger ist Datenspezialist beim WegenerNet.
Jürgen Fuchsberger ist Datenspezialist beim WegenerNet.
Allgemein verstärken sich Extreme durch den Klimawandel. „Wir haben das gemäßigte Klima im klassischen Sinn verloren“, hält Kirchengast fest. Pro Grad Erwärmung kann die Luft etwa sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen – der bei kurzfristigen Extremniederschlägen demnach auch umso stärker abregnet. „Trocken wird trockener und nass wird nasser“, bringt es Kirchengast auf den Punkt. „Ich habe zum Beispiel längerzeitig ausgeprägte Hitze- oder Trockenwellen. Dann habe ich auch stärker als früher diese kurzfristigen, sehr extremen Niederschläge“, erläutert der Klimaforscher.
Wie Untersuchungen zeigen, nimmt die Verdunstung in Österreich zu, während Flüsse im Südosten des Landes zunehmend weniger Wasser führen. So gebe es auch für das Raabtal eine „klare Tendenz zu mehr Trockenheit“ und auch Hinweise „auf eine klare Zunahme“ der extremen Niederschläge in Südostösterreich und österreichweit, führt Kirchengast aus.
Inwieweit Extremniederschläge ganz konkret in und um Feldbach zugenommen haben, können die Forschenden aber auf Basis der Detaildaten (noch) nicht gesichert sagen, schränkt Fuchsberger ein. Das Problem: Es fehlt an robusten, kleinräumigen Vergleichswerten – schließlich gab es diese vor dem Projektstart des WegenerNet schlicht und ergreifend noch nicht. Hier trage das langfristig ausgerichtete Messnetz daf´ür „in Zukunft aber entscheidend zu wertvollen weiteren Daten“ bei. Auch zur Entwicklung der Trockenheit könne man indes für die Kleinregion „noch keine signifikante Aussage treffen.“
Wetterstation in Mühldorf.
Wetterstation in Mühldorf.
Ein Teil des WegenerNet-Projektteams mit Niederschlagsmessern.
Ein Teil des WegenerNet-Projektteams mit Niederschlagsmessern.
Der Regenmesser von Innen.
Der Regenmesser von Innen.
Messtechniker Christoph Bichler überprüft die Sensoren.
Messtechniker Christoph Bichler überprüft die Sensoren.
Wetterstation Nummer 77 in Mühldorf.
Wetterstation Nummer 77 in Mühldorf.
Daten für Feld und Garten
Trockenheit und Starkregenereignisse, aber auch das aktuelle Wetter treiben in der Südoststeiermark nicht zuletzt die Landwirte um. „Gerade, weil das Wetter regional so unterschiedlich ist, sind die Stationen super. Manchmal hat es bei mir daheim total geschüttet und ein paar Kilometer weiter war gar nichts. Dann fange ich halt dort mit dem Mähen an und warte mit anderen Flächen“, sagt Florian Trummer (Foto).
Der Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer aus Axbach (Gemeinde Paldau) ist einer jener Bauern, die das WegenerNet nutzen. Station Nummer 54 steht direkt neben seinem Grund und ist seine erste Anlaufstelle, um zu überprüfen, was der Tag oder die Nacht so gebracht haben. „Ich habe mir die Station als Lesezeichen im Browser markiert und kann so ganz einfach nachschauen, wie kalt etwa der Boden ist. Das ist wichtig, um zu wissen, ob ich gewisse Kulturen schon ansetzen kann“, erklärt Trummer.
Gerade, weil das Wetter regional so unterschiedlich ist, sind die Stationen super.
Durch die vielen Grünflächen, die er bewirtschaftet, hat er ein besonders feines Gespür für die Dauer von Wetterperioden und die raschen Umbrüche, die passieren können: „Für das Heu muss es ein paar Tage durchgehend schön sein. Ich habe das Gefühl, dass das seltener wird.“
Als praktischer Nutzer der WegenerNet-Daten bezeichnet er sich als Pionier. Denn viele würden die Stationen zwar kennen, wüssten aber nicht, was genau dahinter steckt und dass die Daten frei verfügbar sind. „Ältere fragen, wie kompliziert das Nutzen der Daten ist und wie das technisch funktioniert. Da helfe ich gerne“, schildert Trummer, der neben dem WegenerNet fünf verschiedene Wetter-Apps am Handy nutzt: „Ich bilde mir daraus einen groben Mittelwert.“

Dreidimensionales Wetterlabor
Zu verstehen, wie sich Starkregen zeitlich, strukturell und räumlich verhält, ist eines der Ziele der Forschenden. „Wir haben nicht nur eine Wassermessstation und wissen, dass es viel geregnet hat“, sagt Stephanie Haas, die als Doktorandin am Wegener Center zu Extremwettereignissen forscht. Vielmehr könne man mit dem WegenerNet präzise erfassen, wann es wo viel Niederschlag gibt – und ob es sich um Regen, Hagel oder Schneefall handelt. Mit ihrem „3D-Freiluftlabor“ erhalten die Forschenden bessere Einblicke, wie sich Extremniederschläge entwickeln, wo sie entstehen und hinwandern und wie sie sich am Boden auswirken.
