München 1972

Olympische Spiele zwischen
Triumph und Terror

Vor 50 Jahren stürmen am 5. September 1972 palästinensische Terroristen das Quartier der israelischen Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München. Bis heute bleiben Fragen nach der Verantwortung ungeklärt.

Von Klaus Zeyringer

Wir kennen Bilder, die vieles überdecken: Eine gesichtslose Gestalt unter einer Sturmhaube beugt sich beobachtend über einen Balkonrand; ein Mann mit dunkler Brille unter hellem Schlapphut steht an einer Tür und verhandelt; ein ausgebrannter Hubschrauber. Diese Fotos von den Olympischen Spielen 1972, die von 26. August bis 11. September in München ausgetragen wurden, besetzen das kollektive Gedächtnis. Hinter ihnen sind zehn Tage Freude, sind Leistungen verblasst. Wer kennt heute Mark Spitz, den großen Gewinner, oder Heide Rosendahl, das bundesdeutsche Idol dieser Spiele?

Die Eröffnungsfeier im Olympiastadion

Sie waren, wie angesagt, heiter verlaufen, wurden von tödlicher Gewalt unterbrochen und endeten in zutiefst gedrückter Stimmung. Die Zäsur am elften und zwölften Tag, als alle Wettkämpfe einem Kampf ums Leben wichen, bedeutete einen Einschnitt nicht nur für das größte Sportereignis der Welt. Fünfzig Jahre ist es her, dass der Terrorismus erstmals eine globale – prinzipiell friedensbewegte – Veranstaltung kippte. Das Fernsehen übertrug direkt.

Die palästinensische Terrororganisation "Schwarzer September" nimmt im Olympischen Dorf Israelis als Geiseln

Leichtathletin Heidemarie Ecker (BRD) holte 1972 in München zwei Goldmedaillen und eine Silbermedaille.

Leichtathletin Heidemarie Ecker (BRD) holte 1972 in München zwei Goldmedaillen und eine Silbermedaille.

Dabei fing alles mit Gegenbildern an. Willi Daume, der Präsident des Olympischen Komitees der BRD, überzeugte Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, die Sommerspiele nach München zu holen. Ausgerechnet 36 Jahre nach Berlin 1936, ein Vierteljahrhundert nach deutscher Barbarei von Weltkrieg und Holocaust. Gerade in der – von Nazis so genannten – "Hauptstadt der Bewegung" gelte es, das moderne, friedliche Deutschland zu präsentieren. Völlig anders als das von Hitler ausgenützte Olympia: nicht als militante Machtgestikulation, nicht unter gewaltigen Formen, nicht in verbissener Ordnung. Vielmehr freundschaftlich verbunden mit aller Welt, freudig locker. München versprach "heitere Spiele".

Der Moment schien günstig. Der Konjunkturmotor brummte, SPD-Kanzler Willy Brandt führte eine offenere Ostpolitik, die innere Lage war entspannt, denn die Spitzen des deutschen Terrorismus saßen in Haft.

In allen Bereichen gaben die Organisatoren dem Spektakel leichte Formen. Das umfangreiche Kulturprogramm brachte etwa die Royal Shakespeare Company und Folklore aus vier Kontinenten, Louis Armstrong und Ginger Baker auf die Bühne. Eine "Spielstraße" diente als Gegenbild zum Kampf um Medaillen. Das Design, das allem einen gemeinsamen Charakter verlieh, gestaltete man farbenhell – verantwortlich zeichnete der Schwager von Sophie Scholl, der Widerstandsheldin gegen das NS-Regime. Und die Architektur stand für den Gesamteindruck: Das Stadiondach schien ohne sichtbehindernde Stützen über den Tribünen zu schweben.

Die Medien vermittelten ein Fest der Weltoffenheit: jubelnde Fans, Umarmungen auf den Wiesen des sanft geschwungenen Olympiageländes, eine Modenschau der Nationen. Herzhaft beklatschte man die sieben Goldenen des US-Schwimmers Mark Spitz, den Sieg von Heide Rosendahl im Weitsprung (um einen Zentimeter!) und mit der 100-Meter-Staffel.

US-Schwimmer Mark Spitz gewann sagenhafte sieben Goldmedaillen.

