RECHERCHE

Klimabaustelle
Amateurfußball

Von Markus Lösel, Friedrich Hainz und Dominik Blümel

Urlaub, Verkehr, Arbeit, Ernährung – fast jeder Lebensbereich wird mittlerweile auf seinen Beitrag zur Klimakrise abgeklopft. Wo können wir CO2 vermeiden, wo einsparen?

Im Amateurfußball, der jedes Wochenende Tausende Kicker und Fans bewegt, ist diese Debatte aber noch nicht angekommen. Eine Geschichte am Beispiel der steirischen Saison 2021/2022 über volle Busse, leere Autos, unnötige Kilometer, jede Menge schlechte Luft und viel Potenzial.

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Freitag, 14.30 Uhr, Sportplatz Mürzzuschlag: Spieler, Funktionäre und Fans treffen sich am Parkplatz zur Abreise. Edelfan Klausi packt Sporttaschen, Bälle, Dressen und zwei Kisten Bier in den Bus. Der Busfahrer ordnet und stapelt die Taschen. Heutiges Ziel in der Unterliga Nord A: Haus im Ennstal, am anderen Ende der Steiermark.

Gefahren wird mit dem Bus – 50 Sitze für Mannschaft und Anhang. Die Fahrt wird lang. Obwohl Haus im Ennstal rund 180 Kilometer entfernt liegt, spielen die beiden Teams in einer Liga. So fahren die Mürzer über zweieinhalb Stunden durch die Obersteiermark, um am Ende in der "Ennsbodenarena" zu Haus aufzulaufen.

Der Bus sei dabei selbstverständlich, meint Helmut Hähnel, Sportlicher Leiter des ESV: "Solche Distanzen sind im Bus schon eine Zumutung. Privat kommt das gar nicht erst infrage, das tun wir unseren Spielern und der Umwelt nicht an. Für die weiten Auswärtsspiele organisieren wir den großen Bus, für Spieler und Fans. Kürzere fahren wir mit zwei Neunsitzern und einem Auto."

Diese Selbstverständlichkeit findet man in der Steiermark aber nicht überall.

Insgesamt261 Vereine gibt es im steirischen Amateurfußball bis einschließlich der Oberliga in der Saison 2021/22.

Von diesen 261 Vereinen nutzt gerade einmal ein Fünftel überhaupt einen Bus.

Und davon knapp mehr als die Hälfte nutzt ihn wirklich bei jedem Auswärtsspiel – gerade einmal 30 Vereine.

Dabei verursacht eine Busfahrt rund 60 Prozent weniger Co2-Emissionen als eine Autofahrt, bedenkt man, dass die Fahrgemeinschaften meist nicht voll besetzt sind. Für die Vereine hingegen ist die Busfahrt allerdings eine Kostenfrage. Nur wenige können sich die Anschaffung oder Leihe von Bussen leisten.

Hinweis
Die Zahlen und Berechnungen dieser Recherche beziehen sich auf die steirische Fußballsaison 2022. Für die neue Saison ist naturgemäß eine neue Einteilung erfolgt – die ändert aber am grundsätzlichen Problem nur wenig.

Der Steirische Fußballverband verweist auf Anfrage auf einen seit 2017 existierenden Zuschuss für die Anschaffung von Vereinsbussen. Das Problem: Kein einziger steirischer Fußballklub weiß etwas von einer Busförderung, das zeigt die durchgeführte Umfrage bei den Verantwortlichen.

Derweil ergreift Hähnel die Chance, um Spieler und Schlachtenbummler über das rauschende Busmikro zu begrüßen. Von den hinteren Reihen wird darauf lautstark sein Name skandiert.

Auch Edelfan Klausi, der kein ESV-Spiel verpasst, bekommt lautstarke Sprechchöre.

"Bei einem Auswärtsspiel in Admont war in den Neunsitzern kein Platz mehr für mich frei. Da bin ich am Vorabend mit dem Zug angereist und hab’ im Kloster geschlafen", erinnert er sich zurück. Ansonsten sitzen im Bus vor allem Angehörige der Spieler. Von den jüngsten die Eltern, von den älteren Kinder und Partnerin.

Generell gilt in der Steiermark: Je nördlicher der Verein, desto eher reist er mit dem Bus an. Schließlich werden die Distanzen in den dünner besiedelten nördlichen Gebieten schnell zur Farce. In der Unterliga Nord A, der Klasse mit den längsten Distanzen, in der auch Mürzzuschlag spielt, fahren dennoch nur 6 von 13 Vereinen regelmäßig mit dem Bus.

Insgesamt spult die gesamte Liga pro Saison nahezu 28.000 Kilometer ab, das entspricht einer Autofahrt von Graz nach Kapstadt (Südafrika) und zurück.

Zweimal im Flugzeug um die Welt

Würden in der Unterliga Nord A alle Vereine in Autos zu je drei Personen anreisen, was dem steiermarkweiten Schnitt entspricht, ergäbe das einen Co2-Ausstoß von 41 Tonnen Co2-Äquivalenten pro Saison – vergleichbar mit 1000 Autofahrten von Graz nach Wien oder einer viermonatigen Kreuzfahrt.

 Wäre die gesamte Liga mit Vereinsbussen ausgestattet, könnte man den jährlichen Co2-Ausstoß auf rund 16 Tonnen verringern. Die entstehende Differenz würde reichen, um eine Person mit dem Flieger zweimal um die Welt zu schicken.