Dafür kommen auch die 2020 installierten Spezialinstrumente zum Einsatz: das Wetterradar am Stradner Kogel und zwei sogenannte Radiometer auf dem Dach des Unternehmens Niceshops in Saaz. Die Stationen vermessen mithilfe von Infrarot- und Mikrowellen die Atmosphäre über der Region – genauer gesagt die für das Wetter relevanten unteren zehn Kilometer, die sogenannte Troposphäre. Zudem kommen sechs GPS-Antennen zum Einsatz, um so tags und nachts, ob bei Sonnenschein oder Starkregen, Daten zur Beschaffenheit der Wolken, zur Art und Stärke des Niederschlags, aber auch zur Temperaturschichtung und Wasserdampfmenge der Atmosphäre zu erhalten.
Das Wetterradar ist am Sendemast auf dem Stradner Kogel angebracht.
Das Wetterradar ist am Sendemast auf dem Stradner Kogel angebracht.
Im Zusammenspiel mit den gewöhnlichen Wetterstationen auf unterschiedlicher Seehöhe geben die digitalen „Augen“ auch Aufschluss über Phänomene wie Hitzeglocken, Nebel oder Smog und zeigen, wie gut der Luftaustausch zwischen den Schichten funktioniert, so Kirchengast.
Wolkenstruktur-Radiometer (links) und GPS-Antenne (rechts).
Wolkenstruktur-Radiometer (links) und GPS-Antenne (rechts).
Doktorandin Stephanie Haas beschäftigt sich am Wegener Center mit Niederschlagsextremen.
Doktorandin Stephanie Haas beschäftigt sich am Wegener Center mit Niederschlagsextremen.
Das Troposphärenprofil-Radiometer arbeitet mit Mikrowellen und Infrarotwellen.
Das Troposphärenprofil-Radiometer arbeitet mit Mikrowellen und Infrarotwellen.
Die Forschung zeige, dass Gewittertürme infolge der Klimaerwärmung höher werden. Bei höher in die Atmosphäre reichenden Wasserdampfsäulen nehmen wiederum Durchmesser und auch Zuggeschwindigkeit von Gewittersystemen ab. Das verkleinert zwar die betroffene Fläche, dafür regne es punktuell stärker, was Hangrutschungen, Muren und Überschwemmungen begünstige, erläutern die Forschenden. Kirchengast: „Wenn das verfügbare Wasser sich auf eine 20 Prozent kleinere Fläche ausregnet und das gleichzeitig dort doppelt so lange steht, dann habe ich allein aus dem Grund statt zum Beispiel 20 Millimeter Niederschlag 50 Millimeter Niederschlag in diese Fläche.“
Keinen kurzfristigen Sturzregen, sondern große Regenmengen über mehrere Tage hinweg brachte das erste Augustwochenende 2023. Ein Ereignis, das sich in vielen Köpfen tief eingebrannt haben dürfte: Die Bezirke Südoststeiermark und Leibnitz wurden zum Katastrophengebiet erklärt. Die Politik rief dazu auf, zu Hause zu bleiben. Hunderte Rutschungen, Murenabgänge, übergetretene Bäche sowie überflutete Straßen forderten die Einsatzkräfte. Häuser wurden komplett zerstört.
Dreidimensionales Wetterlabor
Zu verstehen, wie sich Starkregen zeitlich, strukturell und räumlich verhält, ist eines der Ziele der Forschenden. „Wir haben nicht nur eine Wassermessstation und wissen, dass es viel geregnet hat“, sagt Stephanie Haas, die als Doktorandin am Wegener Center zu Extremwettereignissen forscht. Vielmehr könne man mit dem WegenerNet präzise erfassen, wann es wo viel Niederschlag gibt – und ob es sich um Regen, Hagel oder Schneefall handelt. Mit ihrem „3D-Freiluftlabor“ erhalten die Forschenden bessere Einblicke, wie sich Extremniederschläge entwickeln, wo sie entstehen und hinwandern und wie sie sich am Boden auswirken.
