Die russische Invasion bringt Terror, Leid und Tod über die Ukraine. In einem Jahr werden 30.000 bis 40.000 Zivilisten getötet. Bei den Streitkräften sind nach norwegischen Schätzungen 100.000 ukrainische und 180.000 russische Soldaten getötet oder verwundet worden. Mehr als 8 Millionen Menschen fliehen aus der Ukraine, weitere 5,4 Millionen sind Binnenvertriebene.
Viele im Westen mögen es vergessen haben, aber in Teilen der Ukraine – der Donbass-Region im Osten – wird bereits seit 2014 gekämpft. Damals annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim und unterstützte die Ausrufung der separatistischen "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk.
2021 rasselt Russland wieder mit dem Säbel und zieht zuerst im Frühling, später im November große Truppenkontingente in den russischen und belarussischen Grenzgebieten zur Ukraine zusammen – vorgeblich zum Zwecke von Militärübungen.
Die von vielen befürchtete Invasion ereignet sich am 24. Februar 2022: Der russische Präsident Wladimir Putin lässt aus mehreren Richtungen angreifen. Panzer stoßen in die Ukraine vor, es gibt Luftangriffe im ganzen Land. Die Ukraine ruft den Kriegszustand aus, es folgt eine allgemeine Mobilmachung.
Viele im Westen mögen es vergessen haben, aber in Teilen der Ukraine – der Donbass-Region im Osten – wird bereits seit 2014 gekämpft. Damals annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim und unterstützte die Ausrufung der separatistischen "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk.
2021 rasselt Russland wieder mit dem Säbel und zieht zuerst im Frühling, später im November große Truppenkontingente in den russischen und belarussischen Grenzgebieten zur Ukraine zusammen – vorgeblich zum Zwecke von Militärübungen.
Die von vielen befürchtete Invasion ereignet sich am 24. Februar 2022: Der russische Präsident Wladimir Putin lässt aus mehreren Richtungen angreifen. Panzer stoßen in die Ukraine vor, es gibt Luftangriffe im ganzen Land. Die Ukraine ruft den Kriegszustand aus, es folgt eine allgemeine Mobilmachung.
Die russische Armee marschiert bis vor die ukrainische Hauptstadt und quert dabei auch das Sperrgebiet von Tschernobyl. Rund um die AKW-Ruine gibt es heftige Gefechte. Ein Landeversuch von Fallschirmjägern am Flughafen Hostomel nordwestlich von Kiew scheitert. Bei dortigen Kämpfen wird das weltgrößte Frachtflugzeug, die Antonow An-225, zerstört. Am 26. Februar trifft eine Rakete ein Wohnhaus in Kiew, mehrere Stockwerke werden zerstört.
Dann erhielten wir die Nachricht über den Luftalarm. Wir packten alles zusammen und rannten wieder in den Keller hinunter. Während wir dort waren, beschossen russische Truppen unsere Stadt mit Grad-, Uragan- und Smerch-Raketen, Kampfgeschosse fielen in den Bezirken von Charkiw – alle in der Nähe des Zentrums und auf zivile Wohnbezirke. Ein Geschoss traf die Wohnung meines Freundes. Zum Glück war niemand dort.
Am zweiten Kriegstag wendet sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an sein Volk. "Wir sind alle hier", sagt er in einem kurzen Videoclip, der ihn mit Regierungschef Denys Schmyhal und weiteren ranghohen Politikern auf den Straßen Kiews zeigt. Selenskyj begegnet damit Spekulationen, wonach er geflohen sei oder sich verstecke.
Am zweiten Kriegstag wendet sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an sein Volk. "Wir sind alle hier", sagt er in einem kurzen Videoclip, der ihn mit Regierungschef Denys Schmyhal und weiteren ranghohen Politikern auf den Straßen Kiews zeigt. Selenskyj begegnet damit Spekulationen, wonach er geflohen sei oder sich verstecke.
