VERLORENE TÖCHTER
Wie zwei junge Frauen in die Fänge radikaler Islamisten gerieten
FEATURE. Der "Islamische Staat" ist seit 2019 militärisch besiegt. Doch die Narben, die die Terroristen mit ihrer Schreckensherrschaft in Syrien und dem Irak und Anschlägen in Europa hinterlassen haben, sind immer noch präsent. Auch bei den Familien von Sabina und Sara. Sabina zieht im April 2014 in den IS. Saras Verschwinden wird erst im März 2023 öffentlich. Beide Mädchen (15) wurden zu Opfern radikaler Islamisten. Ihre Mütter erzählen uns, wie sie diesen Albtraum durchleben.
Von Daniela Breščaković
Keine Vorwarnung, kein Brief, nicht einmal eine kurze Nachricht. Vor neun Jahren verlässt Sabina Österreich. Mit dem Ziel, ein neues Leben zu beginnen. Damals ist sie 15 Jahre alt, gemeinsam mit einer Freundin reist sie im April 2014 von Wien nach Syrien in den Dschihad, in einen Bürgerkrieg, der nicht der ihre war.
Der Fall hatte damals die Öffentlichkeit weltweit aufgerüttelt und für Schlagzeilen gesorgt. Nach einer Woche kommt ein erstes Lebenszeichen von Sabina. Ihr gehe es gut, wo sie ist, könne sie ihrer Familie nicht sagen. "Ich glaube, meine Tochter hat nicht gewusst, wo sie hingeht. Uns gegenüber war sie bis zuletzt immer dieselbe geblieben, ich habe nichts an ihr gemerkt", sagt Sabinas Mutter Senada Selimović.
Am Telefon verrät Sabina ihrer Mutter nur den Anfangsbuchstaben "S" jenes Landes, das nun ihr neues Zuhause ist. Dort heiratete sie einen IS-Kämpfer, bringt mit 16 Jahren ihren ersten Sohn zur Welt, wird zwei Jahre später zum zweiten Mal Mama.
Dass ausgerechnet junge Frauen häufig Ziel radikaler Islamisten sind, sei laut Extremismusforscherin Julia Ebner kein Zufall, sondern Teil der Strategie: "Es gibt genderspezifische Online-Gruppen für sogenannte 'Dschihad-Bräute'. Frauen werden nur für die Reproduktion und die Aufrechterhaltung des Staates gebraucht. Durch die Lockdowns ist ein Vakuum an Einsamkeit und Frustration bei Jungen entstanden. Das haben extremistische Gruppen ausgenutzt."
Österreich sei in den Hoch-Zeiten des IS eines der Top-Länder für die Rekrutierung gewesen, sagt Ebner. Auch heute dürfe die Gefahr des Dschihadismus nicht unterschätzt werden. Gerade bei Jungen sei die Anfälligkeit für Radikalisierung in den letzten Jahren gestiegen, sowohl beim Islamismus als auch beim Rechtsextremismus und Verschwörungen.
FEATURE. Der "Islamische Staat" ist seit 2019 militärisch besiegt. Doch die Narben, die die Terroristen mit ihrer Schreckensherrschaft in Syrien und dem Irak und Anschlägen in Europa hinterlassen haben, sind immer noch präsent. Auch bei den Familien von Sabina und Sara. Sabina zieht im April 2014 in den IS. Saras Verschwinden wird erst im März 2023 öffentlich. Beide Mädchen (15) wurden zu Opfern radikaler Islamisten. Ihre Mütter erzählen uns, wie sie diesen Albtraum durchleben.
Von Daniela Breščaković
Keine Vorwarnung, kein Brief, nicht einmal eine kurze Nachricht. Vor neun Jahren verlässt Sabina Österreich. Mit dem Ziel, ein neues Leben zu beginnen. Damals ist sie 15 Jahre alt, gemeinsam mit einer Freundin reist sie im April 2014 von Wien nach Syrien in den Dschihad, in einen Bürgerkrieg, der nicht der ihre war.
Der Fall hatte damals die Öffentlichkeit weltweit aufgerüttelt und für Schlagzeilen gesorgt. Nach einer Woche kommt ein erstes Lebenszeichen von Sabina. Ihr gehe es gut, wo sie ist, könne sie ihrer Familie nicht sagen. "Ich glaube, meine Tochter hat nicht gewusst, wo sie hingeht. Uns gegenüber war sie bis zuletzt immer dieselbe geblieben, ich habe nichts an ihr gemerkt", sagt Sabinas Mutter Senada Selimović.
Am Telefon verrät Sabina ihrer Mutter nur den Anfangsbuchstaben "S" jenes Landes, das nun ihr neues Zuhause ist. Dort heiratete sie einen IS-Kämpfer, bringt mit 16 Jahren ihren ersten Sohn zur Welt, wird zwei Jahre später zum zweiten Mal Mama.
