Naturparadies und Kulturlandschaft
Was den Neusiedler See bedroht
DOSSIER. Ein See braucht Hilfe. Trockenheit und Bauprojekte setzen dem Neusiedler See und dem umliegenden Gebiet zu. Deshalb schickte auch die Unesco eine Delegation, um die Welterbe-Würdigkeit der Seeregion zu prüfen. Unsere große Rundschau, womit man derzeit kämpft und an welchen Lösungen gearbeitet wird.
Von Anna Stockhammer, Jonas Binder und Eva Wabscheg
Der Wind bringt das Wasser leicht zum Kräuseln, die Sonne scheint, am Holzsteg hängt ein oranger Rettungsring. Nein, hier muss kein Mensch aus dem See gerettet werden, es ist das Gewässer selbst, das in Not ist.
Die Region Neusiedler See ist vieles: Als „Meer der Wiener“ rasch erreichbares Ziel für Urlaubsgäste und Wassersportler, wichtigster touristischer Wirtschaftsfaktor des Burgenlandes; als bedeutendes Feuchtgebiet Habitat von mehr als 300 verschiedenen Vogelarten; als Nationalpark Paradebeispiel für gelungene grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Österreich und Ungarn; als Kulturlandschaft von einer charakteristischen Lebensweise geprägt, von der Unesco sogar zum Welterbe geadelt.
Das Gebiet mit seinen vielfältigen Landschaftstypen – Steppensee, Schilfgürtel, Salzlacken, Niedermoor, Mischwäldern und Weideflächen – und seiner Flora und Fauna ist ein Naturparadies, zugleich aber „sehr stark durch den Menschen verändert worden“, erklärt Christian Sailer, Leiter des Hauptreferats Wasserwirtschaft beim Land Burgenland.
Beginnend vor mehreren hundert Jahren, drückten Entwässerungsmaßnahmen, Landwirtschaft, Verbauung, Tourismus und Energieerzeugung der Seeregion ihren Stempel auf. Eine zentrale Herausforderung ist heute die Trockenheit und damit das Damokles-Schwert Austrocknung oder Verschlammung des Sees. „Vor dieser Veränderung stehen wir jetzt. Das ist die große Problematik, mit der wir uns beschäftigen, wie wir da in Zukunft durchtauchen können“, sagt Sailer.
Der See im
Überblick
Östlich des Sees liegt ein „Seewinkel“ genanntes Gebiet mit rund 40 Salzlacken, die einzigen Salzgewässer Österreichs. Je nach Jahreszeit kann ihr Wasserpegel zwischen 70 und null Zentimeter schwanken. Die Lacken trocknen aus, ihre Zahl ging von ursprünglich 139 – vielfach durch menschliche Eingriffe – stetig zurück. Nur etwa fünf bis sieben sind noch in einem sehr guten Zustand.
Der Pegelstand des Neusiedler Sees selbst ist stark vom Niederschlag abhängig, drei Viertel des Wassers gelangen so in den See. Zuflüsse gibt es kaum, den größten Anteil haben die Wulka sowie noch der Golser Kanal und in Ungarn der Rákos-Bach. Historisch waren der See und das ehemalige Hanság-Moor südöstlich davon ein zusammenhängendes, abflussloses Feuchtgebiet.
Je nach Niederschlags- bzw. Hochwassersituation konnte das Wasser im See bis zu zwei Meter höher (!) als heute stehen, aber auch gänzlich austrocknen, zuletzt war das von 1865 bis 1872 der Fall. Durch den Bau von Kanälen und Dämmen ab dem 16. Jahrhundert änderte sich der Wasserhaushalt. 1909 wurde mit dem Einserkanal ein künstlicher Abfluss fertiggestellt. Er lässt sich mittels Wehr regulieren – seit 1965 stimmen sich Österreich und Ungarn dabei ab –, doch Verdunstung spielt eine weitaus größere Rolle: Die Wehr war zuletzt 2014/15 geöffnet.
Die ersten Seebäder wurden in Österreich ab 1960 errichtet, der Tourismus sukzessive zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Es folgten Hafenanlagen und Wochenendhäuser. Im Seevorgelände, also dem Schilfgürtel und den ihn umgebenden Wiesen, Äckern und Weingärten, nahmen Freizeiteinrichtungen in den 1960ern eine Fläche von weniger als zehn Hektar ein, 2005 waren es bereits 362 Hektar. Auch die Siedlungsgebiete wuchsen in dieser Zeit ins Seevorland hinein, von 13 auf 237 Hektar.
Der Uferbereich des Sees selbst ist, da weitgehend von Schilf umgeben, „zu mehr als 90 Prozent von Verbauung freigehalten“, heißt es aus dem Büro der burgenländischen Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf (SPÖ). „Die Verbauung konzentriert sich auf die Seebadbereiche“, sie werde „von den Gemeinden mittels Flächenwidmungsplänen und Bebauungsbestimmungen gesteuert. “ 2023 hat das Land um alle Bäder „Siedlungsgrenzen gezogen“ – über deren Grenzen hinaus darf kein Bauland gewidmet werden.
55
Prozent der 3,15 Millionen Nächtigungen im Burgenland entfielen 2023 auf die Region Neusiedler See. Bei den Ankünften (landesweit 1,14 Millionen) waren es sogar 58 Prozent. Gegenüber 2022 nahmen die Nächtigungen am See um knapp 12 Prozent, die Ankünfte um 18 Prozent zu.
„Die touristische Entwicklung erfolgt sehr behutsam, allen ist bewusst, dass es um einen sensiblen Lebensraum geht“, sagt Patrik Hierner, Geschäftsführer der Neusiedler See Tourismus GmbH. Es gebe bereits genügend Richtlinien und Einschränkungen. Konfliktpotenzial mit dem Naturschutz, den verschiedenen Schutzgebietsklassen und dem Weltkulturerbe sieht er nicht. Natürlich habe der Tourismusverband aber Interesse daran, dass es dem Gebiet gut geht. „Der See ist der wesentliche Faktor für den Tourismus“. So gebe es auch eine eigene Nachhaltigkeitsbeauftragte im Tourismusverband.