Schon seit der Annexion der Krim und den Kämpfen in der Ostukraine ab 2014 hat der Westen immer wieder Sanktionen gegen Russland verhängt. Im Zuge der Invasion kommt es zu zahlreichen weiteren Strafmaßnahmen. Das erste aktuelle Sanktionspaket der EU wird bereits vor dem Einmarsch angesichts der russischen Anerkennung der beiden "Volksrepubliken" beschlossen. Unter anderem wird der Zugang Russlands zu den internationalen Kapital- und Finanzmärkten beschränkt.
Im Februar folgen noch zwei weitere Sanktionspakete. Sie betreffen unter anderem die Bereiche Energie, Finanzen und Transport. Russland wird der Zugang zu Flughäfen und dem Luftraum der EU untersagt. Zudem soll es Exportkontrollen für bestimmte Produkte sowie Einschränkungen bei der Visapolitik geben.
Putin versetzt seinerseits in einer Reaktion die russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft.
MÄRZ 2022
Anfang März gelingt den Russen die Einnahme von Cherson. Die Hafenstadt im Süden der Ukraine hatte vor dem Krieg in etwa so viele Einwohner wie Graz. Weitere Kämpfe toben um Kiew, Sumy und Tschernihiw im Norden, Charkiw im Nordosten und Mariupol im Südosten.
Die Hilfs- und Waffenlieferungen des Westens laufen an. Darunter sind Tausende tragbare Panzerabwehrwaffen wie Panzerfäuste (Deutschland) oder Javelins (USA), die in dieser ersten Phase des Kriegs große strategische Bedeutung entwickeln.
Sie dachten, dass wir sie mit Blumen empfangen werden, wenn sie in unsere Stadt kommen, als "Befreier", als "Retter". Aber die einzigen Blumen, die wir für sie haben, sind zwei Nelken. Diese Blumen, eine gerade Anzahl, legen wir in der Ukraine normalerweise auf die Gräber.
Nahe Saporischschja wird beim mit seinen sechs Reaktorblöcken und 5700 Megawatt Kapazität größten Atomkraftwerk Europas gekämpft, auch ein Feuer bricht aus. Die Angst vor einer nuklearen Katastrophe wächst. Aus dem umkämpften Sumy im Nordosten können Tausende Zivilisten evakuiert werden. In Mariupol ist die Lage dagegen weiter katastrophal, die Russen beschießen dort eine Geburtenklinik und ein Theater, in dem Zivilisten Schutz gesucht haben.
Friedensverhandlungen bringen kein Ergebnis. Die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien reisen als erste ausländische Politiker seit Kriegsbeginn mit dem Zug zu einem Solidaritätsbesuch nach Kiew.
Die EU vereinbart eine schnelle und unkomplizierte Aufnahme und vorübergehenden Schutz für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Ein viertes EU-Sanktionspaket enthält Ausfuhrsperren für Luxusgüter nach Russland, Einfuhrbeschränkungen für bestimmte russische Produkte, ein Investitionsverbot in den russischen Energiesektor und Maßnahmen gegen russische Oligarchen. Auch Belarus wird sanktioniert.
Die kleine Stadt Irpin nordwestlich von Kiew ist Schauplatz heftiger Gefechte. So sah es dort vor dem Krieg – Foto vom Mai 2015 – aus.
Dieses Bild vom 4. März 2022 zeigt das Ausmaß der Zerstörung.
Bis Mitte/Ende März 2022 hat Russland in seinen Vorstößen gigantische Landgewinne erzielt und hält laut einer CNN-Auswertung – inklusive Krim und Separatistengebieten – mehr als ein Viertel der ukrainischen Landesfläche besetzt. Diese Karte zeigt die maximale Ausdehnung der russischen Vorstöße im Frühjahr – das bedeutet aber nicht, dass alle Gebiete gleichzeitig von Russland gehalten wurden.