US-Schwimmer Mark Spitz gewann sagenhafte sieben Goldmedaillen.

Am Flughafen von Fürstenfeldbruck geht die Befreiungsaktion im Kugelhagel unter

Hinter der heiteren Fassade bestanden jedoch dunkle Flecken. Die Bilder vor dem 5. September überdeckten ihrerseits weniger Heiteres. Willi Daume war ein eifriger Nazi gewesen; Leni Riefenstahl, die NS-Regisseurin des Heldenfilms über Berlin 1936, zeigte sich in München telegen präsent. Viel stärker trat selbstverständlich Avery Brundage, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), in den Medien hervor. 1936 hatte er Hitler in die Hände gearbeitet und einen Boykott verhindert, bei Olympia 1968 die gegen die US-Rassentrennung protestierenden Sprinter rauswerfen lassen. "Slavery Brundage" nannte man ihn. Im Vorfeld der Münchner Spiele hatte er sich gegen den Ausschluss Rhodesiens wegen der dortigen Apartheid gewehrt, jedoch wegen der Boykottdrohung afrikanischer Staaten klein beigeben müssen.

Unpolitisch sind die Spiele nie gewesen. Die Politik saß auch in München auf der Tribüne. In der BRD standen Wahlen an, nicht nur Willy Brandt weilte lange bei Olympia, um das heitere, erfolgreiche Image mitzunehmen. Und zum ersten Mal trat ein eigenes Team der DDR an, die ja von Westdeutschland nicht anerkannt, sondern als "Ostzone" bezeichnet wurde. Es holte 20 Goldene, die BRD 13 – vom Staatsdoping sprach niemand.

Das offiziell Heitere zerbrach am 5. September. Palästinenser drangen ins israelische Quartier ein, das Geiseldrama endete in wilder Schießerei auf dem Flugfeld von Fürstenfeldbruck. Fünf der Palästinenser, ein deutscher Polizist und elf Israelis starben: Wieder wurden auf deutschem Boden Juden ermordet. Bei der Trauerfeier löste der tragische Klang von Beethovens zweitem Satz der "Eroica" die "Ode an die Freude" ab.

Das Ambiente hatte den Terroranschlag erleichtert. Die Sicherheitsvorkehrungen waren so locker gehandhabt worden, dass jeder Mensch im Trainingsanzug ins Olympische Dorf zu gelangen vermochte. Vorbeikommende hatten es nicht ungewöhnlich gefunden, dass in aller Früh Männer mit Sporttaschen über den Zaun eingestiegen waren. Organisatoren, Politiker und Polizei erwiesen sich trotz einschlägiger Warnung als planlos und dilettantisch. Nach dem Terror war es mit der Offenheit vorbei: Bis heute sind Dokumente unter Verschluss, bleiben einige Hintergründe und Verantwortlichkeiten unklar.

Der damalige BRD-Innenminister Hans-Dietrich Genscher (Zweiter von links) bei Verhandlungen mit Issa (ganz rechts), dem Anführer der Geiselnehmer.

Der damalige BRD-Innenminister Hans-Dietrich Genscher (Zweiter von links) bei Verhandlungen mit Issa (ganz rechts), dem Anführer der Geiselnehmer.

Berichterstattung in Zeitungen.

Berichterstattung in Zeitungen.

Nicht nur bei Olympia schlug die Stimmung um. München war der erste Akt eines sich globalisierenden Terrorismus. Ein Palästinenser erklärte: "Sport ist die moderne Religion der westlichen Welt, wir haben die heiligste Zeremonie getroffen."

Die Herren der Ringe verbanden in der Folge Olympia zunehmend mit der anderen Religion, dem Kommerz. Im IOC stärkte Adidas seinen Einfluss, in München war der Konzern omnipräsent, mit Mark Spitz als Werbeträger. Als der amerikanische Star auf dem Podium seine Schuhe hochhielt, erteilte ihm Brundage eine Rüge – bei den Winterspielen hatte er Karl Schranz wegen eines Kaffee-Trikots ausschließen lassen. Die letzte Rede in seiner Funktion hielt Brundage bei der Trauerfeier. "The games must go on", verkündete er.

