Reise in das Innere von Amerika
Der geschmolzene Held
Reportage. Was tun mit Denkmälern, die Sklaverei verherrlichen? Charlottesville, wo der Kampf um die Geschichte tödlich endete, fand eine radikale Lösung. Teil zwei unserer achtteiligen Reise in das Innere von Amerika vor der US-Präsidentschaftswahl 2024.
Von Thomas Götz (Text) und
Marco Longari (Fotos)
Charlottesville im September. Bleich hebt sich das Rechteck im Rasen auf dem höchsten Punkt des abschüssigen Market Square vom satten Grün der Umgebung ab. Wie eine schlecht verheilte Wunde erinnern die struppigen Halme an die Stelle, wo einst der Sockel eines Denkmals stand. 97 Jahre lang hat Robert E. Lee auf hohem Ross ausgeharrt, 2021 hob ihn ein Kran vom Sockel.
Robert E. Lee hatte die Armee der Südstaaten befehligt, die 1861 aus der Union ausgetreten waren, sich zur „Confederacy“, der Konföderation, zusammenschlossen und einen eigenen Präsidenten wählten: Jefferson Davis. Nach vier Jahren Bürgerkrieg musste Lee die Kapitulation unterschreiben. Die Sache der Sklavenhalterstaaten war verloren, der Mythos von der verlorenen Sache, „lost cause“ genannt, hält sich hartnäckig. Lee, der sich zeitlebens gegen Monumente gewehrt hatte, gab ihm, lange nach seinem Tod, ein Gesicht.
Für Jalane Schmidt, die an der Universität von Virginia lehrt und an der Beseitigung der Statue Lees aktiv beteiligt war, ist die 1924 aufgestellte Figur deshalb ein „Marker“ für die Sache der unterlegenen Sklavenhalterstaaten. Auch in Deutschland wurden die Denkmäler der Nationalsozialisten nach dem Krieg abgebaut oder gesprengt, erinnert sie. Im Norden Virginias, erzählt Schmidt, lagere bis heute beschlagnahmte NS-Propagandakunst im Archiv einer Luftwaffenbasis. Zu sehen bekomme diese Propagandakunst niemand.
Schreibt, was ihr tun würdet, wenn ihr etwas verändern könntet.
Der Denkmalsturz von Charlottesville begann in der Schule. „Schreibt, was ihr tun würdet, wenn ihr etwas verändern könntet“, hatte die Lehrerin den Kindern vorgeschlagen. Die 16-jährige Afroamerikanerin Zyahna Bryant schrieb: „Ich würde die Statuen der Konföderierten beseitigen.“ Die Lehrerin war begeistert, erzählt Schmidt. „Mach eine Petition daraus“, schlug sie vor. Das war 2016. Gegenpetitionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Gemeinde tat, was Politiker mit heißen Eisen gerne tun. Sie gründete eine Kommission mit klingendem Namen: „The blue ribbon-commission on race, memorials and public places“.
Zwei Tage vor der letzten Sitzung gewann Donald Trump 2016 die Wahl. Die Stadt, in der Hillary Clinton eine breite Mehrheit hinter sich scharen konnte, war in Aufruhr. Kurz danach stimmte der zögerliche Gemeinderat knapp für die Entfernung des Denkmals. Gegner gingen zu Gericht, eine einstweilige Verfügung blockierte die Demontage. Die entscheidende Wende brachte die Großdemonstration rechtsradikaler Gruppen in Charlottesville im Sommer 2017. Ein Auto fuhr absichtlich in eine Gruppe Gegendemonstranten. Eine Tote und 35 Verletzte lösten im ganzen Land Entsetzen aus.
Auf dem Weg zur Unfallstelle hatte Schmidt noch auf den „auction block“ hingewiesen, die Stelle, an der man einst Menschen taxieren und ersteigern konnte. Die Gedenktafel haben Vandalen aus dem Boden gerissen. Nur zwei Plastikkübel voller Blumen markieren die Stelle.
An der Straßenecke, wo das Auto des Rechtsradikalen in die Gruppe der Gegendemonstranten gerast war, haben Freunde der Toten mit Kreide „Gone but not forgotten“ an die Ziegelwand geschrieben.
Reportage. Was tun mit Denkmälern, die Sklaverei verherrlichen? Charlottesville, wo der Kampf um die Geschichte tödlich endete, fand eine radikale Lösung. Teil zwei unserer achtteiligen Reise in das Innere von Amerika vor der US-Präsidentschaftswahl 2024.
Von Thomas Götz (Text) und
Marco Longari (Fotos)
Charlottesville im September. Bleich hebt sich das Rechteck im Rasen auf dem höchsten Punkt des abschüssigen Market Square vom satten Grün der Umgebung ab. Wie eine schlecht verheilte Wunde erinnern die struppigen Halme an die Stelle, wo einst der Sockel eines Denkmals stand. 97 Jahre lang hat Robert E. Lee auf hohem Ross ausgeharrt, 2021 hob ihn ein Kran vom Sockel.