Bis Mitte/Ende März 2022 hat Russland in seinen Vorstößen gigantische Landgewinne erzielt und hält laut einer CNN-Auswertung – inklusive Krim und Separatistengebieten – mehr als ein Viertel der ukrainischen Landesfläche besetzt. Diese Karte zeigt die maximale Ausdehnung der russischen Vorstöße im Frühjahr – das bedeutet aber nicht, dass alle Gebiete gleichzeitig von Russland gehalten wurden.
APRIL 2022
Der russische Vormarsch auf Kiew beginnt – unter anderem wegen Nachschubproblemen – ins Stocken zu geraten. Anfang April können die ukrainischen Verteidiger nahe ihrer Hauptstadt erfolgreich mehrere Gegenoffensiven durchführen und die russischen Einheiten aus den Gegenden rund um Kiew sowie Tschernihiw und Sumy nach Belarus bzw. Russland zurückdrängen. Russland selbst spricht von einem "Zeichen des guten Willens". Es ist der erste große militärische Erfolg der ukrainischen Einheiten.
Doch nach dem Rückzug der Invasoren aus der Umgebung von Kiew zeigt sich ein Bild des Grauens.
In der heftig umkämpften Vorstadt Butscha werden rund 460 Leichen entdeckt. Die Bilder und Schilderungen von getöteten Zivilisten, die teils regelrecht exekutiert wurden, lösen international Entsetzen aus.
In der heftig umkämpften Vorstadt Butscha werden rund 460 Leichen entdeckt. Die Bilder und Schilderungen von getöteten Zivilisten, die teils regelrecht exekutiert wurden, lösen international Entsetzen aus.
Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer reist nach Kiew und trifft Selenskyj, anschließend besucht er Putin in Moskau. Auch UN-Generalsekretär António Guterres stattet den beiden Ländern einen Besuch ab – zuerst Russland, dann der Ukraine. Während seines Kiew-Besuchs beschießt Russland die Stadt mit Raketen.
Eine Rakete schlägt auf einem Bahnhof mit wartenden Flüchtlingen in Kramatorsk ein, mindestens 50 Menschen werden getötet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sieht den Verdacht eines russischen Kriegsverbrechens. Russland bestreitet, das Geschoss abgefeuert zu haben.
In der Nacht gab es wieder einen Raketenangriff. Das besorgt mich sehr. Wie viele Angriffe gibt es noch? Wie viele Städte werden russische Invasoren zerstören? Wie viele Leute in meinem Heimatland müssen noch sterben, bis man Putins Kriegsmaschine endlich stoppt? So viele Fragen und keine Antworten.
Nach dem Rückzug im Norden konzentrieren sich die russischen Kriegsanstrengungen nun auf den (Nord-)Osten der Ukraine. Dort haben die Invasoren mittlerweile den Großteil der Region Luhansk unter ihre Kontrolle gebracht. Außerdem kontrollieren sie im Süden die Hafenstadt Mariupol fast zur Gänze, mit Ausnahme des Asowstal-Stahlwerkes.
Am 14. April sinkt die "Moskwa", das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, nach ukrainischem Raketenbeschuss. Das 186 Meter lange Kriegsschiff war mit Lang- und Kurzstreckenraketen sowie Raketenwerfern und Torpedos ausgerüstet. Der Kreuzer spielte eine wichtige Rolle für seegestützte Raketenangriffe auf die Ukraine und hatte eine Besatzung von rund 500 Mann.
Die EU-27 beschließen in einem fünften Paket weitere Sanktionen, darunter ein Importstopp für Kohle, Holz und Wodka. Russische Schiffe dürfen nicht mehr in EU-Häfen einlaufen.
Die Schauspielerin und UNHCR-Sonderbotschafterin Angelina Jolie besucht überraschend Lwiw (Lemberg) in der Westukraine, wird dort in einem Café gesichtet und trifft Vertriebene sowie Helfer.