Dass ausgerechnet junge Frauen häufig Ziel radikaler Islamisten sind, sei laut Extremismusforscherin Julia Ebner kein Zufall, sondern Teil der Strategie: "Es gibt genderspezifische Online-Gruppen für sogenannte 'Dschihad-Bräute'. Frauen werden nur für die Reproduktion und die Aufrechterhaltung des Staates gebraucht. Durch die Lockdowns ist ein Vakuum an Einsamkeit und Frustration bei Jungen entstanden. Das haben extremistische Gruppen ausgenutzt."
Österreich sei in den Hoch-Zeiten des IS eines der Top-Länder für die Rekrutierung gewesen, sagt Ebner. Auch heute dürfe die Gefahr des Dschihadismus nicht unterschätzt werden. Gerade bei Jungen sei die Anfälligkeit für Radikalisierung in den letzten Jahren gestiegen, sowohl beim Islamismus als auch beim Rechtsextremismus und Verschwörungen.
Sabinas Reise
2014 steigt Sabina Selimović am Flughafen Wien-Schwechat ins Flugzeug, ohne Wissen ihrer Eltern.
Mit dem Flugzeug gelangt sie über Istanbul nach Adana in der Türkei. Im August 2016 hat die türkische Polizei einem Medienbericht zufolge dort 20 mutmaßliche IS-Terroristen festgenommen. Zuvor habe die Polizei einen Hinweis erhalten, dass der IS Anschläge in der Türkei plane. Adana befindet sich nahe der NATO-Luftwaffenbasis Incirlik, wo 2016 auch amerikanische und deutsche Soldaten stationiert waren.
Von Adana reist sie weiter nach Dscharabulus. Die Stadt in der syrischen Region Aleppo liegt am westlichen Ufer des Euphrat. Im Juni 2013 kam es dort zu Kämpfen zwischen der Freien Syrischen Armee und dem Islamischen Staat. Dscharabulus stand bis August 2016 unter der Kontrolle des IS.
Entlang des Flusses gelangt sie weiter nach Manbidsch – eine der damaligen Hochburgen des IS. Die Stadt lag auf der für die Terrormiliz wichtigen Versorgungsroute von der türkischen Grenze nach Raqqa.
Die nächste Station der jungen Wienerin ist Raqqa, die "Hauptstadt" des IS-Kalifates. Im August 2013 vertrieb der IS die Freie Syrische Armee aus der Stadt und kontrollierte von da aus den Islamischen Staat. Im Mai 2016 startete die USA mit der Unterstützung der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) eine Gegenoffensive gegen den IS. Im Oktober 2017 gelang Truppen der SDF die Eroberung Raqqas.
Der letzte Kontakt zu Sabina besteht zunächst im April 2019 in Baghuz, dem letzten Rest des IS-Kalifats, bevor die Organisation für besiegt erklärt wird.
Später erfährt ihre Mutter, dass sich Sabina im Al-Hol-Camp im Nordosten Syriens befindet, einem Flüchtlingslager für Frauen und Kinder. Sie kann ihre Tochter dort besuchen, muss sie allerdings zurücklassen. Im November 2022 verurteilt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die "unerträglichen" Lebensumstände im Camp. Im Jahr 2021 kamen 79 Kinder im Lager ums Leben. Rund 60.000 Menschen leben derzeit im Camp.
Sabinas Reise
2014 steigt Sabina Selimović am Flughafen Wien-Schwechat ins Flugzeug, ohne Wissen ihrer Eltern.
Mit dem Flugzeug gelangt sie über Istanbul nach Adana in der Türkei. Im August 2016 hat die türkische Polizei einem Medienbericht zufolge dort 20 mutmaßliche IS-Terroristen festgenommen. Zuvor habe die Polizei einen Hinweis erhalten, dass der IS Anschläge in der Türkei plane. Adana befindet sich nahe der NATO-Luftwaffenbasis Incirlik, wo 2016 auch amerikanische und deutsche Soldaten stationiert waren.
Von Adana reist sie weiter nach Dscharabulus. Die Stadt in der syrischen Region Aleppo liegt am westlichen Ufer des Euphrat. Im Juni 2013 kam es dort zu Kämpfen zwischen der Freien Syrischen Armee und dem Islamischen Staat. Dscharabulus stand bis August 2016 unter der Kontrolle des IS.
Entlang des Flusses gelangt sie weiter nach Manbidsch – eine der damaligen Hochburgen des IS. Die Stadt lag auf der für die Terrormiliz wichtigen Versorgungsroute von der türkischen Grenze nach Raqqa.
Die nächste Station der jungen Wienerin ist Raqqa, die "Hauptstadt" des IS-Kalifates. Im August 2013 vertrieb der IS die Freie Syrische Armee aus der Stadt und kontrollierte von da aus den Islamischen Staat. Im Mai 2016 startete die USA mit der Unterstützung der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) eine Gegenoffensive gegen den IS. Im Oktober 2017 gelang Truppen der SDF die Eroberung Raqqas.
