50. TODESTAG VON INGEBORG BACHMANN
Die Anrufung
der Freiheit
DOSSIER. Am 17. Oktober 2023 jährte sich der Todestag der großen Dichterin Ingeborg Bachmann zum 50. Mal. Die gebürtige Kärntnerin zählt längst zu den wichtigsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Eine Würdigung.
Von Marianne Fischer
Längst wird sie zu den wichtigsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts gezählt, die früh für ihre Lyrik gefeiert wurde und konsequent in den Nachkriegsjahren gegen das Verdrängen und Vergessen anschrieb: Am 17. Oktober 2023 jährt sich der Todestag von Ingeborg Bachmann zum 50. Mal. Die gebürtige Kärntnerin starb 1973 in einem römischen Krankenhaus an den Folgen eines Brandes in ihrer Wohnung. Wegen einer langjährigen starken Medikamentenabhängigkeit, die nicht rechtzeitig erkannt wurde, hatten sich bei Behandlung Komplikationen eingestellt.
Zur Person
Geboren 1926 in Klagenfurt. Die Familie übersiedelte im Jahr 1933 von der Durchlaßstraße in die Henselstraße.
Studierte von 1945 bis 1950 Philosophie, Psychologie, Germanistik und Jus.
1946 erste Veröffentlichungen ("Die Fähre"). 1953 Literaturpreis der Gruppe 47 für „Die gestundete Zeit“. 1964 Büchner-Preis.
Wichtige Werke u. a. "Malina", "Das dreißigste Jahr".
Ihr Andenken wird nicht nur durch die seit 1976 in Klagenfurt stattfindenden "Bachmann-Preis" hochgehalten, gerade ist auch im Kino Margarethe von Trottas Film "Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste" angelaufen und die Österreichische Post startet die Sonderbriefmarkenserie "Literatur aus Österreich" mit Ingeborg Bachmann (Auflage: 300.000 Stück). Neben ihrem Porträt ist das berühmte Zitat aus ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden zu lesen: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar."
Über die Briefmarke
Ingeborg Bachmann ist das erste Motiv aus der neuen Serie "Literatur aus Österreich". Die Briefmarke mit dem Nennwert von 95 Cent ist seit 11. Oktober 2023 erhältlich.
Erworben werden kann sie in allen Postfilialen, unter onlineshop.post.at sowie beim Sammler-Service der Österreichischen Post (Telefon: +43 577 67 – 95095; E-Mail: sammler-service@post.at).
Die Wahrheit, auch die Wahrhaftigkeit, waren für Ingeborg Bachmann wesentlich für ihre Literatur: Ein Leben lang hat sie mit faszinierender Sprach- und Bildkraft gegen die Unterdrückung des Individuums angeschrieben und eine bessere Welt eingemahnt. Schon im 1953 veröffentlichten Gedicht "Die gestundete Zeit“ hat sie befürchtet:
Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Worte, die angesichts immer wiederkehrender prekärer Weltlagen prophetische Kraft haben und wohl auch deshalb zu jenen Texten gehören, die noch immer von engagierten Deutschlehrern im Unterricht diskutiert werden.
Dass Ingeborg Bachmann früh zum Literatur-Star wurde, lag unter anderem an einer "Spiegel"-Coverstory im Jahr 1954: "Viel blondes Haar, sanftbraune Augen, still und scheu in Ausdruck und Rede", hieß es im Text über die damals 28-Jährige, die sich in einer praktisch nur von Männern besiedelten Literaturwelt mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit bewährte – auch das ist ein Grund, warum die Faszination für sie bis heute angehalten hat.
Es war ihr wichtig, sich ihre Unabhängigkeit zu erhalten und das Geschlechterverhältnis sowie zerstörerische Beziehungen in ihrer Literatur auszuleuchten. Ihre Erzählung "Undine geht" (1961) beginnt mit den Worten:
Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer! Ihr Ungeheuer mit Namen Hans!
Und man darf vermuten, dass dieser "Hans" für jene Männer stand, zu denen sie toxische Beziehungen unterhielt. Paul Celan etwa, oder – gerade in Margarethe von Trottas Biopic "Reise in die Wüste" im Kino zu sehen – Max Frisch. Auch das "Ich" in ihrem rätselhaften Roman "Malina" scheitert an den Männern und am Ende heißt es: "Es war Mord".
