Reise in das Innere von Amerika
Der Präsident und
seine Sklaven
Reportage. Monticello, das Landhaus von Thomas Jefferson, erzählt die widersprüchliche Geschichte des Verfassers der Unabhängigkeitserklärung – und Sklavenhalters. Teil eins unserer achtteiligen Reise in das Innere von Amerika vor der US-Präsidentschaftswahl 2024.
Von Thomas Götz (Text) und
Marco Longari (Fotos)
Langsam schiebt sich der Touristenbus den Hügel hinauf. Die Stimme aus dem Lautsprecher bereitet die Gäste auf das vor, was sie in Monticello, dem Landsitz von Thomas Jefferson unweit von Charlottesville, erwartet – ein krasser Widerspruch. „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht“, zitiert die Stimme Jeffersons Unabhängigkeitserklärung, „daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit“. In Monticello werde man sehen, wie der dritte Präsident der USA mit seiner Familie und versklavten Menschen lebte, verkündet die Stimme vom Band.
Das Haus auf dem Gipfel des Bergleins, Monticello, ist kleiner als es auf Fotos wirkt. Jefferson hat es selbst entworfen, gebaut haben es seine Sklaven. 607 waren es über die Jahre gewesen. Nach seinem Tod am 4. Juli 1826, dem 50. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung, verkündete ein lokales Blatt, in Monticello stünden 130 „valuable negroes“ zum Verkauf. Ihr Preis sollte wenigstens einen kleinen Teil der Schulden in der Höhe von 12 Millionen Dollar tilgen, die Jefferson in seinen 83 Lebensjahren aufgehäuft hatte.
Monticello unweit von Charlottesville war Landsitz und Plantage des 3. US-Präsidenten Thomas Jefferson.
Monticello unweit von Charlottesville war Landsitz und Plantage des 3. US-Präsidenten Thomas Jefferson.
Unter Gaze-Zelten warten Gruppen von Touristen auf ihre Führung. „All men are created equal“ verkündet das T-Shirt eines Besuchers in riesigen Lettern. Das Haus im Stil des Renaissancearchitekten Andrea Palladio ist vollgeräumt. An den Wänden hängen Indianische Trophäen und Mastodon-Knochen von der großen Expedition, die Jefferson als Präsident (1801 bis 1809) in den wilden Westen geschickt hatte. Landkarten zeigen den enormen Landgewinn, den der Kauf Lousianas von Napoleon bedeutete. Im Nebenzimmer steht ein „Polygraph“, ein Schreibgerät, das die Federbewegungen des Autors mit einem komplexen Mechanismus auf ein zweites Papier überträgt. Jefferson wusste um seine Bedeutung, deshalb fertigte er Kopien seiner Schriften an.
In einer Glasvitrine weist die Führerin auf den Schlüssel von Jeffersons Taschenuhr hin. Im Glaskopf seien Haare seiner jung verstorbenen Ehefrau, Martha, eingeschlossen. Dass man beim Rundgang auch von der zweiten Frau erfährt, die Jefferson über 30 Jahre begleitet hat, ist neu. Die Sklavin Sally Hemings, eine Halbschwester seiner verstorbenen Frau, gebar ihm sechs Kinder. Es ist noch nicht lange her, da hörte man davon nichts bei den Führungen. Die Geschichte Jeffersons Beziehung zu Sally Hemings galt als Gerücht, gestreut von seinen Gegnern.
In gemessenem Abstand vom Herrenhaus zieht sich die Mulberry Row um den Hügel. Es herrscht reges Interesse an der Führung, die hier stündlich den wunden Punkt in der Biografie des großen Mannes beleuchtet. „Wir müssen unsere Vergangenheit studieren, wenn wir etwas verändern wollen in der Welt“, sagt die Führerin. Immer wieder zwingt sie ihre Zuhörerschaft, sich hineinzuversetzen in die Menschen, die in den kleinen Hütten lebten und in den Werkstätten arbeiteten. Sie erzählt die Geschichte von Jeffersons Koch Joseph Fosset und seiner großen Familie. Wegen seiner Verdienste ließ ihn der Hausherr in seinem Testament frei. Nicht seine Ehefrau, nicht die Kinder – die wurden an unterschiedliche Interessenten verkauft.
Wie, glauben Sie, hat Fosset sich gefühlt?