Der letzte Kontakt zu Sabina besteht zunächst im April 2019 in Baghuz, dem letzten Rest des IS-Kalifats, bevor die Organisation für besiegt erklärt wird.
Später erfährt ihre Mutter, dass sich Sabina im Al-Hol-Camp im Nordosten Syriens befindet, einem Flüchtlingslager für Frauen und Kinder. Sie kann ihre Tochter dort besuchen, muss sie allerdings zurücklassen. Im November 2022 verurteilt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die "unerträglichen" Lebensumstände im Camp. Im Jahr 2021 kamen 79 Kinder im Lager ums Leben. Rund 60.000 Menschen leben derzeit im Camp.
Ob auch Sara nach Syrien gegangen ist, wissen die Ermittler nicht. Von der 15-Jährigen fehlt seit August 2022 jede Spur. Erst im März 2023 wurde das Verschwinden der jungen Innsbruckerin öffentlich. Die Polizei vermutet einen islamistischen Hintergrund. Sara soll einen Mann nach islamischem Recht geheiratet haben und ins Ausland verschleppt worden sein. "Sara war ein ganz normaler Teenager. Mit 14 wollte sie aber auf einmal islamisch heiraten. Ihr Papa und ich waren dagegen. Sie fing dann an, sich zu verschleiern. Bevor sie weg war, trug sie nur noch einen Niqab, einen Gesichtsschleier", erzählt Saras Mama Yasmin S., die anonym bleiben möchte.
Weil die Situation zu Hause immer schwieriger wurde, übernachtete Sara in Absprache mit ihren Eltern einige Tage im Kriseninterventionszentrum für Kinder und Jugendliche in Not. Das war kurz vor ihrem Verschwinden. Dann kam der Anruf von ihrer Betreuerin: "Sara ist nicht anwesend." Sie soll das Zentrum nur mit einem Rucksack und 500 Euro in bar verlassen haben, außerdem trug das Mädchen einen Koran bei sich.
Hinweise auf TikTok führen die Beamten zunächst nach Deutschland. Dort soll Sara im Sommer 2023 in einem sogenannten "Scharia-Keller" in Berlin festgehalten worden sein. Dabei handelt es sich um mehrere Räumlichkeiten, die angeblich von radikalen Islamisten angemietet wurden, um dort junge Frauen zur Prostitution zu zwingen.
"Wir haben diese Hinweise mittlerweile geprüft und können nicht bestätigen, dass Sara in einem derartigen Keller festgehalten noch in Bordellen zur Prostitution gezwungen wurde", sagt Christoph Kirchmair, Leiter des Kriminalreferates beim Stadtpolizeikommando Innsbruck.
Saras Mutter gibt die Hoffnung aber nicht auf und geht mittlerweile einer neuen Spur nach. Mit anderen Eltern vermisster Jugendlicher hat sie sich via TikTok auf die Suche nach ihrer Tochter begeben. Dort soll die Tirolerin auf ein Mädchen gestoßen sein, die junge Frauen rekrutiert bzw. sie überredet, nach Berlin zu kommen, um sie in weiterer Folge nach Syrien zu deportieren. Auch eine junge Vorarlbergerin soll Kontakt mit der radikalen Gruppe gehabt und Sara gekannt haben. Zudem soll Scheuer auch erfahren haben, dass ihre heute 17-jährige Tochter bereits ein Kind haben soll. Bei der Kriminalpolizei will man diesen Hinweisen nun nachgehen. Sara ist weiterhin zur Fahndung ausgeschrieben, ihr Verbleib ist bis heute ein Rätsel.
Der Tag, an dem sie ihre Töchter verloren haben, hat sich tief im Gedächtnis der beiden Mütter eingebrannt. Noch tiefer sitzt aber der Wunsch, dass ihre Kinder doch noch nach Hause kommen.
"Ich mache mir irrsinnige Sorgen“, erzählt S., die über soziale Netzwerke nach Sara sucht. Gleichzeitig weiß sie, dass sie für Saras Geschwister "funktionieren muss".
Auch Selimović will die Hoffnung nicht aufgeben. 2019 hat sie ihre Tochter das letzte Mal gesehen. Nachdem Sabinas Schicksal um die Welt gegangen war, meldeten sich viele, die der Mutter bei der Suche nach ihrer Tochter helfen wollten. So hat sie auch erfahren, dass sich Sabina im Al-Hol-Camp befindet, einem Flüchtlingslager für Frauen und Kinder im Nordosten Syriens. Selimović reist dorthin. Sabina ist nach einem Angriff geflohen und liegt mit einer Schulterverletzung auf der Krankenstation.
Im Camp steht sie dann vor ihrer Tochter: "Ich habe sie angesehen und konnte nichts sagen. Es war ein Schock für uns beide." Dann muss sie das Camp verlassen, der Kontakt zu Sabina bricht ab. Selimovićs Enkelsöhne werden im Oktober 2019 vom Außenministerium zu ihr nach Wien gebracht. Sabina, so heißt es aus dem Ministerium, sei "mutmaßlich tot".
