SPANNUNGEN IM KOSOVO

Wenn Frieden nur aus sicherer Entfernung möglich ist

LOKALAUGENSCHEIN. Am 24. September 2023 verübten militante Serben einen Anschlag im Norden des Kosovo und ließen die Gewalt im Land erneut aufflammen. Wir haben die Region besucht und uns auf die Spuren von alten Bruchlinien und neuen Wunden begeben.

Von Daniela Breščaković

In Mitrovica bleibt jeder auf seiner Seite. Serben im Norden, Albaner im Süden. In der Stadt im Norden des Kosovo beginnt der serbisch dominierte Teil des Landes und damit die Spaltung und Wut im kleinen, jungen Staat. Flaggen dienen dazu, die Grenzen der zertrennten Welten abzustecken. Sie hängen in den Fenstern der Kindergärten, in der Auslage der Apotheken, vor Lokalen, in Bäckereien, neben kyrillischen Plakaten und Graffitis, mit der Aufschrift „Ovo je Srbija“, „Das ist Serbien“.

Seit dem 24. September 2023 ist die Lage im Kosovo wieder deutlich angespannter. An diesem Tag wurde in Banjska, einem kleinen Ort in der Gemeinde Zvečan, etwa 15 Kilometer von Mitrovica entfernt, ein kosovarischer Polizist von militanten Serben erschossen. Seither wächst der Druck von außen, der Konflikt spitzt sich zu: Der kosovarische Präsident Albin Kurti wirft dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić vor, einen Angriff auf den Kosovo zu planen und Soldaten an der Grenze zu stationieren. Vučić dementierte das. Die Gespräche zwischen Kurti und Vučić seien derzeit in einer „Sackgasse“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 26. Oktober 2023 am Rande des EU-Gipfels. 

Der  Kosovo  liegt in Südosteuropa und grenzt an Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Serbien. Die Hauptstadt des Kosovo ist Pristina (albanisch Prishtinë). Die albanische Bevölkerung macht die Mehrheit der rund 1,8 Millionen Einwohner des Landes aus und wird auf mehr als 90 Prozent geschätzt. Die serbische Bevölkerung bildet eine signifikante Minderheit. Ihr Anteil liegt bei rund sieben Prozent.

Völkerrechtlich ist der Kosovo derzeit von 117 Staaten als unabhängig anerkannt. Länder wie Serbien, Russland und China, aber auch fünf EU-Mitgliedsstaaten (Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und die Republik Zypern) erkennen die Unabhängigkeit jedoch bis heute nicht an. Mit seinem nördlichen Nachbar Serbien verbindet die ehemalige jugoslawische Teilregion eine schwierige Geschichte.

Der Norden des Landes, auch als  Nordkosovo  bezeichnet, wird zu einem Großteil von ethnischen Serben bewohnt und setzt sich aus den vier Gemeinden Nord-Mitrovica, Leposavić, Zvečan (albanisch Zveçani) und Zubin Potok zusammen. Hier leben auf einer Fläche von 1300 Quadratkilometern (ca. zwölf Prozent der Gesamtfläche des Kosovo) etwa 50.000 Menschen.

MitrovicëMitrovica (albanisch Mitrovicë) ist eine gespaltene Stadt. Sie wird durch den Fluss Ibar (albanisch Ibër) in einen  nördlichen , vorwiegend von Serben bewohnten Stadtteil und in einen  südlichen , albanischen Stadtteil geteilt. Insgesamt leben rund 69.000 Menschen in der Stadt. Auch in administrativer Hinsicht sind die beiden Stadthälften unterschiedlichen Gemeinden zugeordnet: Der größere Süden gehört zur Gemeinde Mitrovica e Jugut, während der Norden die Gemeinde Severna Kosovska Mitrovica bildet. Die Währungen teilen sich in serbischen Dinar und Euro.

MitrovicëIn Mitrovica/Mitrovicë wird sowohl Serbisch als auch Albanisch gesprochen. Viele junge Menschen verständigen sich untereinander nur mit Englisch. Die örtliche Universität hat sowohl einen Standort im Norden als auch im Süden. Um einen Austausch zwischen den Studierenden zu fördern, wird jeden Monat der Standort gewechselt: Serbische Studierende wandern in den südlichen, albanischen Stadtteil und albanische Studierende in den nördlichen, serbisch-dominierten Stadtteil.

Zvečan Auch Zvečan/Zveçani ist eine der vier Gemeinden im Nordkosovo. Die Kommune hat verschiedenen, älteren Angaben zufolge etwa 10.000 bis gut 16.000 Einwohner, vorrangig Serben. 1990 wurde die eigenständige Gemeinde Zvečan gebildet, bis dahin stand der Ort unter der Verwaltung von Mitrovica. Bei Angriffen auf KFOR-Truppen wurden hier am 29. Mai 2023 insgesamt 53 Personen verletzt.