Der See ist der wesentliche Faktor für den Tourismus.
An Gästen könne der See sogar „auch noch mehr vertragen“, sagt Hierner. Es sei aber der Plan, die Vor- und Nachsaison zu stärken und die Besucherströme zu lenken. Vom Tourismus profitiere schließlich die ganze Region, ist Hierner überzeugt. „Von der Infrastruktur, also den Radwegen, zum Beispiel.“
Für Christian Schuhböck, Geschäftsführer der Naturschutzorganisation „Alliance For Nature“, ist in puncto Verbauung „die rote Linie erreicht, wenn nicht überschritten“. Auch der Tourismus gehe „schon viel zu weit“. Als Beispiele nennt er Seevillen bzw. -häuser in Oggau, Jois und Neusiedl am See. „Wir haben als Umweltorganisation ja nichts gegen Tourismus, aber es muss sanfter Tourismus sein. Die Architektur muss an die Gegebenheiten angepasst sein.“ Schuhböck stellt sich Niedrigbauten vor, „und Baumaterialien, die nicht Stahl, Beton und Glas sind.“
Wir haben als Umweltorganisation ja nichts gegen Tourismus, aber es muss sanfter Tourismus sein. Die Architektur muss an die Gegebenheiten angepasst sein.
Eines der jüngsten großen Bauprojekte war die Modernisierung des Seebads Breitenbrunn, das im Eigentum der Esterhazy-Stiftungen bzw. ‑betriebe steht, den größten Grundeigentümern am See. Im Oktober 2022 erfolgte der Spatenstich, Anfang Juni 2024 wurde das Ferienresort samt Gastronomie und Veranstaltungsbereich eröffnet.
Das Marina-Gebäude sei mit dem Gestaltungsbeirat abgestimmt, mit naturnahen Materialien und „im Einklang mit der Natur“ gebaut worden, teilen die Esterhazy-Betriebe auf Anfrage mit. Weitere Maßnahmen seien die Bewässerung mit Regenwasser und der Einsatz trockenheitsresistenter Gründächer.
Die Seeregion ist indes nicht nur als Tourismusdestination, sondern auch als Wohnort interessant. Laut Prognose der Österreichischen Raumordnungskonferenz entwickelt sich das Nordburgenland bis 2050 am stärksten, den größten Einwohnerzuwachs soll es, ausgehend von 2021, mit einem Plus von knapp 20 Prozent im Bezirk Neusiedl geben.
Droht der Welterberegion ein Eintrag auf der „Roten Liste“?
„Alliance For Nature“-Geschäftsführer Christian Schuhböck, der auch als Gerichtssachverständiger in Sachen Schutzgebiete und Unesco-Welterbestätten tätig ist, drängt, dass die Seeregion „sofort“ auf die „Rote Liste“ der gefährden Stätten zu setzen sei. „Denn wenn es so weitergeht, dann hat die Unesco bald keine Möglichkeit mehr, zu rechtfertigen, dass das Gebiet Weltkulturerbe sein soll.“
Dass der Welterbe-Status angesichts von Bauvorhaben, Windkraftprojekten und Überlegungen, dem See Donauwasser zuzuführen, bedroht sein könnte, wurde in den letzten Jahren immer wieder kolportiert. Schon im Managementplan der Welterberegion aus dem Jahr 2003 ist von einer „Gefahr der Umwidmung und Verbauung von sensiblen Flächen im Bereich der Ortsränder aufgrund von touristischen Investitionsvorhaben, wie Hotels, Erlebnisparks oder Zweitwohnsitzen“ zu lesen. Auch „Zweitwohnsitze in der Schilfzone“ sind als potenzielle Konfliktquelle aufgeführt.
Im Oktober 2023 war eine Delegation mit Vertretern von Unesco, Icomos (Internationaler Rat für Denkmalpflege) und Ramsar-Sekretariat vier Tage lang rund um den See unterwegs. Die „Advisory Mission“ nahm auf Einladung Österreichs und Ungarns den Zustand des Welterbegebiets unter die Lupe. Im Mittelpunkt stand neben besagten Tourismusprojekten die mögliche Wasserzuführung zum See. Weiterer Schwerpunkt war der Windpark Neusiedl-Weiden unweit des Welterbegebiets. Dessen 44 Windräder sollen in einem Modernisierungsprojekt durch 23 Anlagen ersetzt werden, die jedoch deutlich höher als bisher ausfallen (200 bzw. 244 statt 120 Meter).
Zu Jahresende 2023 lag ein Entwurf des „Advisory Mission“-Berichts vor. Um den Welterbe-Status müsse man nicht bangen, sagte Hannes Klein, bis März 2024 Geschäftsführer des Vereins „Welterbe Neusiedler See“, der als Bindeglied zwischen Unesco und der Region fungiert, bereits vor Veröffentlichung des offiziellen Endberichts zur Kleinen Zeitung. „Die Rote Liste steht absolut nicht im Raum, davon sind wir weit entfernt“, so Klein. Insgesamt seien die Ergebnisse des Berichts „erwartbar, es gibt keine großen Überraschungen“, fasste der damalige Site-Manager im Februar 2024 zusammen. Die Tonalität sei „relativ wohlwollend“.
Die Rote Liste steht absolut nicht im Raum, davon sind wir weit entfernt.