Robert E. Lee hatte die Armee der Südstaaten befehligt, die 1861 aus der Union ausgetreten waren, sich zur „Confederacy“, der Konföderation, zusammenschlossen und einen eigenen Präsidenten wählten: Jefferson Davis. Nach vier Jahren Bürgerkrieg musste Lee die Kapitulation unterschreiben. Die Sache der Sklavenhalterstaaten war verloren, der Mythos von der verlorenen Sache, „lost cause“ genannt, hält sich hartnäckig. Lee, der sich zeitlebens gegen Monumente gewehrt hatte, gab ihm, lange nach seinem Tod, ein Gesicht.
Für Jalane Schmidt, die an der Universität von Virginia lehrt und an der Beseitigung der Statue Lees aktiv beteiligt war, ist die 1924 aufgestellte Figur deshalb ein „Marker“ für die Sache der unterlegenen Sklavenhalterstaaten. Auch in Deutschland wurden die Denkmäler der Nationalsozialisten nach dem Krieg abgebaut oder gesprengt, erinnert sie. Im Norden Virginias, erzählt Schmidt, lagere bis heute beschlagnahmte NS-Propagandakunst im Archiv einer Luftwaffenbasis. Zu sehen bekomme diese Propagandakunst niemand.
Schreibt, was ihr tun würdet, wenn ihr etwas verändern könntet.
Der Denkmalsturz von Charlottesville begann in der Schule. „Schreibt, was ihr tun würdet, wenn ihr etwas verändern könntet“, hatte die Lehrerin den Kindern vorgeschlagen. Die 16-jährige Afroamerikanerin Zyahna Bryant schrieb: „Ich würde die Statuen der Konföderierten beseitigen.“ Die Lehrerin war begeistert, erzählt Schmidt. „Mach eine Petition daraus“, schlug sie vor. Das war 2016. Gegenpetitionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Gemeinde tat, was Politiker mit heißen Eisen gerne tun. Sie gründete eine Kommission mit klingendem Namen: „The blue ribbon-commission on race, memorials and public places“.
Zwei Tage vor der letzten Sitzung gewann Donald Trump 2016 die Wahl. Die Stadt, in der Hillary Clinton eine breite Mehrheit hinter sich scharen konnte, war in Aufruhr. Kurz danach stimmte der zögerliche Gemeinderat knapp für die Entfernung des Denkmals. Gegner gingen zu Gericht, eine einstweilige Verfügung blockierte die Demontage. Die entscheidende Wende brachte die Großdemonstration rechtsradikaler Gruppen in Charlottesville im Sommer 2017. Ein Auto fuhr absichtlich in eine Gruppe Gegendemonstranten. Eine Tote und 35 Verletzte lösten im ganzen Land Entsetzen aus.
Auf dem Weg zur Unfallstelle hatte Schmidt noch auf den „auction block“ hingewiesen, die Stelle, an der man einst Menschen taxieren und ersteigern konnte. Die Gedenktafel haben Vandalen aus dem Boden gerissen. Nur zwei Plastikkübel voller Blumen markieren die Stelle.
An der Straßenecke, wo das Auto des Rechtsradikalen in die Gruppe der Gegendemonstranten gerast war, haben Freunde der Toten mit Kreide „Gone but not forgotten“ an die Ziegelwand geschrieben.
Die Botschaft „Gone But Not Forgotten“ (Gestorben, aber nicht vergessen) auf einer Mauer nahe des Tatorts erinnert an die tödliche Auto-Attacke am 12. August 2017.
Die Botschaft „Gone But Not Forgotten“ (Gestorben, aber nicht vergessen) auf einer Mauer nahe des Tatorts erinnert an die tödliche Auto-Attacke am 12. August 2017.
Der Schriftzug „Black Lives Matter“ an derselben Wand erinnert an den von Polizisten ermordeten George Floyd, dessen Tod 2020 unter diesem Titel eine Massenbewegung ausgelöst hatte.
Was tun mit der tonnenschweren Figur des Generals, nach dem der Platz einst benannt war, fragte man sich im Gemeinderat, nachdem eine Gesetzesänderung die Entfernung der Figur ermöglicht hatte. Man habe zunächst verantwortungsvolle Abnehmer für die Statue gesucht, erzählt Schmidt – Bürgerkriegs-Schlachtfelder oder Museen. „Niemand wollte sie, nur fragwürdige Gruppen“. Zwei Jahre nach der Demontage entschloss sich der Gemeinderat im Vorjahr zu einer radikalen Lösung. Stahlarbeiter schmolzen die Statue ein und gossen das Material zu Barren. Daraus soll ein neues Kunstwerk entstehen, unter Mitwirkung der Bevölkerung. „Für eine gemischtrassige Demokratie“ solle es stehen, sagt Schmidt, nicht mehr für die Vorherrschaft der Weißen.