„Wie, glauben Sie, hat Fosset sich gefühlt?“, fragt Holly Jane. „Verzweifelt“, hört man murmeln, „wütend“, „hoffnungslos“. Sie könne es sich nicht vorstellen, sagt die junge Frau und erzählt sichtlich bewegt, wie es weiterging. Joseph Fosset begann, systematisch seine Familie freizukaufen. Peter, einer seiner Söhne, war 35, als es dem Vater gelang. Er war 11 gewesen, als ihn Jeffersons Erben verkauften. Nur Jeffersons eigene Kinder mit Sally Hemings kamen mit ihrem 21. Lebensjahr frei. Das hatte der Hausherr, damals Botschafter seines Landes in Paris, der 16-jährigen Gouvernante seiner Tochter versprechen müssen, als er die von ihm Schwangere überredete, mit ihm aus Frankreich nach Virginia zurückzukehren. Sie hätte bleiben können und wäre frei gewesen. Jefferson hielt sein Wort.
Unter Gaze-Zelten warten Gruppen von Touristen auf ihre Führung. „All men are created equal“ verkündet das T-Shirt eines Besuchers in riesigen Lettern. Das Haus im Stil des Renaissancearchitekten Andrea Palladio ist vollgeräumt. An den Wänden hängen indianische Trophäen und Mastodon-Knochen von der großen Expedition, die Jefferson als Präsident (1801 bis 1809) in den wilden Westen geschickt hatte. Landkarten zeigen den enormen Landgewinn, den der Kauf Lousianas von Napoleon bedeutete. Im Nebenzimmer steht ein „Polygraph“, ein Schreibgerät, das die Federbewegungen des Autors mit einem komplexen Mechanismus auf ein zweites Papier überträgt. Jefferson wusste um seine Bedeutung, deshalb fertigte er Kopien seiner Schriften an.
In einer Glasvitrine weist die Führerin auf den Schlüssel von Jeffersons Taschenuhr hin. Im Glaskopf seien Haare seiner jung verstorbenen Ehefrau, Martha, eingeschlossen. Dass man beim Rundgang auch von der zweiten Frau erfährt, die Jefferson über 30 Jahre begleitet hat, ist neu. Die Sklavin Sally Hemings, eine Halbschwester seiner verstorbenen Frau, gebar ihm sechs Kinder. Es ist noch nicht lange her, da hörte man davon nichts bei den Führungen. Die Geschichte Jeffersons Beziehung zu Sally Hemings galt als Gerücht, gestreut von seinen Gegnern.
In gemessenem Abstand vom Herrenhaus zieht sich die Mulberry Row um den Hügel. Es herrscht reges Interesse an der Führung, die hier stündlich den wunden Punkt in der Biografie des großen Mannes beleuchtet. „Wir müssen unsere Vergangenheit studieren, wenn wir etwas verändern wollen in der Welt“, sagt die Führerin. Immer wieder zwingt sie ihre Zuhörerschaft, sich hineinzuversetzen in die Menschen, die in den kleinen Hütten lebten und in den Werkstätten arbeiteten. Sie erzählt die Geschichte von Jeffersons Koch Joseph Fosset und seiner großen Familie. Wegen seiner Verdienste ließ ihn der Hausherr in seinem Testament frei. Nicht seine Ehefrau, nicht die Kinder – die wurden an unterschiedliche Interessenten verkauft.
Wie, glauben Sie, hat Fosset sich gefühlt?
„Wie, glauben Sie, hat Fosset sich gefühlt?“, fragt Holly Jane. „Verzweifelt“, hört man murmeln, „wütend“, „hoffnungslos“. Sie könne es sich nicht vorstellen, sagt die junge Frau und erzählt sichtlich bewegt, wie es weiterging. Joseph Fosset begann, systematisch seine Familie freizukaufen. Peter, einer seiner Söhne, war 35, als es dem Vater gelang. Er war 11 gewesen, als ihn Jeffersons Erben verkauften. Nur Jeffersons eigene Kinder mit Sally Hemings kamen mit ihrem 21. Lebensjahr frei. Das hatte der Hausherr, damals Botschafter seines Landes in Paris, der 16-jährigen Gouvernante seiner Tochter versprechen müssen, als er die von ihm Schwangere überredete, mit ihm aus Frankreich nach Virginia zurückzukehren. Sie hätte bleiben können und wäre frei gewesen. Jefferson hielt sein Wort.