Senada Selimović und Yasmin S. hoffen weiter, ihre Töchter irgendwann doch wiederzufinden. Die Höllenqualen nehmen sie dabei in Kauf. Denn die Hoffnung, dass Sabina und Sara am Leben sind und nach Hause kommen, ist das Einzige, das den beiden Müttern geblieben ist.
Zur ganzen Videoreportage
Die Mütter von Sara und Sabina erzählen, wie sie diesen Albtraum durchleben.
Ob auch Sara nach Syrien gegangen ist, wissen die Ermittler nicht. Von der 15-Jährigen fehlt seit August 2022 jede Spur. Erst im März 2023 wurde das Verschwinden der jungen Innsbruckerin öffentlich. Die Polizei vermutet einen islamistischen Hintergrund. Sara soll einen Mann nach islamischem Recht geheiratet haben und ins Ausland verschleppt worden sein. "Sara war ein ganz normaler Teenager. Mit 14 wollte sie aber auf einmal islamisch heiraten. Ihr Papa und ich waren dagegen. Sie fing dann an, sich zu verschleiern. Bevor sie weg war, trug sie nur noch einen Niqab, einen Gesichtsschleier", erzählt Saras Mama Yasmin S., die anonym bleiben möchte.
Weil die Situation zu Hause immer schwieriger wurde, übernachtete Sara in Absprache mit ihren Eltern einige Tage im Kriseninterventionszentrum für Kinder und Jugendliche in Not. Das war kurz vor ihrem Verschwinden. Dann kam der Anruf von ihrer Betreuerin: "Sara ist nicht anwesend." Sie soll das Zentrum nur mit einem Rucksack und 500 Euro in bar verlassen haben, außerdem trug das Mädchen einen Koran bei sich.
Hinweise auf TikTok führen die Beamten zunächst nach Deutschland. Dort soll Sara im Sommer 2023 in einem sogenannten "Scharia-Keller" in Berlin festgehalten worden sein. Dabei handelt es sich um mehrere Räumlichkeiten, die angeblich von radikalen Islamisten angemietet wurden, um dort junge Frauen zur Prostitution zu zwingen.
"Wir haben diese Hinweise mittlerweile geprüft und können nicht bestätigen, dass Sara in einem derartigen Keller festgehalten noch in Bordellen zur Prostitution gezwungen wurde", sagt Christoph Kirchmair, Leiter des Kriminalreferates beim Stadtpolizeikommando Innsbruck.
Saras Mutter gibt die Hoffnung aber nicht auf und geht mittlerweile einer neuen Spur nach. Mit anderen Eltern vermisster Jugendlicher hat sie sich via TikTok auf die Suche nach ihrer Tochter begeben. Dort soll die Tirolerin auf ein Mädchen gestoßen sein, die junge Frauen rekrutiert bzw. sie überredet, nach Berlin zu kommen, um sie in weiterer Folge nach Syrien zu deportieren. Auch eine junge Vorarlbergerin soll Kontakt mit der radikalen Gruppe gehabt und Sara gekannt haben. Zudem soll Scheuer auch erfahren haben, dass ihre heute 17-jährige Tochter bereits ein Kind haben soll. Bei der Kriminalpolizei will man diesen Hinweisen nun nachgehen. Sara ist weiterhin zur Fahndung ausgeschrieben, ihr Verbleib ist bis heute ein Rätsel.
Der Tag, an dem sie ihre Töchter verloren haben, hat sich tief im Gedächtnis der beiden Mütter eingebrannt. Noch tiefer sitzt aber der Wunsch, dass ihre Kinder doch noch nach Hause kommen.
"Ich mache mir irrsinnige Sorgen“, erzählt S., die über soziale Netzwerke nach Sara sucht. Gleichzeitig weiß sie, dass sie für Saras Geschwister "funktionieren muss".
Auch Selimović will die Hoffnung nicht aufgeben. 2019 hat sie ihre Tochter das letzte Mal gesehen. Nachdem Sabinas Schicksal um die Welt gegangen war, meldeten sich viele, die der Mutter bei der Suche nach ihrer Tochter helfen wollten. So hat sie auch erfahren, dass sich Sabina im Al-Hol-Camp befindet, einem Flüchtlingslager für Frauen und Kinder im Nordosten Syriens. Selimović reist dorthin. Sabina ist nach einem Angriff geflohen und liegt mit einer Schulterverletzung auf der Krankenstation.
Im Camp steht sie dann vor ihrer Tochter: "Ich habe sie angesehen und konnte nichts sagen. Es war ein Schock für uns beide." Dann muss sie das Camp verlassen, der Kontakt zu Sabina bricht ab. Selimovićs Enkelsöhne werden im Oktober 2019 vom Außenministerium zu ihr nach Wien gebracht. Sabina, so heißt es aus dem Ministerium, sei "mutmaßlich tot".