In Richmond, der Hauptstadt der einstigen Konföderation, wo einst Präsident Jefferson Davis in seinem „Weißen Haus“ residierte, fegte die Wut der Menschen gleich mehrere Statuen hinweg. Monument Avenue, die Prachtstraße zu Ehren konföderierter Würdenträger, durchzieht jetzt ohne die alten Statuen das Nobelviertel Richmonds. Nur auf einem Sockel hebt noch Arthur Ashe, der schwarze Tennisstar, bedrohlich das Racket über die Köpfe begeisterter Kinder. General Lee steht unzugänglich in der städtischen Kläranlage, Präsident Jefferson Davis, rosa beschmiert und mit eingedrücktem Kopf, hängt waagrecht und mit gebrochenem Arm im städtischen Valentine-Museum.
Wie können wir dieselbe Sache so unterschiedlich sehen?
Gabriel Reich, der 2007 aus New York an die Virginia Commonwealth University von Richmond gekommen war, um hier Afroamerikanische Geschichte zu lehren, traute seinen Augen nicht, als er die riesigen Statuen der Bürgerkriegsverlierer das erste Mal sah. „Wie können wir dieselbe Sache so unterschiedlich sehen?“, fragte er sich angesichts der Verherrlichung von Menschen, die einst für den Erhalt der Sklaverei gekämpft hatten.
Gabriel Reich im Valentine-Museum in Richmond vor einer der vielen Büsten des Südstaatenpräsidenten Jefferson Davis, die der Bildhauer Edward Valentine angefertigt hat. Reich ist Professor für afroamerikanische Geschichte an der Virginia Commonwealth University in Richmond.
Gabriel Reich im Valentine-Museum in Richmond vor einer der vielen Büsten des Südstaatenpräsidenten Jefferson Davis, die der Bildhauer Edward Valentine angefertigt hat. Reich ist Professor für afroamerikanische Geschichte an der Virginia Commonwealth University in Richmond.
Die museale Aufstellung der gestürzten Davis-Statue findet Reich gut, besser als ihre völlige Entfernung. „Diese Ausstellung erzählt von der Errichtung und der Demontage der Figur“, sagt Reich vor dem hilflos in der Luft baumelnden Ex-Präsidenten. „Zwei Geschichten im Konflikt miteinander sagen den Menschen mehr als nur eine Geschichte. Alles, was Leute dazu bringt, nachzudenken, ist gut.“
Besucher sind gebeten, ihre Meinung auf Post-its festzuhalten. Auf der Wand neben der Davis-Statue liest man auch vehemente Ablehnung. „Ich bin wütend, dass der Mob in einer Demokratie entscheiden kann“, schrieb jemand, „Zerstört die Geschichte nicht“ steht auf einem zweiten Zettel, ein dritter empfand „sehr gemischte Gefühle“ angesichts der geschändeten Symbolfigur. Dazwischen kleben positive Stimmen: „Hier gehört sie her – ins Museum“ und „Ich bin froh, dass sie gestürzt ist.“
Im Nebenraum, der einst dem Bildhauer Edward Virginius Valentine als Atelier gedient hatte, stehen achtzig seiner Portraitbüsten, immer wieder Lee und Davis. Das Museum erklärt den Mythos der „verlorenen Sache“, zeigt die Verharmlosung und Beschönigung der Sklaverei und die Spuren der alten Rassenideen in Werbung und Presse. Aufklärung im besten Sinn.
Wenn die Statuen weg sind, ist das eine verlorene Chance, an etwas erinnert zu werden, was tatsächlich geschehen ist.
Reich sieht die Demontage der Werke mit gemischten Gefühlen, weil er einem der Argumente der Gegner der Demontage etwas abgewinnen kann: „Wenn die Statuen weg sind, ist das eine verlorene Chance, an etwas erinnert zu werden, was tatsächlich geschehen ist.“ Das Gegenargument aber wiegt für ihn trotz allem schwerer: „Stellen Sie sich vor, sie leben in einer Stadt, in der auf öffentlichen Plätzen Statuen stehen, die Dir sagen, dass Du kein Bürger bist, dass an diesem öffentlichen Ort Deine Gedanken und Ideen keine Bedeutung haben“, sagt Reich und zieht daraus einen klaren Schluss: „Für Schwarze sind die Statuen eine Wunde, die nicht verheilt. Das ist ein guter Grund, sie herunterzuholen.“
Für Schwarze sind die Statuen eine Wunde, die nicht verheilt. Das ist ein guter Grund, sie herunterzuholen.