Der Steirische Fußballverband sieht sich zwar "in einer gesellschaftlichen Vorbildfunktion", kann aber auf die Vereine nur beratend einwirken: "Im Bereich der Mobilität sind unsere Mitgliedsvereine als eigenständige Rechtskörper tätig und kann der Verband nur indirekt auf seine Vereine einwirken, um Fahrgemeinschaften zu bilden oder einen Vereinsbus für die Auswärtsspiele zu nutzen."

Die Unterliga Nord A, mit ihren horrenden Distanzen, mag zwar ein Extrembeispiel sein, aber dennoch ist sie nur eine von insgesamt 25 Ligen in der Steiermark.

In Haus angekommen, geht es für die Spieler des ESV direkt in die Kabine. Die fast dreistündige Fahrt sitzt allen Beteiligten noch in den Knochen. Der Wettbewerbsnachteil seiner Truppe liegt für Hähnel auf der Hand: "So ein Bus kostet uns 800 bis 1000 Euro pro Fahrt, der Neunsitzer immerhin 150 bis 200, das Geld können andere Vereine in die Spieler oder die Anlage stecken!"

Und auch die Spieler selbst stehen durch die langen Auswärtsfahrten vor großen Herausforderungen, wie Simon Schuttnig erklärt: "15 Uhr Abfahrt, 19 Uhr Anpfiff, 1 Uhr Ankunft daheim, das ist verrückt. An einem Freitag wie heute müssen da viele früher von der Arbeit gehen oder gar ganz die Schicht tauschen. Außerdem sind 180 Kilometer vor einer so wichtigen Partie auch nicht gerade die beste Vorbereitung."

Kilometer, die so eigentlich gar nicht nötig wären, betrachtet man die Klassenstruktur einmal genauer.

Insgesamt gibt es im Gebiet Nord 26 Unterliga-Vereine, aufgeteilt in die Unterliga Nord A und die Unterliga Nord B. Statt der logischen Aufteilung in westliche und östliche Vereine entschied man sich dazu, die 26 Klubs noch einmal in etwas nördlichere und etwas südlichere Vereine einzuteilen.

So spielen Klubs aus dem Ennstal regelmäßig gegen Klubs aus dem Mürztal und umgekehrt, einer unzumutbaren Distanz von je über 130 Kilometern.

Vor der Saison 2016/17 haben wir uns die Kilometer sogar durchgerechnet und dem Verband einen konkreten Vorschlag für eine Klassenreform gemacht.
Walter Rinnhofer, Obmann ESV Mürzzuschlag

Passiert ist seitdem nichts. Obwohl damals mit einem Wechsel von nur vier Mannschaften innerhalb der beiden Nordligen rund 5000 Fahrkilometer pro Saison hätten gespart werden können, wurde der Antrag abgelehnt.

Auf Anfrage verweist der Steirische Fußballverband darauf, dass damals keine Mehrheit unter den Klubs zustande gekommen sei, zeigt sich aber bemüht, um in der kommenden Saison "gemeinsam mit den Vereinen, eine mehrheitstaugliche Lösung zu finden". Ob diese auch gefunden wird, hängt von den Vereinen Unterliga Nord B ab, immerhin wurden diese bei der aktuellen Aufteilung bevorzugt.

Aktualität hat die Idee einer Klassenreform auch heute noch – rechnet man nach, sogar noch mehr als früher.

Wirft man heute einen Blick auf die Liga und trennt die Vereine nur überschlagsmäßig in Ost und West, könnten gesamt sogar 9340 Kilometer erspart werden. Nimmt man an, dass sich die Fahrsituation bei den einzelnen Vereinen nicht ändert, würde dies eine Einsparung von rund sieben Tonnen Co2 pro Saison bedeuten.

In der Ennsbodenarena erlöschen indes die Flutlichter. Der ESV Mürzzuschlag belohnt sich für die lange Anreise und siegt mit 3:1. Zwei Hotdogs und isotonische Hopfengetränke später sitzen Spieler und Fans müde, aber zufrieden wieder im Bus.

"Irgendwie motiviert die lange Fahrt auch. Weil nach einer Niederlage zweieinhalb Stunden heimfahren will keiner", scherzt Schuttnig. Das wirkt sich auch auf die Ergebnisse aus: Keine Mannschaft der Liga holte auswärts mehr Punkte oder schoss mehr Tore.

Über die Recherche: Wir haben für die Saison 2021/22 einen Fragebogen an alle Vereine von der 1. Klasse bis zur Oberliga versandt. Die Vereine entnahmen wir dabei von der Homepage des Steirischen Fußballverbands. Um den Rahmen nicht zu sprengen, wurden bloß Erste Kampfmannschaften berücksichtigt (Ausnahme: SC Bruck/Mur II, da die Mannschaft in der Unterliga Nord B spielt). Ein Drittel der 261 Mannschaften hat unseren Fragebogen online ausgefüllt, die restlichen Vereine wurden telefonisch kontaktiert.

Die Emissionsberechnungen wurden mit Daten des deutschen Umweltbundesamtes durchgeführt. Die Distanzen der Auswärtsfahrten wurden mit Online-Kartendiensten berechnet und auf ganze Zahlen gerundet. Weitere Informationen erhielten wir auf Nachfrage vom Steirischen Fußballverband, dem Umwelt-Ressort und dem Sport-Ressort des Landes Steiermark. Weitere Quelle: https://co2.myclimate.org/de/cruise_calculators/new

Interaktive Umsetzung: Jonas Pregartner