Seit Anfang März 2024 ist der Bericht öffentlich. Darin wird festgehalten, „dass Umfang und Ausmaß der bestehenden touristischen Infrastruktur am See die maximale Kapazität erreicht haben und ein weiterer Ausbau in Zukunft nicht mehr zugelassen werden sollte.“ Empfohlen werde daher, die Seeanlagen nicht mehr zu erweitern und notwendige Sanierungen zu nutzen, um frühere Eingriffe zu korrigieren – sowie die Koordination zwischen Österreich und Ungarn zu verstärken.
Konkret kritisiert der Bericht auf österreichischer Seite etwa die neuen touristischen Anlagen in Weiden am See sowie das im Umfeld des Welterbegebiets geplante Krankenhausprojekt in Gols. „Wir können die Welterbestätte nicht unter einen Glassturz stellen. Es ist nicht richtig und auch nicht notwendig, Naturschutz gegen Gesundheit auszuspielen“, teilte Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf dazu der APA mit.
Auch der Seebad-Neubau in Breitenbrunn war von der Unesco-Mission besichtigt worden. Dort sei zwar vorab eine Abstimmung mit der Unesco („Heritage Impact Assessment“) verabsäumt worden, trotzdem, so Klein, sei das Projekt als Positivbeispiel in den Bericht aufgenommen worden.
Entscheidung in Neu-Delhi
Unter diesen Vorzeichen stand der Neusiedler See Ende Juli 2024 auf der Tagesordnung der Welterbekomitee-Sitzung in Neu-Delhi (Indien). Dieses Gremium entscheidet letztlich darüber, ob eine Stätte ihren Welterbestatus verliert oder – als Vorstufe – auf die Rote Liste gesetzt wird.
Eine solche Negativeinstufung des Sees war zwar, wie sich zuvor schon abgezeichnet hatte, in Neu-Delhi kein Thema. Österreich und Ungarn sind aber nun aufgefordert, bis Dezember 2025 erneut über den Erhaltungszustand der Welterberegion (und durchgeführte Verbesserungsmaßnahmen) zu berichten. Die aktuellen Bemühungen um einen neuen Managementplan für die Seeregion würdigte das Welterbekomitee in seiner Entscheidung, folgte aber den Kritikpunkten und Empfehlungen im Bericht der „Advisory Mission“.
Die Empfehlungen der Unesco-Mission
Keine Erweiterungen der österreichischen Seebäder hinsichtlich Größe oder Kapazität.
Keine weitere Verbauung entlang der Zufahrtsstraßen von den Ortschaften zu den Seebädern.
Gestaltung des Strandbad- bzw. Hafenprojekts im ungarischen Fertőrákos unter Berücksichtigung der regionalen Bauweise und Baukultur sowie innerhalb eines strengen Rahmens, was dessen Umfang betrifft, und in Einbeziehung von lokalen Interessensgruppen, dem Welterbezentrum sowie dem Ramsar-Sekretariat.
Schließung von noch bestehenden Wissenslücken hinsichtlich der Umweltauswirkungen einer möglichen Wasserzuleitung in den See.
Reduktion der visuellen Beeinträchtigung durch neue Windräder nahe des Welterbegebiets (wenn möglich keine roten Streifen auf den Rotorblättern).
Auswahl eines alternativen Standorts für das geplante Krankenhaus Gols.
Keine Errichtung von Solarparks innerhalb des Welterbegebiets.
Festlegung von Siedlungsgrenzen für die Dörfer, gesetzlicher Schutz der historischen Zentren sowie rechtliche Verankerung von Baukriterien und Vergrößerung der Pufferzone des Welterbegebiets.
Verstärkte Koordination der burgenländischen Welterbe-Bürgermeister sowie verbesserte bilaterale Abstimmung von Österreich und Ungarn.
Besonders deutliche Worte hatte die „Advisory Mission“ für das Hafenprojekt am ungarischen Strand Fertőrákos gefunden. „Der Sukkus im Bericht war eigentlich ,Zurück an den Start, bitte vergesst das alles, was ihr bisher gemacht habt‘“, analysierte der ehemalige Site-Manager Klein Anfang 2024. Das redimensionierte bzw. neu geplante Strandbadprojekt müsse jedenfalls, so die Forderung des Welterbekomitees, auf ihre Kulturerbe-Verträglichkeit geprüft werden. Das Ergebnis samt detaillierten Projektplänen ist dem Welterbezentrum zu übermitteln.
Fertőrákos: Das umstrittene ungarische Hafenprojekt
Immer dem Bach entlang führt die Zufahrt nach der Abzweigung in Fertőrákos unweit der Grenze zu Österreich mitten hinein ins Schilf. Nach zweieinhalb Kilometern ist Schluss, Stacheldraht statt Seeufer, Bauzäune und Beton verweigern den Panoramablick. Die Fahrt endet auf einem kleinen Parkplatz.
„Építési terület!“, steht in großen Lettern auf dem Schild, das am Zaun hängt, „Baustellenbereich!“, kein Zutritt für Unbefugte. Ein Security-Mitarbeiter flüchtet sich in den bereitstehenden Wohnwagen, nachdem das Auto mit österreichischem Kennzeichen ausgerollt, die beiden Journalisten ausgestiegen sind.
Der ungarische Teil des Neusiedler Sees wird großteils vom Schilf dominiert, dementsprechend beschränkt sind die touristischen Nutzungsmöglichkeiten des Ufers.
Die einzige Örtlichkeit direkt am Wasser war jahrzehntelang ein veraltetes, zur Stadt Sopron (Ödenburg) gehöriges Seebad bei Fertőrákos (Kroisbach) samt kleinem Hafen, den auch die Fähre aus Mörbisch ansteuert, sowie zwei Dutzend schilfbedeckter Hütten auf Pfählen.
Doch aktuell ist das Gelände eine Baustelle. Auf bis zu 77 Hektar Gesamtfläche sollte unter dem Namen „Fertő Part“ ein Tourismusprojekt der Superlative entstehen – samt Marina für etwa 800 Boote, 100-Zimmer-Hotel, Apartments, Parkhaus mit hunderten Stellplätzen, Besucherzentrum und Campingplatz.