BanjskaBanjska (bzw. albanisch Banjskë) gehört zur Gemeinde Zvečan/Zveçani. Am 24. September 2023 ereignete sich dort ein Angriff, bei dem 30 militante Serben einen Anschlag verübt und dabei einen kosovarischen Polizisten getötet hatten. Auch drei der serbischen Paramilitärs wurden dabei tödlich verletzt. Die Täter brachen das Gitter zum Kloster Banjska auf und verschanzten sich dort über mehrere Tage. Der Angriff löste erneut Spannungen im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo aus.

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Der  Kosovo  liegt in Südosteuropa und grenzt an Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Serbien. Die Hauptstadt des Kosovo ist Pristina (albanisch Prishtinë). Die albanische Bevölkerung macht die Mehrheit der rund 1,8 Millionen Einwohner des Landes aus und wird auf mehr als 90 Prozent geschätzt. Die serbische Bevölkerung bildet eine signifikante Minderheit. Ihr Anteil liegt bei rund sieben Prozent.

Völkerrechtlich ist der Kosovo derzeit von 117 Staaten als unabhängig anerkannt. Länder wie Serbien, Russland und China, aber auch fünf EU-Mitgliedsstaaten (Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und die Republik Zypern) erkennen die Unabhängigkeit jedoch bis heute nicht an. Mit seinem nördlichen Nachbar Serbien verbindet die ehemalige jugoslawische Teilregion eine schwierige Geschichte.

Der Norden des Landes, auch als  Nordkosovo  bezeichnet, wird zu einem Großteil von ethnischen Serben bewohnt und setzt sich aus den vier Gemeinden Nord-Mitrovica, Leposavić, Zvečan (albanisch Zveçani) und Zubin Potok zusammen. Hier leben auf einer Fläche von 1300 Quadratkilometern (ca. zwölf Prozent der Gesamtfläche des Kosovo) etwa 50.000 Menschen.

MitrovicëMitrovica (albanisch Mitrovicë) ist eine gespaltene Stadt. Sie wird durch den Fluss Ibar (albanisch Ibër) in einen  nördlichen , vorwiegend von Serben bewohnten Stadtteil und in einen  südlichen , albanischen Stadtteil geteilt. Insgesamt leben rund 69.000 Menschen in der Stadt. Auch in administrativer Hinsicht sind die beiden Stadthälften unterschiedlichen Gemeinden zugeordnet: Der größere Süden gehört zur Gemeinde Mitrovica e Jugut, während der Norden die Gemeinde Severna Kosovska Mitrovica bildet. Die Währungen teilen sich in serbischen Dinar und Euro.

MitrovicëIn Mitrovica/Mitrovicë wird sowohl Serbisch als auch Albanisch gesprochen. Viele junge Menschen verständigen sich untereinander nur mit Englisch. Die örtliche Universität hat sowohl einen Standort im Norden als auch im Süden. Um einen Austausch zwischen den Studierenden zu fördern, wird jeden Monat der Standort gewechselt: Serbische Studierende wandern in den südlichen, albanischen Stadtteil und albanische Studierende in den nördlichen, serbisch-dominierten Stadtteil.

ZvečanAuch Zvečan/Zveçani ist eine der vier Gemeinden im Nordkosovo. Die Kommune hat verschiedenen, älteren Angaben zufolge etwa 10.000 bis gut 16.000 Einwohner, vorrangig Serben. 1990 wurde die eigenständige Gemeinde Zvečan gebildet, bis dahin stand der Ort unter der Verwaltung von Mitrovica. Bei Angriffen auf KFOR-Truppen wurden hier am 29. Mai 2023 insgesamt 53 Personen verletzt.

BanjskaBanjska (bzw. albanisch Banjskë) gehört zur Gemeinde Zvečan/Zveçani. Am 24. September 2023 ereignete sich dort ein Angriff, bei dem 30 militante Serben einen Anschlag verübt und dabei einen kosovarischen Polizisten getötet hatten. Auch drei der serbischen Paramilitärs wurden dabei tödlich verletzt. Die Täter brachen das Gitter zum Kloster Banjska auf und verschanzten sich dort über mehrere Tage. Der Angriff löste erneut Spannungen im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo aus.

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Überall trägt der Norden Kosovos Spuren der Aggression und Verherrlichung Russlands. Sei es ein Plakat mit serbischer Flagge, das auch das Gesicht Wladimir Putins zeigt oder ein Schild, wo er neben dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem ebenfalls serbischen Tennis-Superstar Novak Đoković als Ehrenbürger der Gemeinde Zvečan gefeiert wird.

Das Plakat mit den Ehrenbürgern von Zvečan

Das Plakat mit den Ehrenbürgern von Zvečan

Die Gewalt am Kosovo ist tief verwurzelt. Der Konflikt reicht sogar zurück bis ins Jahr 1389. Nach der Niederlage in der Schlacht auf dem Amselfeld (serbisch „Kosovo polje“) musste die serbisch-bosnisch-albanische Koalitionsarmee das Land damals an die Osmanen abtreten, die versuchten, ihr Reich auf dem Balkan zu etablieren. Während die muslimischen Bosniaken und Albaner den Ausgang der Schlacht akzeptierten, leisteten die orthodox-christlichen Serben Widerstand. 