Die in Mariupol verbliebenen ukrainischen Truppen haben sich im Asowstal-Stahlwerk verschanzt und harren dort unter katastrophalen Bedingungen des russischen Dauerbeschusses.
Die in Mariupol verbliebenen ukrainischen Truppen haben sich im Asowstal-Stahlwerk verschanzt. Gemeinsam mit gut tausend Zivilisten harren sie dort unter katastrophalen Bedingungen des russischen Dauerbeschusses.
MAI 2022
Die eingeschlossenen Zivilisten können Anfang Mai aus dem Asowstal-Stahlwerk evakuiert und in ukrainisch kontrolliertes Gebiet gebracht werden. Zwischen 16. und 20. Mai ergeben sich die verbliebenen ukrainischen Soldaten und Russland übernimmt die Kontrolle über das Gelände. Unter den Verteidigern spielten auch Kämpfer des Asow-Regiments eine zentrale Rolle, das früher Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen hatte. Fast 2500 ukrainische Kämpfer geraten in Kriegsgefangenschaft.
In der Gegend von Charkiw verbuchen die Ukrainer im Rahmen ihrer Gegenoffensive weitere Gebietsgewinne und die Verteidiger erreichen an einer Stelle die Grenze zu Russland.
Die EU verständigt sich auf ein sechstes Sanktionspaket einschließlich eines Öl-Embargos gegen Russland. Es wird Anfang Juni beschlossen.
JUNI 2022
Im Donbass gelingt es den Russen, die etwa 100.000 Einwohner zählende Stadt Sewerodonezk zunächst einzukesseln und dann zu erobern. Die ukrainischen Verteidiger müssen sich zurückziehen, verlieren bis Anfang Juli aber auch das benachbarte Lyssytschansk, das ähnlich groß ist und am anderen Ufer des Flusses Siwerskyj Donez liegt.
Mein Land ist jetzt sehr abhängig von schnellen Waffen- und Munitionslieferungen aus dem Westen. Jeden Tag sterben weitere meiner Landsleute, Männer, Frauen und Kinder. Das Leid der Menschen in der Ukraine wächst, das Interesse in Europa aber lässt nach. Menschen wollen traurige Dinge einfach nicht mehr konsumieren – es ist zu viel, es ist zu schwer.
Die USA kündigen die Lieferung von vier Mehrfachraketenwerfern des Typs Himars an. Seit der Invasion haben bereits einige Länder Waffen an die Ukraine geliefert bzw. zugesagt. Darunter sind 72 Haubitzen (USA), Bayraktar-TB2-Kampfdrohnen (Türkei), 30 Gepard-Flugabwehrpanzer (Deutschland) sowie gepanzerte Fahrzeuge einiger Staaten.
JULI 2022
Beim Beschuss eines Gefängnisses in Olenikowa in der separatistischen Region Donezk, in dem ukrainische Kriegsgefangene interniert waren, sterben mehrere Dutzend der gefangenen Soldaten. Russland und die Ukraine machen sich dafür gegenseitig verantwortlich.
Auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim wird das Stabsgebäude der Schwarzmeerflotte in Sewastopol nach russischen Angaben von einer ukrainischen Drohne getroffen, es gebe auch Verletzte. Die Ukraine bestreitet das.
Viele Menschen in Odessa waren früher positiv gegenüber Russland eingestellt. Erst nachdem Putin 2014 die Krim annektierte, begann sich diese Stimmung zu verändern. Seit diesem Jahr hat sich die Lage radikal gewandelt. Nicht einmal fünf Prozent der Bewohner der Stadt sind noch prorussisch. Odessa war immer ein Zusammenspiel aus verschiedenen Kulturen, ein Mosaik unterschiedlicher Mentalitäten. Künftig wird ein Teil, die russische Sprache, vielleicht fehlen.
An den Fronten im Süden und Osten herrscht nun ein Stellungskrieg, der für keine Seite substanzielle Geländegewinne bringt.