Senada Selimović und Yasmin S. hoffen weiter, ihre Töchter irgendwann doch wiederzufinden. Die Höllenqualen nehmen sie dabei in Kauf. Denn die Hoffnung, dass Sabina und Sara am Leben sind und nach Hause kommen, ist das Einzige, was den beiden Müttern geblieben ist.
Zur ganzen Videoreportage
Die Mütter von Sara und Sabina erzählen, wie sie diesen Albtraum durchleben.
Aufstieg und Niedergang des IS
Der Grundstein des IS (Islamischer Staat, auch bekannt unter den Namen Daesh oder ISIS) wurde ab 1999 von irakischen Ex-Offizieren der Saddam-Hussein-Ära gelegt. Der anfänglich kleine Ableger bekommt zunächst Hilfe von Osama Bin Ladens Terrororganisation Al-Qaida.
Fast zehn Jahre gehört der IS (Islamischer Staat) zur Al-Qaida. Die Terrororganisation, die anfangs im Irak operiert, macht sich die instabile Lage in der Region nach dem "Arabischen Frühling" zunutze.
Der syrische Bürgerkrieg ab 2011 markiert den Beginn der Expansion des IS. Der Bürgerkrieg in Syrien ist auch ein Stellvertreterkrieg, in dem Regional- und Weltmächte mitmischen. Machthaber Baschar al-Assad wird von Russland, dem Iran und der schiitischen Terrororganisation Hisbollah unterstützt. Auf der anderen Seite stehen wechselnde, untereinander verfeindete Allianzen, islamistische und säkulare Fraktionen – und auch die USA.
2013 erklärt sich dann Abu Bakr Al-Baghdadi zum Führer des IS. Es kommt zum Bruch mit Al-Qaida. Der IS erobert die syrische Stadt Raqqa, die später zur Hauptstadt der Terrorgruppe wird, danach die kurdische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei.
Viele weitere Städte werden folgen. Zu den Sympathisanten des IS zählen nicht nur Menschen, die sich ein Kalifat wünschen. Viele sehen in der Terrororganisation – angesichts der schiitischen Opposition (Iran, Hisbollah) einen Garanten für sunnitische Interessen. Vielen geht es also auch nur um das "geringere Übel".
Durch die Eroberung zahlreicher Städte kommen die Islamisten an Geld und Kriegsgerät. Der IS operiert raffiniert, modern, über Social Media und steigt zur schlagkräftigsten Terrorgruppe aller Zeiten auf. Dutzende Terroranschläge in ganz Europa – ob im Pariser Bataclan, auf der Rambla in Barcelona, der London Bridge oder in der Innenstadt von Wien – werden folgen.
Höhepunkt
Dem IS gelingt der "Islamische Staat". Am Höhepunkt der Herrschaft 2016 umfasst sein beanspruchtes Territorium im Irak und in Syrien zehn Millionen Einwohner und 80.000 Kämpfer. Rund die Hälfte davon waren Einwanderer – also Unterstützer aus anderen arabischen Ländern, Europa oder Russland. Der ausgerufene "Staat" ist in etwa so groß wie Großbritannien.
Niedergang
Ab 2017 wird der IS unter anderem durch die USA zurückgedrängt. Die Karte zeigt den Stand im November 2017. 2019 gilt der IS schließlich als militärisch besiegt.
Der IS heute
Heute hat der IS praktisch sein gesamtes Territorium eingebüßt. Es gibt aber Rückzugsgebiete in kaum besiedelten Gegenden, wie diese Karte des Projekts "Liveuamap" mit Stand April 2023 zeigt. Rund 30.000 IS-Kämpfer befinden sich außerdem in schlecht bewachten Gefängnissen vor Ort. Experten warnen vor Fluchtversuchen.
Höhepunkt
Dem IS gelingt der "Islamische Staat". Am Höhepunkt der Herrschaft 2016 umfasst sein beanspruchtes Territorium im Irak und in Syrien zehn Millionen Einwohner und 80.000 Kämpfer. Rund die Hälfte davon waren Einwanderer – also Unterstützer aus anderen arabischen Ländern, Europa oder Russland. Der ausgerufene "Staat" ist in etwa so groß wie Großbritannien.
Niedergang
Ab 2017 wird der IS unter anderem durch die USA zurückgedrängt. Die Karte zeigt den Stand im November 2017. 2019 gilt der IS schließlich als militärisch besiegt.
Der IS heute
Heute hat der IS praktisch sein gesamtes Territorium eingebüßt. Es gibt aber Rückzugsgebiete in kaum besiedelten Gegenden, wie diese Karte des Projekts "Liveuamap" mit Stand April 2023 zeigt. Rund 30.000 IS-Kämpfer befinden sich außerdem in schlecht bewachten Gefängnissen vor Ort. Experten warnen vor Fluchtversuchen.