Weil das Projekt inmitten des Nationalparks, im Ramsar- sowie im Natura-2000-Gebiet und in der Unesco-Welterberegion liegt, hagelte es breite Kritik an dem Vorhaben.
Gestartet haben die Bauarbeiten Ende 2020, nachdem 2018 langjährige Renovierungspläne des Seebads plötzlich massiv ausgeweitet worden waren. Das Satellitenbild zeigt das Gelände Anfang 2024.
„Nicht nur schöner und nützlicher, sondern auch umweltverträglicher“ als die Bauten am österreichischen Seeufer sei das Projekt, verlautbarte der ungarische Minister für Bauwesen und Verkehr, János Lázár (Fidesz), noch 2022 auf Facebook.
Umweltschützer sind diametral anderer Ansicht: Das Vorhaben verstoße gleich mehrfach gegen die nationale Gesetzgebung, unter anderem gegen das ungarische Grundgesetz, das Gesetz zum Schutz der Natur, die Regierungserlässe zu Natura-2000-Gebieten und zum Schutz von Feuchtgebieten, das Welterbegebietsgesetz sowie gegen Unionsrecht und internationale Abkommen (Ramsar, Espoo), so ihre Argumentationslinie.
Negative Auswirkungen befürchtet beispielsweise die biologische Abteilung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften – das Vorhaben würde demnach „den touristischen Druck auf die Umwelt vervielfachen und der Flora und Fauna des Neusiedler Sees schweren Schaden zufügen“. Insbesondere der ungarische Ableger der Umweltschutzorganisation Greenpeace und der Verein Fertő tó barátai („Freunde des Neusiedler Sees“) treten mit Protestaktionen und auf dem Rechtsweg gegen das Projekt auf.
János Marton von den „Freunden des Neusiedler Sees“ steht vor dem Bauzaun. „Unsere größte Sorge ist diese riesige Fläche, die mit Beton und Schotter aufgefüllt ist“, sagt er und zeigt auf das Baustellengelände. Im selben Atemzug räumt er ein: „Ja, das Gebiet war schon ein bisschen retro und wir sind auch nicht gegen Modernisierung und das Bauvorhaben generell. Aber wir sind gegen das gigantische Ausmaß.“ Und auch mit den Baumaterialien hat man ein Problem: „Weswegen brauchen wir hier Beton, wenn wir hier Holz und Schilf haben?“
Vor allem um die Natur in dem Gebiet macht sich Marton Sorgen. „Alle Tiere, die hier gelebt haben, sind vertrieben worden.“ Dass im Bauvorhaben ein Ökozentrum, eine Art „Haus der Natur“, mit Schaukästen zur Tier- und Pflanzenwelt vorgesehen ist, findet er besonders skurril. „Ich will, dass mein Enkel die Tiere in der Natur sehen kann, nicht ausgestellt oder auf einem Bild.“
Ich will, dass mein Enkel die Tiere in der Natur sehen kann, nicht ausgestellt oder auf einem Bild.
Das Grazer Institut Ökoteam hat im Auftrag von Greenpeace Österreich ein naturschutzfachliches Gutachten zu den Auswirkungen erstellt. Die Einschätzung im Papier: „Durch den Bau und den Betrieb des Ferienresorts kommt es in mehrfacher Hinsicht – für mehrere Schutzgüter und hinsichtlich mehrerer Schutzkategorien – zu widerrechtlichen Beeinträchtigungen“, das Projekt stelle ein „Zuwiderhandeln gegen das Verschlechterungsverbot für Natura-2000-Schutzgüter dar“.
Graugans (Anser anser) mit Jungtieren
Graugans (Anser anser) mit Jungtieren
Flussseeschwalben (Sterna hirundo)
Flussseeschwalben (Sterna hirundo)
Stelzenläufer (Himantopus himantopus)
Stelzenläufer (Himantopus himantopus)
Konkret würden mehrere Brutvogelarten wie Seeregenpfeifer, Stelzenläufer, Säbelschnäbler oder Flussseeschwalben, aber auch Zugvögel – speziell verschiedene Gänsearten – erheblich gestört. Außerdem seien möglicherweise Störungen des Wasserhaushalts zu erwarten, so das Gutachten.
Die ursprünglichen Projektpläne sind gewaltig dimensioniert (siehe links). Doch im Sommer 2022 stoppten die Arbeiten vor Beginn der Hochbautätigkeiten plötzlich, lediglich eine Betonmauer ist zu sehen. Der Projektbetreiber, die staatliche Gesellschaft Sopron-Fertő Tourist Development Nonprofit Zrt., teilte auf seiner Facebook-Seite mit, man werde die „Umsetzung aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges (in der Ukraine, Anm.) verschieben“. Die budgetierten Kosten sollen zu diesem Zeitpunkt laut orf.at bereits von zunächst veranschlagten rund 75 Millionen auf mehr als 100 Millionen Euro gestiegen sein.
Nach einem Jahr Stillstand und der Auflösung der staatlichen Entwicklungsgesellschaft verlautbarten Minister Lazár und der Bürgermeister von Sopron, Ciprián Farkas (Fidesz), im Juni 2023, dass das Projekt nun neu geplant werde, man aber den Hafen im „nördlichen Teil des Gebiets den Seglern und Anglern als Übergangslösung zur Verfügung“ stellen werde und zudem den südlichen Hafen, den Strand sowie Ökopark und Ökozentrum realisieren wolle. Und weiter: „In der Variante B müssen wir irgendwann den ursprünglichen großen Plan umsetzen, den wir jetzt verschieben mussten.“
In der Variante B müssen wir irgendwann den ursprünglichen großen Plan umsetzen, den wir jetzt verschieben mussten.