Und die Show ging weiter, immer größer, immer umweltschädlicher, immer mehr Kommerz. Für München blieb die Erinnerung, blieben die Bauten und die Bilder.

Chronologie des Attentates auf die israelische Olympiamannschaft

Tag 1

In Sportkleidung und mit Sporttaschen voller Maschinenpistolen und Handgranaten übersteigen acht palästinensische Terroristen den Sicherungszaun des Olympischen Dorfes.

Die Terroristen besetzen das Quartier der israelischen Olympiamannschaft
in der Connollystraße 31. Das Gebäude wird nicht bewacht, der Eingang ist auch nicht verschlossen.

Bei der Besetzung des Gebäudes durch die Terroristen kommt es zu einem ersten Schusswechsel. Der Trainer der israelischen Gewichtheber, Moshe Weinberger, leistet Widerstand. Dadurch ermöglicht er es einigen Sportlern, noch zu fliehen. Gewichtheber Josef Romano wird angeschossen. Die Terroristen haben neun weitere Geiseln in ihrer Gewalt.

In der Connollystraße erhalten Polizisten von maskierten Terroristen mit Maschinenpistolen im Anschlag ein schriftliches Ultimatum. Es ist auf 9.00 Uhr terminiert und verlangt, 200 in Israel einsitzende Häftlinge freizulassen.

Ein anonymer Anrufer ruft das Rote Kreuz ins Olympische Dorf. Die Helfer finden Weinberger tot vor, der verletzte Romano darf nicht behandelt werden und verblutet.

Einer der maskierten Terroristen gibt sich als Anführer aus. Er spricht deutsch.

Der deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher und Bayerns Innenminister Bruno Merk treffen im Olympischen Dorf ein.

Die Terroristen geben sich als Angehörige der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" zu erkennen.
Sie hat bereits im Februar in Köln fünf Jordanier ermordet. Nach Verhandlungen wird das Ultimatum bis 12.00 Uhr verlängert.

Der israelische Botschafter trifft ein und erklärt, seine Regierung werde die Gefangenen nicht freilassen.

Das Ultimatum wird bis 15.00 Uhr verlängert. Polizisten verkleiden sich als Servicekräfte, um bei der Essensanlieferung im israelischen Quartier die Lage zu erkunden. Der Plan geht nicht auf. Einer der Attentäter bringt die Kisten mit dem Essen selbst ins Haus.

Nochmalige Verlängerung des Ultimatums bis 17.00 Uhr.

Die Spiele werden unterbrochen.

Genscher darf das Quartier betreten und weitere Gespräche führen. Die Geiselnehmer fordern ein Flugzeug in Richtung Kairo. Die ägyptische Regierung lehnt eine Landung in Kairo später ab.

Die Terroristen verlangen, zusammen mit ihren Geiseln zum Militärflughafen in Fürstenfeldbruck geflogen zu werden. Nur zum Schein geht der Krisenstab auf diese Forderung ein. In Wahrheit sollen die Geiselnehmer auf dem Flugplatz überwältigt werden.

Zwei Hubschrauber mit Attentätern und Geiseln starten Richtung Fürstenfeldbruck.

Die Helikopter landen. Mindestens vier Terroristen steigen aus. Zwei nehmen den nahen Passagierjet in Augenschein. Dort sollten sie von Polizisten in Lufthansa-Uniformen überwältigt werden. Aber die Beamten lehnen den Einsatz wegen des hohen Risikos kurzfristig ab. Die Terroristen erkennen beim Anblick der leeren Maschine die Falle. Scharfschützen erschießen nun vier Attentäter außerhalb der Hubschrauber. Unmittelbar darauf eröffnen die restlichen Terroristen das Feuer. Zwei Mitglieder der Hubschrauber-Besatzung werden verletzt, ein Polizist stirbt.

Tag 2

Ein Terrorist springt aus einem der Hubschrauber und wirft eine Handgranate hinein. Am Ende des Blutbads sind fünf Terroristen tot und drei festgenommen. Keine der neun Geiseln überlebt.

Trauerfeier für die ermordeten Israelis im Olympiastadion. Einen Tag später gehen die Spiele weiter.

Digitale Umsetzung: Ulrike Hofer

Fotos: Imago (6), Picturedesk (2)