Obwohl der IS weitgehend als besiegt gilt und sein territoriales Kalifat verloren hat, beweist der Islamische Staat bis heute erhebliche Widerstandsfähigkeit. Besonders im ländlichen Raum im Irak und in Syrien operieren Islamisten weiterhin. Angriffe nahmen in diesen Gebieten 2020 wieder zu – nicht zuletzt wegen des Abzugs der US-Truppen aus dem Irak.
Sowohl in Syrien als auch im Irak wurden im Jahr 2020 rund 100 islamistisch-motivierte Anschläge pro Monat gemeldet. Laut den Vereinten Nationen verfügte der IS 2021 in den beiden Ländern zusammen über 10.000 Kämpfer.
Im sicherheitspolitischen Gedächtnis bleibt nicht zuletzt ein von IS-Kämpfern durchgeführter Angriff auf das Al-Sina’a-Gefängnis in Syrien im Jänner 2022. Zehn Tage lieferten sich die Terrorgruppe und die von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) heftige Gefechte. Fast 500 Menschen wurden dabei getötet. Die USA führten im Jahr 2022 insgesamt 313 Anti-Terror-Operationen gegen den IS durch.
Im Jahr 2023 bekräftigte der UN-Sicherheitsrat die anhaltende Gefahr, die Terrororganisation setze vermehrt neue Technologien ein und operiere "immer ausgefeilter und produktiver".
INTERVIEW MIT TERROR-EXPERTEN
"Dem IS ging es nicht nur ums Kämpfen. Es ging um die Schaffung einer Utopie. Das hat viele junge Muslime angezogen"
Denkt man an islamistischen Terror, denkt man an den IS. Dabei gibt es viele verschiedene Gruppierungen. Was eint sie? Worin unterscheiden sie sich?
Peter R. Neumann: Der IS hat verschiedene Ableger, nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Die haben allerdings alle dem Islamischen Staat die Treue geschworen. Der IS ist also relativ homogen. Was nicht so homogen ist, sind die anderen islamistischen Gruppierungen, die, die zur Al Qaida-gehören und teilweise ganz auf sich alleine gestellt operieren. Also zum Beispiel HTS (Haiʾat Tahrir asch-Scham) in Syrien oder Al Shabaab in Somalia oder verschiedene Gruppen in Westafrika. Die sind relativ eigenständig, zum Teil bekämpfen sie den IS sogar. Da geht es um ideologische Differenzen, aber auch um Persönlichkeiten. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass nicht alle Islamisten wie der IS eine globale Agenda verfolgen. Manche sind auf Syrien fixiert. Die sagen: "Wir mögen den Westen nicht, aber wir planen keine terroristischen Anschläge in Europa".
Der IS war die erste moderne islamistische Terrororganisation, wenn man so will. Wo kam diese Faszination, die Strahlkraft für den IS her?
Der IS war raffinierter als irgendeine Organisation davor. Man inszenierte sich in technisch aufwendigen Videos in sozialen Medien. Der IS hat es besser verstanden als jede andere Gruppe, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das war die schlagkräftigte Terrorgruppe aller Zeiten. Bis 2016 hat die Vermarktung funktioniert. Der IS hatte auf seinem Höhepunkt ein Territorium, das so groß wie Großbritannien war. Der IS hatte zehn Millionen Einwohner und ihm gelang es, einen "islamischen Staat" aufzubauen, auch wenn man das nicht gerne hört. Da ging es auch nicht nur ums Kämpfen. Es ging um die Schaffung einer Utopie. Das war es, was viele junge Muslime angezogen hat, die im Westen sehr frustriert waren. In den Augen dieser Menschen entstand eine Gesellschaft, die erfolgreich war. Ein Staat, vor dem sich sogar der Westen fürchtete.
Wo steht der IS heute? Wie groß ist die Gefahr?
Der IS ist momentan sehr geschwächt. Der Höhepunkt wurde 2015/2016 erreicht. Damals hat das angebliche Kalifat in großen Teilen Syriens und des Iraks tatsächlich existiert. Mittlerweile haben Amerika und auch der Irak 99 Prozent des Territoriums zurückerkämpft. Aber es gibt natürlich nach wie vor Unterstützer, die in diesen Gebieten, in einigen Dörfern, leben. Auch hat sich der IS in andere Länder begeben. Zum Beispiel nach Afghanistan, wo sie gegen die Taliban kämpfen.
Jüngste Forschungen und Ermittlungen deuten auf ein Risiko von Anschlägen auf Gefängnisse, in denen sich ehemalige IS-Kämpfer befinden, hin.
Ja, das sehe ich als Konsequenz. Viele Anhänger des IS, die im Laufe der Jahre verhaftet wurden, sitzen in Gefängnissen im kurdischen Teil Syriens und im Norden Iraks. Die versuchen immer wieder von dort aufzubrechen, in einigen Fällen dürfte das auch schon gelungen sein. Die Gefängnisse sind sehr schlecht organisiert, die Leute, die dort arbeiten, oftmals korrupt.
Und dann gibt es noch Flüchtlingscamps vor Ort, die eigentlich chaotische Internierungslager sind?