Passiert ist auf der Baustelle seither aber nichts. In den ursprünglichen Dimensionen dürfte das Projekt jedenfalls in naher Zukunft nicht gebaut werden. Über die „teilweise Verkleinerung“ und eine „phasenweise Umsetzung“ hat Ungarn auch die Unesco sowie das Burgenland informiert. „Die Ungarn haben angekündigt, so schnell es geht, den Seezugang wieder möglich zu machen“, sagt Hannes Klein, bis März 2024 Geschäftsführer des Vereins „Welterbe Neusiedler See“.
Details sind ihm nicht bekannt, das Seebad samt Gastronomie und auch die Hafenanlagen seien wohl in einer ersten Phase geplant, eine mögliche Phase zwei oder drei vermutlich überhaupt noch offen. „Die erste Phase soll bis 2026 eröffnet werden (möglicherweise auch früher)“, weiß man im Büro von Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf.
Für das Land Burgenland sei es indes „durchaus legitim, ein in die Jahre gekommenes Seebad zu erneuern, um- und gegebenenfalls auszubauen“, sofern die „Welterbetauglichkeit“ sichergestellt und Auswirkungen auf die diversen (Natur-)Schutzstati geprüft würden.
Gegenüber der Kleinen Zeitung erklärte das ungarische Ministerium für Bau und Verkehr ebenfalls, man wolle „ein deutlich kleineres Projekt als die ursprünglichen Pläne umsetzen, das mit der Landschaft und der Umwelt in Einklang steht“. Die Frage, in welchem Ausmaß das Projekt reduziert werden soll, blieb jedoch unbeantwortet, wie jene zu den finanziellen Aspekten, einem Zeitplan oder dem touristischen Konzept.
Das Ministerium für Bau und Verkehr möchte ein deutlich kleineres Projekt als die ursprünglichen Pläne umsetzen, das im Einklang mit der Landschaft und der Umwelt steht.
Hingegen hält man fest, dass „gültige Genehmigungen für die früheren Pläne vorliegen – einschließlich einer Umweltgenehmigung“ und dass das neue Projekt „nicht in einem Ausmaß umgestaltet“ worden sei, „das eine Änderung der Umweltgenehmigung rechtfertigen würde.“
Aufhorchen lässt das Ministerium jedoch mit der Auskunft, dass für das neue Projekt „ein neues vollständiges Genehmigungsverfahren gemäß den neuen Plänen erforderlich“ sein werde. Ob sich das nicht doch auch auf die Umweltgenehmigung beziehen müsste, bleibt unklar – und eine diesbezügliche Nachfrage unbeantwortet.
Konkret würden mehrere Brutvogelarten wie Seeregenpfeifer, Stelzenläufer, Säbelschnäbler oder Flussseeschwalben, aber auch Zugvögel – speziell verschiedene Gänsearten – erheblich gestört. Außerdem seien möglicherweise Störungen des Wasserhaushalts und Nährstoffeintrag zu erwarten, so das Gutachten.
Die ursprünglichen Projektpläne sind gewaltig dimensioniert (siehe Übersichtsplan unten). Doch im Sommer 2022 stoppten die Arbeiten vor Beginn der Hochbautätigkeiten plötzlich, lediglich eine Betonmauer ist zu sehen. Der Projektbetreiber, die staatliche Gesellschaft Sopron-Fertő Tourist Development Nonprofit Zrt., teilte auf seiner Facebook-Seite mit, man werde die „Umsetzung aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges (in der Ukraine, Anm.) verschieben“. Die budgetierten Kosten sollen zu diesem Zeitpunkt laut orf.at bereits von zunächst veranschlagten rund 75 Millionen auf mehr als 100 Millionen Euro gestiegen sein.
Nach einem Jahr Stillstand und der Auflösung der staatlichen Entwicklungsgesellschaft verlautbarten Minister Lazár und der Bürgermeister von Sopron, Ciprián Farkas (Fidesz), im Juni 2023, dass das Projekt nun neu geplant werde, man aber den Hafen im „nördlichen Teil des Gebiets den Seglern und Anglern als Übergangslösung zur Verfügung“ stellen werde und zudem den südlichen Hafen, den Strand sowie Ökopark und Ökozentrum realisieren wolle. Und weiter: „In der Variante B müssen wir irgendwann den ursprünglichen großen Plan umsetzen, den wir jetzt verschieben mussten.“
In der Variante B müssen wir irgendwann den ursprünglichen großen Plan umsetzen, den wir jetzt verschieben mussten.
Passiert ist auf der Baustelle seither aber nichts. In den ursprünglichen Dimensionen dürfte das Projekt jedenfalls in naher Zukunft nicht gebaut werden. Über die „teilweise Verkleinerung“ und eine „phasenweise Umsetzung“ hat Ungarn auch die Unesco sowie das Burgenland informiert. „Die Ungarn haben angekündigt, so schnell es geht, den Seezugang wieder möglich zu machen“, sagt Hannes Klein, bis März 2024 Geschäftsführer des Vereins „Welterbe Neusiedler See“.
Details sind ihm nicht bekannt, das Seebad samt Gastronomie und auch die Hafenanlagen seien wohl in einer ersten Phase geplant, eine mögliche Phase zwei oder drei vermutlich überhaupt noch offen. „Die erste Phase soll bis 2026 eröffnet werden (möglicherweise auch früher)“, weiß man im Büro von Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf. Für das Land Burgenland sei es indes „durchaus legitim, ein in die Jahre gekommenes Seebad zu erneuern, um- und gegebenenfalls auszubauen“, sofern die „Welterbetauglichkeit“ sichergestellt und Auswirkungen auf die diversen (Natur-)Schutzstati geprüft würden.