Das siebente Sanktionspaket über ein Gold-Embargo tritt in Kraft. Es darf kein Gold und kein Goldschmuck mehr aus Russland in die EU eingeführt werden.
AUGUST 2022
Auch im August verändern sich die Frontlinien nur wenig. Es kommt zu mehreren ukrainischen Drohnenangriffen auf die Krim bzw. zu Fällen, in denen Russland zufolge Drohnen abgeschossen werden können.
Erstmals seit Beginn der russischen Invasion kann am 1. August wieder ein Schiff mit Getreide den Hafen von Odessa verlassen. Da die Lieferungen aus der Ukraine und Russland – zwei der weltweit wichtigsten Getreide-Exporteure – wegen des Krieges gestört waren, war die Versorgung in einigen Ländern Afrikas und des Nahen Ostens gefährdet. Im Juli hatten die beiden Länder mit der UNO und der Türkei eine Lösung für die Getreide-Verschiffung vereinbart.
Kiew lebt und atmet in vollen Zügen. Jedes Luftholen erinnert an Tausende Tote. Die Lungen dieser Stadt werden jede Sekunde mit Luft gefüllt, weil die Stadt weiß, was es heißt, aus Todesangst zu erstarren, nicht mehr atmen zu können. Jeder nächste Atemzug ist daher noch kräftiger, noch tiefer. Wir werden allen Toten und aller Zerstörung zum Trotz leben.
Mehrfach unter Beschuss gerät das AKW Saporischschja. Das Atomkraftwerk wurde im März von russischen Truppen besetzt, wird aber weiterhin von ukrainischem Personal betrieben. Russland und die Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld für den Beschuss. Verhandlungen zwischen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und Russland über eine Inspektion der Anlage laufen.
SEPTEMBER 2022
Die Delegation der IAEA trifft am 1. September am Gelände des besetzten AKW Saporischschja ein und beginnt mit einer Begutachtung des Kraftwerks.
In der Gegend rund um Charkiw erkämpfen sich die ukrainischen Einheiten ihren zweiten maßgeblichen militärischen Erfolg: Sie erobern zahlreiche Ortschaften und Städte von den Angreifern zurück, darunter auch das lange umkämpfte Isjum. Die russischen Truppen fliehen aus dem Süden des Gebietes, um einer Einkesselung zu entgehen. Moskau stellt den überhasteten Abzug, bei dem offenbar auch große Mengen an Kriegsgerät zurückgelassen werden, als simple Truppenverlegung dar.
Innerhalb von nur einer Woche gewinnt die Ukraine eine größere Fläche zurück, als russische Truppen insgesamt seit April erobern konnten.
Nach dem Abzug russischer Truppen wird in einem Wald nahe der ostukrainischen Stadt Isjum ein Massengrab gefunden. Die Polizei spricht von mehr als 440 Leichen, teils sollen sie Folterspuren aufweisen.
Auch eine UNO-Untersuchungskommission kommt nun zur Einschätzung, dass es im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu Kriegsverbrechen gekommen ist. Genannt werden etwa Luftangriffe auf bewohnte Gebiete, die große Anzahl an Erschießungen und Massengräbern sowie Fälle, in denen Kinder "vergewaltigt, gefoltert und illegal festgehalten" wurden.
Putin kündigt eine Teilmobilisierung an, 300.000 Reservisten sollen eingezogen werden. Das sind doppelt so viele Soldaten, wie die 150.000, mit denen Russland im Februar einmarschiert ist.
Ich habe die Rakete einfach nicht bemerkt. Ein kurzer Augenblick, und alles verwandelte sich zu Asche. Alle Fenster des Hauses wurden vor meinen Augen aus ihren Verankerungen gerissen. Ich weiß nicht, was mich gerettet hat, aber jedenfalls flogen die Scherben nicht in meine Richtung – vielleicht waren es die Gesetze der Physik, vielleicht Gott, oder vielleicht war es einfach nur reines Glück.