Ja. Viele Ex-Kämpfer befinden sich auch in Flüchtlingscamps, das bekannteste heißt Al-Hol. Dort sind auch viele westliche Sympathisanten untergebracht. (Anm. d. Redaktion: Im Al-Hol-Camp sind nebst IS-Anhängerinnen auch Tausende Zivilisten untergebracht). Das Problem ist, dass in diesen Lagern im Prinzip alle IS-Leute zusammen inhaftiert sind. Die Menschen haben überhaupt keine Möglichkeit, sich vom Islamismus loszusagen. Zudem ist die humanitäre Lage vor Ort sehr schlecht. Da gibt es ein riesiges Potenzial, dass sich diese Menschen wieder zusammentun, sich weiter radikalisieren. In Al-Hol befinden sich auch viele Kinder. Und Frauen, die im Laufe der Zeit aus Europa in den Islamischen Staat gegangen sind und jetzt nicht mehr zurückkönnen, weil die europäischen Länder sich weigern, ihre eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen. Je länger man wartet, diese Leute kontrolliert zurückzuholen, desto wahrscheinlicher wird ein Ausbruch.
Wo sind Kämpfer aus Österreich und Deutschland heute?
Man sagt, dass ungefähr 20 bis 25 Prozent der ausgewanderten IS-Kämpfer im Kriegsgebiet verstorben sind. 30 Prozent befinden sich weiterhin im Gebiet, das der IS einst für sich beanspruchte. 40 Prozent sind zurückgekehrt.
Wie verhalten sie sich? Sind sie desillusioniert oder radikalisiert zurückgekehrt?
Zu meiner eigenen Überraschung haben sich diejenigen, die aus dem Dschihad zurückgekehrt waren, in den meisten Fällen nicht weiter extremistisch betätigt. Ich hatte eigentlich erwartet, dass die IS-Kämpfer als große Stars, als Veteranen zurückkehren würden und dann die nächste Generation an Islamisten rekrutieren würde.
Wie schwierig ist die Verfolgung, Beobachtung und letztlich Verurteilung?
Oft hat man nicht genügend Beweise, um Menschen, die sich dem IS angeschlossen haben, zu verurteilen. Die bewegen sich relativ frei im Land. Noch schwieriger wird es bei Frauen und Kindern. Frauen haben in den allermeisten Fällen nicht aktiv gekämpft, niemanden getötet. Die, die zurückgekehrt sind, behaupten, dass sie gegen ihren Willen verschleppt wurden. Denen muss man erst einmal das Gegenteil beweisen.
Interview: Julian Melichar
Zur Person
Peter R. Neumann ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er leitete bis 2018 das von ihm gegründete Centre for the Study of Radicalisation am King’s College London und ist der Experte für islamistischen Terror.
Neumann gehörte im deutschen Wahlkampf dem Team von Armin Laschet an und wurde als nationaler Sicherheitsberater gehandelt.
INTERVIEW MIT TERROR-EXPERTEN
"Dem IS ging es nicht nur ums Kämpfen. Es ging um die Schaffung einer Utopie. Das hat viele junge Muslime angezogen"
Denkt man an islamistischen Terror, denkt man an den IS. Dabei gibt es viele verschiedene Gruppierungen. Was eint sie? Worin unterscheiden sie sich?
Peter R. Neumann: Der IS hat verschiedene Ableger, nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Die haben allerdings alle dem Islamischen Staat die Treue geschworen. Der IS ist also relativ homogen. Was nicht so homogen ist, sind die anderen islamistischen Gruppierungen, die, die zur Al Qaida-gehören und teilweise ganz auf sich alleine gestellt operieren. Also zum Beispiel HTS (Haiʾat Tahrir asch-Scham) in Syrien oder Al Shabaab in Somalia oder verschiedene Gruppen in Westafrika. Die sind relativ eigenständig, zum Teil bekämpfen sie den IS sogar. Da geht es um ideologische Differenzen, aber auch um Persönlichkeiten. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass nicht alle Islamisten wie der IS eine globale Agenda verfolgen. Manche sind auf Syrien fixiert. Die sagen: "Wir mögen den Westen nicht, aber wir planen keine terroristischen Anschläge in Europa".
Der IS war die erste moderne islamistische Terrororganisation, wenn man so will. Wo kam diese Faszination, die Strahlkraft für den IS her?
Der IS war raffinierter als irgendeine Organisation davor. Man inszenierte sich in technisch aufwendigen Videos in sozialen Medien. Der IS hat es besser verstanden als jede andere Gruppe, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das war die schlagkräftigte Terrorgruppe aller Zeiten. Bis 2016 hat die Vermarktung funktioniert. Der IS hatte auf seinem Höhepunkt ein Territorium, das so groß wie Großbritannien war. Der IS hatte zehn Millionen Einwohner und ihm gelang es, einen "islamischen Staat" aufzubauen, auch wenn man das nicht gerne hört. Da ging es auch nicht nur ums Kämpfen. Es ging um die Schaffung einer Utopie. Das war es, was viele junge Muslime angezogen hat, die im Westen sehr frustriert waren. In den Augen dieser Menschen entstand eine Gesellschaft, die erfolgreich war. Ein Staat, vor dem sich sogar der Westen fürchtete.