Im Jahr 1990, als der damalige serbische Präsident Slobodan Milošević die Autonomie der zu 80 Prozent albanisch besiedelten Provinz aufhob, entfachte er damit ein Feuer des aggressiven Nationalismus. Die Kosovo-Befreiungsarmee kämpfte gegen die serbische Herrschaft und Unterdrückung. 1999 marschierten schwerbewaffnete Einheiten der jugoslawischen Armee und serbische Paramilitärs ins Land, es kam zu Massakern an Zivilisten; die Nato griff ein. Mehr als 13.000 Menschen wurden im Kosovokrieg getötet oder gelten bis heute als vermisst.

Für den Politologen Milan Protić ist Frieden am Kosovo nur möglich, wenn alle bereit sind, auf Kompromisse einzugehen.

Mitgliedschaft für Mitgliedschaft. Serbien wird ein Teil der EU und kann dadurch nicht mehr unkontrolliert agieren. Der Kosovo wird Mitglied der Vereinten Nationen.
Milan Protić, Politologe

In der Bevölkerung des Kosovos herrscht aber bis heute die Angst, dass der Krieg jederzeit wieder ausbrechen könnte.

Zoran steht am Fluss Ibar. An der Außenwand eines Restaurants prangt ein Graffiti mit politischer Botschaft: „Čekamo“, „Wir warten“, steht da mit einem Ausrufezeichen. Darunter ein Kämpfer mit Machete und Schutzschild, umgeben in den serbischen Nationalfarben: Rot, Blau, Weiß. Seit acht Monaten arbeitet der aus dem Kosovo stammende Serbe, der eigentlich anders heißt, als Polizist im südlichen, albanischen Teil der Stadt. Er will anonym bleiben, denn heute wird „vieles, was man sagt, missverstanden“. Gemeinsam mit der italienischen Spezialeinheit der Carabinieri bewacht er die „Neue Brücke“, „Novi Most“, die im Juni 2001 nach dem Kosovokrieg um mehr als eine Million Euro mithilfe der EU renoviert wurde und seit 22 Jahren ungenutzt ist. Noch nie sei ein Auto vom Süden in den Norden der Stadt gefahren – und umgekehrt. Nur Fußgänger dürfen die Brücke überqueren.

Blick auf den Fluss Ibar von der Brücke Novi Most

Blick auf den Fluss Ibar von der Brücke Novi Most

Hier passiert viel Unlogisches.
Zoran, aus dem Kosovo stammender serbischer Polizist

Die zunehmende Eskalation hat dazu geführt, dass bis auf Ribariće-Mitrovica alle Grenzübergänge zu Serbien geschlossen wurden.

Wer mit einem serbischen Kennzeichen in den Kosovo einreisen wollte, bekam an der Grenze vier weiße Aufkleber. Diese wurden jeweils über die Länderkennung und die Zulassungsplakette geklebt. Damit zeigen die im Kosovo lebenden Serben, dass sie die staatlichen Einrichtungen dort nicht anerkennen. Fast alle ethnischen Serben im Kosovo nutzen die in Serbien ausgestellten Kfz-Kennzeichen aus der Zeit, als die Region zu Serbien gehörte.

„Alles in diesem Land ist politisch“, sagt Abis Isa. Das fängt beim Geld an. „Im Norden zahlt man mit Dinar, im Süden mit Euro, dort spricht man Serbisch, hier Albanisch.“ Der 85-jährige Pensionist lebt mit seiner Frau Asima schon sein ganzes Leben im Süden von Mitrovica. Er gehört inzwischen zu den wenigen Bewohnern, die beide Sprachen sprechen: Albanisch und Serbisch.

Asima (70) und ihr Mann Abis (85) Isa

Asima (70) und ihr Mann Abis (85) Isa

Anders als der 21-jährigen Kristijan Lazarević. Der junge Serbe studiert an der örtlichen Universität. Mit den albanischen Studierenden spricht er auf Englisch:

Nur so können wir uns untereinander verständigen.
Kristijan Lazarević, serbischer Student

Die Universität hat zwei Standorte: einen auf der serbischen Seite, einen auf der albanischen. Jeden Monat werde getauscht, sagt Lazarević. „Einen Monat lang studieren wir im Süden, dann wechseln die albanischen Studenten in den Norden.“ Doch außerhalb der Universität hat der 21-Jährige, wie viele seiner Freunde, kaum Kontakt zu „den anderen“, sagt er.

In beiden Stadthälften von Mitrovica findet das Leben parallel statt. Doch ein friedliches Miteinander scheint bis heute nur aus der Entfernung möglich zu sein.

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Digitale Aufbereitung: Alina Pichler und Jonas Binder

Fotos: KLZ/Daniela Breščaković

Karte: Flourish/OpenStreetmap, University of Texas Libraries