In vier besetzten Regionen – Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson – lässt Putin in Scheinreferenden über einen Anschluss an Russland "abstimmen". Aufgrund von Manipulationsvorwürfen und ungenannten Beteiligungszahlen bestehen berechtigte Zweifel an dem Ergebnis, einer "überwältigende Mehrheit" für den Anschluss. Putin erklärt die vier Gebiete, die gar nicht zur Gänze von Russland kontrolliert werden, daraufhin zu russischem Staatsgebiet.
OKTOBER 2022
Die strategisch wichtige Straßen- und Eisenbahnbrücke, die die Krim mit dem russischen Festland verbindet, wird bei einer Explosion beschädigt. Dahinter dürfte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU stecken, Kiew dementiert den Angriff jedoch. Zwei Bereiche der Fahrbahn auf der 19 Kilometer langen Kertsch-Brücke stürzen zum Teil ein.
Die EU-Staaten leiten ein achtes Sanktionspaket in die Wege, es beinhaltet unter anderem die rechtlichen Voraussetzungen für einen Preisdeckel für Ölimporte aus Russland.
Die ukrainischen Streitkräfte machen nun auch im Süden Fortschritte und stoßen westlich des Dnipro in Richtung der besetzten Stadt Cherson vor.
Russland beginnt unterdessen mit Hunderten Raketen und Drohnen, die Energie-Infrastruktur in der ganzen Ukraine anzugreifen. Insbesondere die iranische Kamikaze-Drohne Shahed 136 kommt dabei zum Einsatz. Die ukrainischen Verteidiger können zahlreiche Drohnen abschießen, dennoch schlagen Geschosse auch in der Hauptstadt Kiew ein.
Im Hof spielen zwei Kinder – vier und sieben Jahre alt. "Wir basteln ein supergenaues Gerät", verrät mir der ältere Bruder, "das alle iranischen Drohnen abfangen kann." Wie schrecklich, denke ich, dass kleine Kinder den Krieg erleben müssen und die Namen von Waffen lernen, statt neue Spiele für sich zu entdecken.
Landesweit sterben bei den Drohnenangriffen Dutzende Zivilisten. Immer wieder sind Teile des Landes ohne Strom, mitunter auch ohne Wasser und ohne Gas zum Heizen.
NOVEMBER 2022
Die russischen Soldaten in Cherson sind offenbar derart unter Druck, dass Moskau den vollständigen Rückzug vom gesamten Westufer des Dnipro ankündigt. Am 11. November ziehen ukrainische Soldaten kampflos in die Gebietshauptstadt ein.
Internationale Beobachter sehen in der Rückereroberung Chersons eine der größten Niederlagen für die russische Armee in diesem Krieg. Moskau hingegen spricht – abermals – von einem Rückzug.
Im November bekommt das ukrainische Nachbarland Polen, in dem mehr als 1,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge registriert sind, den Krieg ganz besonders zu spüren. Beim Einschlag einer fehlgeleiteten ukrainischen Flugabwehrrakete im Dorf Przewodów nahe der Grenze werden zwei Menschen getötet.
Zur Erinnerung: Dieses Gebiet hielt Russland im Frühling 2022 besetzt bzw. operierten russische Truppen in diesen Gegenden.
Drei erfolgreiche Großoffensiven brachte die Ukraine seither zuwege: Die Rückeroberungen im Norden bei Kiew (Ende März/Anfang April), im Nordosten bei Charkiw (September) sowie nun im November im Süden bei Cherson.
Das Gros der Kämpfe konzentriert sich nun auf die Ostukraine – den Donbass.
Zur Erinnerung: Dieses Gebiet hielt Russland im Frühling 2022 besetzt bzw. operierten russische Truppen in diesen Gegenden.