Doktorandin Stephanie Haas beschäftigt sich am Wegener Center mit Niederschlagsextremen.
Doktorandin Stephanie Haas beschäftigt sich am Wegener Center mit Niederschlagsextremen.
Dafür kommen auch die 2020 installierten Spezialinstrumente zum Einsatz: das Wetterradar am Stradner Kogel und zwei sogenannte Radiometer auf dem Dach des Unternehmens Niceshops in Saaz. Die Stationen vermessen mithilfe von Infrarot- und Mikrowellen die Atmosphäre über der Region – genauer gesagt die für das Wetter relevanten unteren zehn Kilometer, die sogenannte Troposphäre. Zudem kommen sechs GPS-Antennen zum Einsatz, um so tags und nachts, ob bei Sonnenschein oder Starkregen, Daten zur Beschaffenheit der Wolken, zur Art und Stärke des Niederschlags, aber auch zur Temperaturschichtung und Wasserdampfmenge der Atmosphäre zu erhalten.
Das Wetterradar ist am Sendemast auf dem Stradner Kogel angebracht.
Das Wetterradar ist am Sendemast auf dem Stradner Kogel angebracht.
Im Zusammenspiel mit den gewöhnlichen Wetterstationen auf unterschiedlicher Seehöhe geben die digitalen „Augen“ auch Aufschluss über Phänomene wie Hitzeglocken, Nebel oder Smog und zeigen, wie gut der Luftaustausch zwischen den Schichten funktioniert, so Kirchengast.
Wolkenstruktur-Radiometer (links) und GPS-Antenne (rechts).
Wolkenstruktur-Radiometer (links) und GPS-Antenne (rechts).
Das Troposphärenprofil-Radiometer arbeitet mit Mikrowellen und Infrarotwellen.
Das Troposphärenprofil-Radiometer arbeitet mit Mikrowellen und Infrarotwellen.
Die Forschung zeige, dass Gewittertürme infolge der Klimaerwärmung höher werden. Bei höher in die Atmosphäre reichenden Wasserdampfsäulen nehmen wiederum Durchmesser und auch Zuggeschwindigkeit von Gewittersystemen ab. Das verkleinert zwar die betroffene Fläche, dafür regne es punktuell stärker, was Hangrutschungen, Muren und Überschwemmungen begünstige, erläutern die Forschenden. Kirchengast: „Wenn das verfügbare Wasser sich auf eine 20 Prozent kleinere Fläche ausregnet und das gleichzeitig dort doppelt so lange steht, dann habe ich allein aus dem Grund statt zum Beispiel 20 Millimeter Niederschlag 50 Millimeter Niederschlag in diese Fläche.“
Keinen kurzfristigen Sturzregen, sondern große Regenmengen über mehrere Tage hinweg brachte das erste Augustwochenende 2023. Ein Ereignis, das sich in vielen Köpfen tief eingebrannt haben dürfte: Die Bezirke Südoststeiermark und Leibnitz wurden zum Katastrophengebiet erklärt. Die Politik rief dazu auf, zu Hause zu bleiben. Hunderte Rutschungen, Murenabgänge, übergetretene Bäche sowie überflutete Straßen forderten die Einsatzkräfte. Häuser wurden komplett zerstört.










Von Donnerstagabend, 3. August, bis Montag, 7. August 2023, wurden in der Region Feldbach bis zu knapp 130 Millimeter (mm) Niederschlag pro Quadratmeter gemessen. Dabei regnete es mehr als in einem ganzen durchschnittlichen August, weiß Andreas Kvas. Der WegenerNet-Datenspezialist hat das Niederschlagsereignis gemeinsam mit Kollege Fuchsberger ausgewertet.
Scrollen Sie weiter, um zu sehen, wie viel es an diesen Augusttagen in Summe regnete.
3. August 2023, 21 Uhr
In den Abendstunden des 3. August beginnt es in der Region zu regnen. Entlang der Achse Gnas–Feldbach–Fehring wird bald die Schwelle von 20 mm Gesamtniederschlag überschritten.
4. August 2023, 0 Uhr
Der Niederschlag intensiviert sich in den Nachtstunden, bis Mitternacht hat es entlang dieser Achse stellenweise schon 40 mm und mehr geregnet.
4. August 2023, 2 Uhr
Es regnet weiter, in großen Teilen der Region Feldbach sind es mittlerweile über 40 mm, mancherorts sogar über 60 mm Niederschlag. Gut zu sehen ist das Eintreffen des Niederschlags aus südwestlicher Richtung – in Kärnten und der südlichen bzw. südwestlichen Steiermark fällt der Starkregen noch stärker aus.