Symposium für Nachkommen versklavter Bevölkerungsgruppen an der University of Virginia in Charlottesville.
Symposium für Nachkommen versklavter Bevölkerungsgruppen an der University of Virginia in Charlottesville.
In der Rotunde der Universität von Virginia drängen sich festlich gekleidete Menschen. Seit fünf Jahren versammeln sich die Nachkommen der Sklaven Thomas Jeffersons regelmäßig im Zentralraum der von ihm gegründeten Universität. Ihre Vorfahren haben mitgearbeitet am Bau. Ihnen hat die Universität ein granitenes Runddenkmal errichtet, im Durchmesser so groß wie die Rotunde. Es symbolisiert eine gesprengte Kette. In den Stein geritzt erinnern vereinzelt Namen an die Menschen, die hier als Sklaven arbeiteten. Das häufigste Wort ist „Unknown“, unbekannt.
Cauline M. Yates II holt sich gerade ihr Armband ab, das sie zur Teilnahme am Treffen der Nachkommen berechtigt. „Ich stamme aus der Hemings-Familie“, stellt sie sich vor. Sieben Generationen trennen sie von einer Schwester Sallys. TJ nennt sie ihren weißen Ahnen vertraulich und genießt spürbar die Nähe zu dem großen Mann, von der sie erst spät im Leben erfahren hat.
Verschwörerisch habe sie eine alte Tante einst zur Seite genommen, erzählt Cauline Yates, und ihr gesagt: „Du bist mit Thomas verwandt“. Die damals 12-Jährige fragte ahnungslos zurück: „Mit welchem Thomas?“ „Jefferson“, sagte die Tante. „Ich sagte, ok, auntie, magst Du noch einen Hamburger? Geglaubt habe ich es ihr nicht.“ Zwanzig Jahre später bekam sie einen Anruf aus Monticello. Das Forschungsprojekt „Getting Word“, benannt nach dem Geheimcode der Sklaven zur Vereinbarung ihrer Flucht, sucht aktiv nach Familienangehörigen und rekonstruiert deren Geschichten. Sie fanden Caulines Vorfahren. Die Tante hatte recht.
Cauline Yates ist eine Nachfahrin von Sally Hemings.
Cauline Yates ist eine Nachfahrin von Sally Hemings.
Seit ich weiß, dass ich Verwandte habe, die hier gelebt haben, ist es nicht mehr dasselbe.
Für die Hemings-Familie kam die Wende 1996. Damals publizierte das Magazin „Nature“ drei Studien, die DNA-Material von Jeffersons weißen Nachkommen mit dem von Angehörigen ihrer Familie verglichen. Die Verwandtschaft war nicht zu leugnen. Das änderte viel im Leben von Cauline Yates.
Ungern erinnert sie sich an die von ihrer Schule organisierten Besuche in Monticello in den fünfziger Jahren. Schwarze und weiße Kinder gingen damals noch in unterschiedliche Schulen. Mit 13 saß Cauline zum ersten Mal mit weißen Kindern in einer Klasse. Die Besuche im Stammhaus des großen Staatsmanns empfand sie damals als „Indoktrination für Kinder“. Sie ging durch und dachte, „das hat alles mit mir nichts zu tun“. Von Sklaverei war nicht die Rede. „Seit ich weiß, dass ich Verwandte habe, die hier gelebt haben, ist es nicht mehr dasselbe“, sagt sie.
„Wenn ich jetzt hinkomme, sehe ich die Dinge anders. Ich frage mich, was haben sie getan, wie schwer haben sie gearbeitet, waren sie krank? Konnte man als Sklave glücklich sein?“ erzählt sie von ihren Gefühlen. „Jetzt fragst Du Dich, hat mein Onkel diese Tür gezimmert?“ Dass sie eingeladen war, an Jeffersons Universität Vorträge zu halten, erfüllt sie ebenso mit Stolz wie die Tatsache, dass Journalisten ihre Geschichte hören wollen.
Zum Abschied erinnert sie sich an einen Moment während eines Dinners zu Ehren der Nachfahren der Sklaven in Monticello. „Plötzlich erschien ein Regenbogen am Himmel. Wir haben ihn fotografiert und gesagt: den schicken uns die Vorfahren. Cool.“ In Anspielung an die letzte große Rede von Martin Luther King vor seiner Ermordung fügt sie hinzu: „We were on the mountain top.“