Gegenüber der Kleinen Zeitung erklärte das ungarische Ministerium für Bau und Verkehr ebenfalls, man wolle „ein deutlich kleineres Projekt als die ursprünglichen Pläne umsetzen, das mit der Landschaft und der Umwelt in Einklang steht“. Die Frage, in welchem Ausmaß das Projekt reduziert werden soll, blieb jedoch unbeantwortet, wie jene zu den finanziellen Aspekten, einem Zeitplan oder dem touristischen Konzept.
Das Ministerium für Bau und Verkehr möchte ein deutlich kleineres Projekt als die ursprünglichen Pläne umsetzen, das im Einklang mit der Landschaft und der Umwelt steht.
Hingegen hält man fest, dass „gültige Genehmigungen für die früheren Pläne vorliegen – einschließlich einer Umweltgenehmigung“ und dass das neue Projekt „nicht in einem Ausmaß umgestaltet“ worden sei, „das eine Änderung der Umweltgenehmigung rechtfertigen würde.“
Aufhorchen lässt das Ministerium jedoch mit der Auskunft, dass für das neue Projekt „ein neues vollständiges Genehmigungsverfahren gemäß den neuen Plänen erforderlich“ sein werde. Ob sich das nicht doch auch auf die Umweltgenehmigung beziehen müsste, bleibt unklar – und eine diesbezügliche Nachfrage unbeantwortet.
Die „Freunde des Neusiedler Sees“ haben Anfang 2024 Architekturstudierende der Budapester Moholy-Nagy Kunstuniversität eingeladen, einen alternativen Plan für das Gebiet zu entwerfen. Sie hoffen, damit etwas bei den Bauverantwortlichen bewirken zu können. Die Situation ist angespannt. Marton und seine Kolleginnen und Kollegen werden als Feinde angesehen: „Ich habe Freunde verloren, weil ich mich gegen das Projekt einsetze. Sie sagen, wir blockieren das Projekt und sind schuld, dass die Bevölkerung derzeit keinen Zugang zum See hat.“
Farkas, Bürgermeister von Sopron, erklärte, sich zu dem Thema lieber nicht äußern zu wollen; sein Amtskollege in Fertőrákos, Janos Palkovits, ließ die Fragen der Kleinen Zeitung ebenso unbeantwortet.
Im Juni 2024 veröffentlichte der Oberste Gerichtshof (Kúria) in Ungarn jedenfalls eine Entscheidung, wonach die Bauarbeiten nur dann fortgesetzt werden dürften, wenn der Projektbetreiber nachweisen kann, dass diese die Flora und Fauna des Nationalparks nicht beschädigen. Das teilte Greenpeace in einer Aussendung mit.
Schlamm und Trockenheit: Was, wenn das Wasser weicht?
Doch das Projekt in Fertőrákos ist nur eines von mehreren großen Themen in der Seeregion. Wesentlicher ist die Wasserfrage. Nach einem sehr trockenen Jahr 2022 sank der Wasserpegel des Neusiedler Sees auf den tiefsten Stand seit Jahrzehnten, Bilder von Booten im Schlamm geisterten durch die Medien.
Aktuell hat sich der See wieder erholt. „2023 war überdurchschnittlich niederschlagsreich, das hat einiges wieder gutgemacht“, sagt Klimatologe Alexander Orlik von der Geosphere Austria. Insbesondere die großen Regenmengen ab Ende Oktober seien für das Grundwasser und den Wasserpegel des Sees sehr wichtig gewesen. „Der Vorteil ist, dass sich die Vegetation hier anders verhält“, die Wasseraufnahme sei reduziert, da im Winter keine Verdunstung über die Blattoberfläche stattfinde – „das Wasser bleibt im Boden“.
Generell zählt das Gebiet vor allem östlich des Sees mit 400 bis 600 Millimetern pro Jahr zu den niederschlagsärmsten in Österreich, noch weniger regnet es laut Orlik in der Retzer Gegend im Weinviertel (Niederösterreich). Im Gegensatz dazu sei das Nordburgenland klimatisch etwas begünstigter, profitiere es doch stärker von feuchten Adriatiefs.
„Der Niederschlag im nördlichen Burgenland unterliegt immer dekadischen Schwankungen“, sagt der Klimatologe, „aber wir reden hier von plus/minus zehn Prozent. Prinzipiell hat es in den letzten 100 Jahren keine dramatischen Änderungen der Niederschlagsmenge gegeben.“ Zu berücksichtigen seien aber auch die Zunahme der Sonnenstunden und die generell stark gestiegene Temperatur, die 2023 im österreichischen Flachland um 2,5 Grad Celsius über dem Mittel der Jahre 1961-1990 lag. Orlik: „Das bedeutet in unseren Breiten im Allgemeinen mehr Verdunstung.“
Doch Niederschlag und Verdunstung sind nicht alles. Der Wasserschwund im Neusiedler See ist nicht zuletzt auch eine Folge jahrhundertelanger menschlicher Eingriffe. So war sein Einzugsgebiet früher „fast zehnmal, neunmal größer als jetzt“, sagt Christian Sailer, Referatsleiter Wasserwirtschaft im Land Burgenland. Flüsse wie die Raab führten durch das Gebiet und fluteten bei Hochwasser in den See. Das wurde durch Flussregulierungen und ‑umleitungen unterbunden. Wie auch mit Kanälen und Dämmen: „Seit dem 17. Jahrhundert ist dokumentiert, dass das Gebiet entwässert worden ist.“
Der Pegelstand des Sees – derzeit liegt er bei etwa 115,5 Metern über der Adria – kann bei starkem Wind über die Wasseroberfläche hinweg äußerst ungleich verteilt sein, Stichwort Windverfrachtung. „Wir haben oft Differenzen zwischen Nord und Süd, die 80 Zentimeter oder einen Meter betragen. Da sind auch diese schirchen Bilder entstanden, wo die Ruster Bucht zum Beispiel ohne Wasser war.“
Schlammige Buchten
Zudem sei der Seeuntergrund nicht eben und habe das Gewässer „eine gewisse Strömung“, die den „Schlamm mitnimmt und in den beruhigten Bereichen ablagert“. Diese sind eben – die Buchten. Dort ist dann über dem eigentlichen Untergrund aus festem Schlamm eine gut einen Meter hohe Schicht auf feinem, wassergesättigtem Schlamm zu finden. Dieser Schlamm entsteht durch absterbendes Schilf und den Zufluss von kalkhaltigem Wasser.