4. August 2023, 6 Uhr
Auch in Fehring oder Feldbach hat es mittlerweile flächendeckend mehr als 60 mm geregnet.
4. August 2023, 12 Uhr
Im Laufe des Freitagvormittags wird die Niederschlagssumme von 80 mm überschritten, bis Mittag dann sogar die 90-mm-Schwelle. Besonders Gnas ist ein Hochwasser-Hotspot. Im ehemaligen Bezirk Radkersburg sind mittlerweile alle Feuerwehren im Einsatz, im Altbezirk Feldbach ebenso der Großteil.
5. August 2023, 0 Uhr
Bis Mitternacht weiten sich die Gebiete mit mehr als 80 mm Niederschlag aus. In Jagerberg regnete es schon mehr als 100 mm. Rückhaltebecken laufen voll, Landesstraßen müssen gesperrt werden.
5. August 2023, 6 Uhr
Stand Samstagfrüh hat es auch in Teilen der Gemeinden Fehring, Feldbach und Riegersburg mehr als 100 mm geregnet.
5. August 2023, 18 Uhr
Bis zum Abend regnet es, über den Tag verteilt, weiter, in Teilen von Schwarzautal und Jagerberg ist schon am Vormittag die Schwelle von 120 mm Niederschlag durchbrochen worden.
6. August 2023, 12 Uhr
Nennenswerte Regenmengen kommen in der Region noch bis Sonntagmittag dazu. Auch in Fehring wird die 120-mm-Marke überschritten. Mancherorts sind es schließlich fast 130 mm Regen.
Wie sich das WegenerNet weiterentwickeln könnte
Das hochpräzise Wetterstationsnetz des Wegener Centers kostet jedes Jahr rund 400.000 Euro, insgesamt zehn Personen (nicht alles Vollzeitstellen) sind mit dem Projekt befasst. Und doch ist klar: Das WegenerNet ist ein wissenschaftliches Aushängeschild, auch international, für das Wegener Center und damit für die Universität Graz – das auch noch weiterentwickelt werden könnte.
Windsensor auf einem Mast – Wind wird standardmäßig in zehn Metern Höhe gemessen.
Windsensor auf einem Mast – Wind wird standardmäßig in zehn Metern Höhe gemessen.
Landwirt Trummer hätte etwa Verbesserungsvorschläge: Zum Beispiel ein Vorhersagemodell, basierend auf den äußerst genauen Daten für die Kleinregion. Auch eine noch zeitnähere Veröffentlichung der Messwerte, den Ausbau des WegenerNet auf die gesamte Region und mehr Werbung für das Projekt würde der Axbacher begrüßen – wenngleich ihm bewusst ist, dass dies schon alleine kostentechnisch nicht alles möglich sein dürfte. Essenziell für Landwirte wäre auch noch eine flächendeckende Messung der Windparameter: „Der Wind nimmt hier schon auch zu und trocknet in Kombination mit der Sonne die Erde erst so richtig aus.“
Große Ausbauschritte sind vorerst aber nicht geplant, sagen die Forschenden – als Ausnahme steht noch ein „Windprofiler“ auf der Wunschliste, mit dem Windgeschwindigkeiten in verschiedenen Höhen gemessen werden können. Die eigentliche Weiterentwicklung spielt sich zunehmend in der digitalen Sphäre ab: in der Datenanalyse, Modellierung und Interpretation. So beschäftigt sich etwa eine aktuelle Masterarbeit mit der automatisierten Erkennung von Hagelereignissen – mit Unterstützung durch neuronale Netzwerke.
Bis ins Jahr 2106 soll das WegenerNet zumindest in Betrieb bleiben. Ein Jahrhundertprojekt im wahrsten Sinne des Wortes – der Universität, aber auch der südoststeirischen Gemeinden. „Es ist das Netz der Region“, sagt Kirchengast.
Blick vom Dach der Niceshops in Saaz ins Raabtal.
Blick vom Dach der Niceshops in Saaz ins Raabtal.
Veröffentlicht am 14. August 2025, zuletzt aktualisiert am 16. August 2025.
Datenquellen: Wegener Center, Geosphere Austria
Geodaten: Wegener Center, WebGIS Steiermark/Land Steiermark
Text: Julia Schuster, Jonas Rettenegger, Jonas Binder
Karten und Grafiken: Fatima Al Masodi, Jonas Binder
Fotos: KLZ/Jonas Binder, KLZ/Jonas Rettenegger, Universität Graz
Videos: KLZ/Michael Wappl, KLZ/Simon Schmiedbauer