Wo steht der IS heute? Wie groß ist die Gefahr?
Der IS ist momentan sehr geschwächt. Der Höhepunkt wurde 2015/2016 erreicht. Damals hat das angebliche Kalifat in großen Teilen Syriens und des Iraks tatsächlich existiert. Mittlerweile haben Amerika und auch der Irak 99 Prozent des Territoriums zurückerkämpft. Aber es gibt natürlich nach wie vor Unterstützer, die in diesen Gebieten, in einigen Dörfern, leben. Auch hat sich der IS in andere Länder begeben. Zum Beispiel nach Afghanistan, wo sie gegen die Taliban kämpfen.
Jüngste Forschungen und Ermittlungen deuten auf ein Risiko von Anschlägen auf Gefängnisse, in denen sich ehemalige IS-Kämpfer befinden, hin.
Ja, das sehe ich als Konsequenz. Viele Anhänger des IS, die im Laufe der Jahre verhaftet wurden, sitzen in Gefängnissen im kurdischen Teil Syriens und im Norden Iraks. Die versuchen immer wieder von dort aufzubrechen, in einigen Fällen dürfte das auch schon gelungen sein. Die Gefängnisse sind sehr schlecht organisiert, die Leute, die dort arbeiten, oftmals korrupt.
Und dann gibt es noch Flüchtlingscamps vor Ort, die eigentlich chaotische Internierungslager sind?
Ja. Viele Ex-Kämpfer befinden sich auch in Flüchtlingscamps, das bekannteste heißt Al-Hol. Dort sind auch viele westliche Sympathisanten untergebracht. (Anm. d. Redaktion: Im Al-Hol-Camp sind nebst IS-Anhängerinnen auch Tausende Zivilisten untergebracht). Das Problem ist, dass in diesen Lagern im Prinzip alle IS-Leute zusammen inhaftiert sind. Die Menschen haben überhaupt keine Möglichkeit, sich vom Islamismus loszusagen. Zudem ist die humanitäre Lage vor Ort sehr schlecht. Da gibt es ein riesiges Potenzial, dass sich diese Menschen wieder zusammentun, sich weiter radikalisieren. In Al-Hol befinden sich auch viele Kinder. Und Frauen, die im Laufe der Zeit aus Europa in den Islamischen Staat gegangen sind und jetzt nicht mehr zurückkönnen, weil die europäischen Länder sich weigern, ihre eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen. Je länger man wartet, diese Leute kontrolliert zurückzuholen, desto wahrscheinlicher wird ein Ausbruch.
Wo sind Kämpfer aus Österreich und Deutschland heute?
Man sagt, dass ungefähr 20 bis 25 Prozent der ausgewanderten IS-Kämpfer im Kriegsgebiet verstorben sind. 30 Prozent befinden sich weiterhin im Gebiet, das der IS einst für sich beanspruchte. 40 Prozent sind zurückgekehrt.
Wie verhalten sie sich? Sind sie desillusioniert oder radikalisiert zurückgekehrt?
Zu meiner eigenen Überraschung haben sich diejenigen, die aus dem Dschihad zurückgekehrt waren, in den meisten Fällen nicht weiter extremistisch betätigt. Ich hatte eigentlich erwartet, dass die IS-Kämpfer als große Stars, als Veteranen zurückkehren würden und dann die nächste Generation an Islamisten rekrutieren würde.
Wie schwierig ist die Verfolgung, Beobachtung und letztlich Verurteilung?
Oft hat man nicht genügend Beweise, um Menschen, die sich dem IS angeschlossen haben, zu verurteilen. Die bewegen sich relativ frei im Land. Noch schwieriger wird es bei Frauen und Kindern. Frauen haben in den allermeisten Fällen nicht aktiv gekämpft, niemanden getötet. Die, die zurückgekehrt sind, behaupten, dass sie gegen ihren Willen verschleppt wurden. Denen muss man erst einmal das Gegenteil beweisen.
Zur Person
Der Politikwissenschaftler und Journalist Peter R. Neumann leitete bis 2018 das von ihm gegründete Centre for the Study of Radicalisation am King’s College London und ist der Experte für islamistischen Terror.
Neumann gehörte im deutschen Wahlkampf dem Team von Armin Laschet an und wurde als nationaler Sicherheitsberater gehandelt.
Interview: Julian Melichar
Digitale Aufbereitung: Jonas Binder
Bildbearbeitung: Natasa Secki
IS-Karte: Silke Ulrich, APA/liveuamap
Reise-Karte: erstellt mit Flourish
Fotos: Picturedesk (3), KLZ/Florian Köppl (2), Privat, AP/Screenshot, AFP, AP (2), Imago
Videos: KLZ/Florian Köppl