100.000
Kubikmeter Nassschlamm sollen jedes Jahr aus dem See gepumpt werden, um die 40.000 Kubikmeter bilden sich jährlich neu. Insgesamt sind ungefähr 55 Millionen Kubikmeter im See.
Im Juli 2022 gründete das Land deshalb die Seemanagement Burgenland GmbH, die innerhalb von zehn Jahren eine Million Kubikmeter Nassschlamm aus dem See holen soll. Das Absaugen des Schlamms erfolgt schwerpunktmäßig im Bereich der Seebuchten und Hafenanlagen.
Im Fokus stehen außerdem die Instandhaltung der Kanäle im Schilf – auch als Brandschutzschneisen wichtig – sowie alte Schilfflächen, die für kommerzielle Schilfschneider uninteressant sind und deshalb nicht mehr geerntet werden. Einmal jährlich wird in einem Bauprogramm festgelegt, wo genau es Schlamm und Schilf an den Kragen gehen soll.
„Wir haben im letzten Jahr in einem Pilotprojekt die Technologie erprobt“, sagt Erich Gebhardt, Geschäftsführer der Seemanagement Burgenland GmbH. „Am besten geeignet ist der ,Watermaster‘.“ Der amphibische Mehrzweckbagger, ein finnisches Fabrikat, „hat einen Fräskopf vorne, lockert damit den Schlamm auf, saugt ihn dann ab und kann ihn bis zu drei Kilometer weit pumpen“, erklärt Gebhardt. Daraufhin landet der Schlamm in einem Absetzbecken, „wird labortechnisch geprüft, dann bringen wir ihn für die Bodenverbesserungen auf landwirtschaftlichen Flächen auf“, sagt der Geschäftsführer. „Im Schlamm ist zum Beispiel Ammonium drinnen.“
Derzeit sind zwei „Watermaster“ im Einsatz, daneben gibt es noch vier kleinere Amphibienfahrzeuge. Die Arbeiten im See dauern von Oktober bis April, in den restlichen Monaten muss aus Naturschutzgründen pausiert werden.
In Zukunft könnte das Abbaggern des Schlammes vielleicht gar nicht mehr notwendig sein, zumindest nicht in diesem Ausmaß. „Wir machen derzeit auch viele Untersuchungen, was Sedimentströmung anbelangt, ob man Bauten wie Buhnen im See, im Hafenbereich, errichten könnte, damit die Strömung umgelenkt wird“, sagt Referatsleiter Sailer. Ein Pilotversuch wurde in Podersdorf gestartet, der „großen Abstimmungsbedarf mit dem Naturschutz“ bedinge.
Und wenn der fruchtbare Seewinkel zu trocken für die Landwirtschaft wird?
Nicht nur der See, sondern auch der Seewinkel und die nun entwässerte Landschaft des ehemaligen Hanság-Niedermoores südöstlich davon sind nach den jahrhundertelangen wasserwirtschaftlichen Eingriffen von Trockenheit betroffen.
Verstärkt wurden Entwässerungskanäle nach den beiden Weltkriegen angelegt, um das Gebiet landschaftlich nutzbar zu machen, erläutert Christian Sailer. „Da ist die Ernährungssicherheit im Vordergrund gestanden, das waren fruchtbare Böden“, sagt der Referatsleiter der burgenländischen Landesabteilung für Wasserwirtschaft. „Damals waren halt die Beweggründe mehr, dass die Leute etwas zu essen haben. Vor allem der Großraum Wien ist versorgt worden, Bratislava und natürlich auch die Region.“
Aber auch heute spielt der Getreide- und Gemüseanbau eine wichtige Rolle im Seewinkel – und ist von der zunehmenden Wasserknappheit stark betroffen. „Wenn die Trockenheit so weitergeht, wird es dort keine Landwirtschaft geben“, malt Sailer ein düsteres Bild. Zumindest für den Fall, dass keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
32.000
Hektar Grundfläche werden im Seewinkel in etwa landwirtschaftlich genutzt. Circa ein Viertel davon wird aus etwa 5000 Feldbrunnen bewässert, darunter 720 Hektar Feldgemüse.
Es wird „sicher nicht leichter werden“, meint auch Daniel Lorenschitz. Der Landwirt aus Tadten, Mitglied der Erzeugergenossenschaft LGV Sonnengemüse, kultiviert auf knapp zwei Hektar Paprika, Gurken, Radieschen. Und auch Salat, der im Februar bereits in seinen Tunnels wächst. Bis Ostern, so alles gut geht, sollen die Supermärkte beliefert werden. „Wir müssen natürlich bewässern, weil wir im geschützten Anbau sind“, erklärt Lorenschitz, „aber mit Maß und Ziel.“ Dafür trockne in den Tunnels der Boden nicht so schnell aus.
Dass man der Landwirtschaft Vorwürfe macht, zu viel Wasser zu verbrauchen, versteht der Biobauer nicht, sie sei „hier nicht der größte Verursacher der Trockenheit.“ Die Landwirtinnen und Landwirte würden schließlich nicht „zum Vergnügen“ bewässern: „Wir wollen in Österreich ja Lebensmittel aus Österreich und dann müssen wir unser Gemüse bewässern. Man will seine Kultur nicht sterben lassen und da entstehen sonst auch große Kosten.“
Wir bewässern ja nicht zum Vergnügen. Man will halt seine Kultur auch fördern und nicht sterben lassen.