Drei erfolgreiche Großoffensiven brachte die Ukraine seither zuwege: Die Rückeroberungen im Norden bei Kiew (Ende März/Anfang April), im Nordosten bei Charkiw (September) sowie nun im November im Süden bei Cherson.
Das Gros der Kämpfe konzentriert sich nun auf die Ostukraine – den Donbass.
DEZEMBER 2022
Auch im November und dann im Dezember kommt es nach Raketen- und Drohnenangriffen immer wieder zu Stromausfällen in der Ukraine.
Die Leute waren sehr aufgeregt und traurig, aber Panik habe ich nicht gesehen. Alle versuchten einander zu helfen. Aber es gab einen Moment, wo ich sehr große Angst hatte. Als das Netz verschwand und ich fast 24 Stunden niemand anrufen konnte, kein Internet hatte, und daher nicht wusste, was in der Welt passiert. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Ungewissheit macht einen verrückt. Zudem hat man kein Zeitgefühl mehr.
Auf dem Schlachtfeld gelingt den Invasoren ein langsamer, aber stetiger Vormarsch bei der Stadt Bachmut. Auch zu Weihnachten heulen in der Ukraine die Sirenen – es gibt Luftalarm in allen Regionen des Landes.
Vergangene Woche habe ich in meiner Klasse gefragt, was sich die Kinder zu Weihnachten wünschen. "Kerzen", antwortete Kristina. Damit sie am Abend in der Dunkelheit sehen kann. "Ich will, dass der Krieg vorbei ist", sagte ein Junge. Ja, das wünsche ich mir auch, dachte ich.
Es kommt zu mehreren Drohnenangriffen auf russische Militärflugplätze tief im Landesinneren. Sie gelten als ukrainische Reaktion auf den massiven russischen Raketenbeschuss.
Ein neuntes EU-Sanktionspaket gegen Russland sieht neue Strafmaßnahmen gegen Banken und zusätzliche Handelsbeschränkungen vor.
JÄNNER 2023
Der Jänner bringt weitere Waffen für die Ukraine: Deutschland sagt zuerst die Lieferung von "Marder"-Schützenpanzern zu und will nach langer Debatte auch 14 "Leopard-2-A6"-Kampfpanzer liefern. Großbritannien verspricht "Challenger"-Kampfpanzer, die USA wollen 31 Kampfpanzer vom Typ "Abrams" bereitstellen. Nach Angaben des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba werde man in einer ersten Welle 120 bis 140 westliche Kampfpanzer erhalten. Bisher hatte die Ukraine von osteuropäischen NATO-Staaten diverse Kampf- und Schützenpanzer sowjetischer Bauart erhalten.
Nach tagelangen blutigen Gefechten kann Russland Mitte Jänner Soledar nordöstlich von Bachmut erobern. Es ist die erste russische Eroberung einer Stadt seit der Einnahme von Lyssytschansk im Juli. Die zunehmenden – wenn auch kleinräumigen – russischen Gebietsgewinne in diesem Frontabschnitt nähren die Sorge vor einer Einkesselung der ukrainischen Garnison in Bachmut. Die Kämpfe fordern sowohl aufseiten Kiews als auch Moskaus viele Tote. Zuletzt zeigt sich der deutsche Bundesnachrichtendienst laut "Spiegel" besorgt über hohe (täglich dreistellige) ukrainische Verluste.
Die blutigen Kämpfe um Bachmut dauern nun schon monatelang an. Bislang ist es den russischen Truppen und Wagner-Söldnern nicht gelungen, die Stadt einzunehmen. Von gut 70.000 Einwohnern harrt noch knapp ein Zehntel aus.
Die blutigen Kämpfe um Bachmut dauern nun schon monatelang an. Bislang ist es den russischen Truppen und Wagner-Söldnern nicht gelungen, die Stadt einzunehmen. Von gut 75.000 Einwohnern harrt noch knapp ein Zehntel aus.