Lorenschitz ist überzeugt, dass es eine gemeinsame Anstrengung benötigt: „Da muss sich auch jede Privatperson bei der Nase nehmen, oft werden ja die Rasen schon früh bewässert und die Pools aufgefüllt.“ Er habe aber schon das Gefühl, dass viele Seiten bemüht seien, Lösungen zu finden: „Es muss allen klar sein, dass es nur miteinander geht.“
Die niedrigen Grundwasserstände im Seewinkel wirken sich auch massiv auf die Salzlacken aus, das habe man während der vergangenen zehn Jahre festgestellt, sagt Referatsleiter Sailer. „Wir schauen uns jetzt die Genehmigungen für die Entnahmen für die Bewässerung an, ob das noch zeitgemäß ist.“ Denn: Die aktuell mögliche Entnahmemenge von etwa 21 Millionen Kubikmetern je Bewässerungsperiode würde zwar, so Sailer, den Grundwasserkörper nicht überfordern, allerdings „ohne Berücksichtigung der Salzlacken“.
Es steht also im Raum, dass künftig möglicherweise weniger Wasser entnommen werden darf oder die Entnahme bei langer Trockenheit dynamisch eingeschränkt wird. Doch es ist ein komplexes System, ohne einfache Lösungen.
Wie Neusiedler See und Seewinkel vor dem Austrocknen gerettet werden sollen
Nach der letzten vollständigen Austrocknung von 1865 bis 1872 habe sich der Neusiedler See „ziemlich schnell erholt“, aufgrund von Hochwässern, „wo auch die Donau noch zurückgestaut hat“, erklärt Christian Sailer.
Sollte er jedoch jetzt wieder einmal austrocknen, befürchtet der Referatsleiter der Landesabteilung für Wasserwirtschaft, dass es lange dauere, bis das Wasser zurückkehrt, mit unvorstellbaren Auswirkungen für Kleinklima, Weinbau, Tourismus und auch die Vogelwelt, die Fische im See oder den Schilfgürtel. „Das heißt, die Region ist dann tot für viele Bereiche, es ist nicht lebenswert.“
Die Region ist dann tot für viele Bereiche, es ist nicht lebenswert.
Es drohe auch Staubentwicklung, „die Dokumentationen von 1865 sagen, soweit man denen trauen kann, es hat sehr viele Krankheiten gegeben, von Augenentzündungen beginnend, Hals-Nasen-Beschwerden ...“
Deshalb solle der See jedenfalls als Feuchtlebensraum, Landschaftselement und auch Kulisse erhalten werden, so Sailer, nicht aber für den Tourismus „aufgeblasen“ werden. Dazu gibt es bislang verschiedene Ansätze.
Im Südosten des Sees bestehen zahlreiche Kanäle, die in der Vergangenheit zur landwirtschaftlichen Nutzbarmachung des Hanság gegraben wurden. Deshalb versucht das Land Burgenland nun, das Wasser mit Rückhaltemaßnahmen möglichst lange in der Region zu halten. Hierfür wurden bereits 30 Stauanlagen genehmigt und davon etwa 25 auch schon errichtet.
Ab 2019/20 wälzte das Land gemeinsam mit Ungarn Pläne, einen bestehenden, von der ungarischen Moson-Donau gespeisten Bewässerungskanal zu verlängern und so dem Seewinkel und auch dem Neusiedler See Wasser zuzuführen. Doch 2022 stockten die Verhandlungen, Ungarn sprach sich plötzlich gegen eine Verwendung des Wassers für den See aus – lediglich eine Dotierung des Seewinkels sei möglich – und stoppte das Projekt letztlich aus finanziellen Gründen.
Stattdessen forciert das Burgenland nun gemeinsam mit Niederösterreich, das im Osten eben auch stark von Trockenheit betroffen ist, eine innerösterreichische Lösung. Dabei soll Wasser in Grenznähe zur Slowakei (Raum Hainburg) aus der Donau ins Seewinkel geleitet werden. Eine Machbarkeitsstudie läuft, fünf verschiedene Varianten werden untersucht. Anfang September 2024, noch vor der Nationalratswahl, unterzeichneten Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (B) und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (NÖ) eine diesbezügliche Grundsatzvereinbarung.
Aber das Thema Wasserzuleitung hat auch Kritiker. Umweltschutzorganisationen wie der WWF, Greenpeace oder Christian Schuhböcks „Alliance For Nature“ fürchten ökologische Auswirkungen, etwa ein Absinken des Salzgehalts oder noch mehr Schlamm im See. Die Gefahr der Aussüßung sieht man angesichts der Menge sowie Art und Weise, wie das Wasser zugeführt werden soll, beim Land nicht. Wohl aber jene der erhöhten Schlammbildung. „Die kann man aber auch in Griff bekommen“, sagt Referatsleiter Christian Sailer.
Text und Recherche: Jonas Binder und Anna Stockhammer
Kartengrafik: Eva Wabscheg
Kartenquellen: Verein Welterbe Neusiedler See/Unesco, Ramsar, Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel; Sentinel Hub/Copernicus/Sentinel 2; OpenStreetMap; fertopart.hu
Quellen: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel; Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft; Naturschutzbund Burgenland; Wasserportal Burgenland; Land Burgenland; Verein Welterbe Neusiedler See; Greenpeace, Österreichisch-Ungarische Gewässerkommission/Strategiestudie Neusiedler See; Managementplan Welterberegion
Videos: Anna Stockhammer (4); Jonas Binder (2); Fertő tó barátai/Gyula Major
Fotos: Jonas Binder (13); Land Burgenland, Sentinel Hub/Copernicus/Sentinel (3); Imago Images/Viennareport/Leopold Nekula; Seemanagement Burgenland GmbH (6); Imago Images/Imagebroker (3), Imago Images/Blickwinkel