Februar 2023
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen reist Anfang Februar zu einem Solidaritätsbesuch nach Kiew und trifft dort Selenskyj. Begleitet wird er von den Ministern Martin Kocher und Leonore Gewessler sowie von österreichischen Hilfsorganisationen. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus anderen Ländern haben die Ukraine in den vergangenen Monaten seit Kriegsbeginn bereits besucht, zuletzt auch überraschend US-Präsident Joe Biden.
Bidens Visite mitten im Krieg und kurz vor dem ersten Jahrestag wird als enorm starkes Signal der Solidarität für die attackierte Ukraine gewertet. In Moskau tritt einen Tag später Putin an, um seine kruden Ansichten zu wiederholen: Er lässt sich als Beschützer Russlands beklatschen und gibt dem Westen die alleinige Schuld am Krieg – obwohl er es war, der vor einem Jahr den Befehl gab, über die Ukraine herzufallen. Biden kontert einige Stunden später in der polnischen Hauptstadt Warschau, ohne auf Putins Aussagen einzugehen. Er betont, dass "die Ukraine niemals ein Sieg für Russland sein wird" und beschwört den Zusammenhalt des Westens.
"Jedes Mitglied der NATO weiß es, und Russland weiß es auch: Ein Angriff gegen einen ist ein Angriff gegen alle. Es ist ein heiliger Eid, jeden Zoll NATO-Gebiet zu verteidigen", sagt Biden vor dem Königsschloss in der polnischen Hauptstadt. Der US-Präsident Biden kritisiert zudem scharf den angekündigten Schritt Russlands, die Teilnahme am zentralen Atomwaffenkontrollprogramm beider Länder auszusetzen. Putin habe damit "einen großen Fehler" gemacht.
350
Milliarden Euro könnte laut Schätzungen von EU und Weltbank der Wiederaufbau der Ukraine kosten. Laut Weltbank (Stand Oktober 2022) sei die Wirtschaft des Landes 2022 um 35 Prozent geschrumpft.
Angesichts des großen Munitionsbedarfs der Ukraine wird in der EU an einem neuen Beschaffungsverfahren gebastelt. Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas zufolge sollen EU-Staaten Geld zur Verfügung stellen, mit dem dann gebündelt Großaufträge an die Rüstungsindustrie vergeben werden. Weltweit ist der Ukraine bis Mitte Jänner laut Schätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (vor allem vom Westen) Militärhilfe im Wert von 65,34 Milliarden, Finanzhilfe um 66,21 Milliarden und humanitäre Hilfe in Höhe von 12,08 Milliarden Euro zugesagt worden.
Wenn ich all den Schmerz und all das Leid sah oder wenn ich schreckliche Nachrichten las, dachte ich, ich kann nicht mehr, ich halte nicht durch. Das passierte zum Beispiel, als ich mit dem jungen Mädchen aus Mariupol gesprochen habe, das von russischen Soldaten vergewaltigt worden war. Als ich die SMS von meiner Freundin bekommen habe, dass ihr Sohn an der Front gefallen ist, als an meinem Geburtstag Russland Odessa beschossen hat und in einem Hochhaus meine Bekannte mit ihrem Mann und dem kleinen Kind getötet wurde.
Zusammenstellung und digitale Aufbereitung: Jonas Binder
Quellen: Kleine Zeitung, APA
Grafik und Karten: Günter Pichler, APA, Graphic News
Fotos: AFP/Sergei Supinsky, AP/Oleksandr Ratushniak, Google Street View, AP/Evgeniy Maloletka, AP/Russian Defense Ministry, Imago/SNA, Imago/Ukrinform, Imago/CTK Photo, Imago/NurPhoto (2), AFP/Evan Vucci
Videos: Twitter/Defense of Ukraine; AFP/Nicolas Garcia, Jorg Vogler; Ukrainian Parliament/Mariupol City Council; AFP/Arman Soldin, Alexander Pajevic