Bachmanns eigener Tod war ein Unfall, auch wenn ihre Freunde anderes vermuteten. Ihr frühes Ableben im Alter von 47 Jahren mag zur Faszination für die Autorin beigetragen haben.
Über Maria Callas schrieb Bachmann, die Operndiva habe ihre Rollen nicht gesungen, sondern "auf der Rasierklinge gelebt". Das gilt wohl auch für die Autorin. Und die Klinge ist noch immer scharf.
Ein Besuch in der Henselstraße Nr. 26
Das Haus in der Klagenfurter Henselstraße Nr. 26 atmet Literatur- und Kulturgeschichte: In dem Reihenhaus, in dem Ingeborg Bachmann aufwuchs, soll ein Museum entstehen. Bruder Heinz Bachmann führte uns durch das Haus und erzählte uns die Geschichte der Exponate.
Das Jahr 1973 bedeutete für Heinz Bachmann (82) und seine Familie eine tiefe, schmerzvolle Zäsur: Erst starb Vater Matthias, dann der schwere Brandunfall von Schwester Ingeborg und gleich darauf verunglückte der Schwager tödlich und hinterließ sechs Kinder: "Damals hat sich unser Leben grundlegend verändert", erinnert sich Heinz Bachmann. Er lebte 1973 als Geophysiker im Senegal und freute sich eigentlich gerade auf den Besuch der Dichterin: "Wir hatten schon alles arrangiert, sie wollte mit meiner Frau dann weiter nach Mali reisen."
Stattdessen flog er nach Rom, wo Ingeborg Bachmann kurz darauf 47-jährig im Krankenhaus Sant’Eugenio starb. Die Möbel und Gegenstände aus der römischen Wohnung wurden dann nach Kärnten geholt – erst in ein Ferienhaus bei Kötschach-Mauthen: "Wir haben damals schon überlegt, was wir mit den Sachen machen. Uns war klar, dass wir sie zusammenhalten wollen", erzählt Heinz Bachmann.
Deshalb engagierte man einen Architekten für einen Zubau sowie für den Ausbau des Dachbodens in der Henselstraße Nr. 26, wo die Möbel und die Bibliothek von Ingeborg Bachmann untergebracht wurden. Mutter Olga lebte dann noch vierzehn Jahre im Haus, später zog ein Neffe ein. Die Idee, einmal ein öffentlich zugängliches Museum zu schaffen, spukte aber immer im Hinterkopf der Familie herum – umso mehr freut sich Heinz Bachmann, dass es nun geklappt hat: Wie berichtet, haben Land Kärnten und Stadt Klagenfurt das dreigeschossige Reihenhaus mithilfe der Kärntner Privatstiftung angekauft, nun soll es umgebaut und renoviert werden.
Zur Person
Heinz Bachmann, geboren 1939 in Klagenfurt. Arbeitete als Geophysiker u. a. in Österreich, im Oman, Senegal, Spanien und England. Ab 1977 Mitarbeit an der Fertigstellung der ersten Bachmann-Werkausgabe.
Fotos, die er im Jahr 1962 bei einem Besuch in Rom von seiner Schwester machte, waren im Jahr 2016 im Klagenfurter Musilmuseum zu sehen.
Lebt heute in London.
Zuerst gilt es aber, die Schätze zu sichten – und die sind vielfältig. Unter anderem befindet sich unter den Möbeln eine blaue Sofalandschaft, die der Komponist Hans Werner Henze und dessen Lebensgefährte Fausto Moroni ausgesucht haben. Das Tischchen im Wohnzimmer hat Ingeborg Bachmann von Marie Luise Kaschnitz bekommen – es hat einige Brandflecken, denn zuletzt ging die Literatin, wohl auch aufgrund ihrer über viele Jahre durch diverse Ärzte geförderte Tablettenabhängigkeit, recht sorglos mit Zigaretten um. Zum Bestand gehört auch ein Aschenbecher aus Speckstein, den ihr Heinz Bachmann schenkte: "Wir haben zwar versucht, gegen ihre Sucht anzukämpfen, aber es war sinnlos", erinnert sich der Nichtraucher, der in den nächsten Wochen den Bestand aufarbeiten möchte, bevor er zu seiner Frau nach London zurückkehrt.
So warten zwei Truhen voll mit Fotos und Dokumenten darauf, gesichtet zu werden. Als Heinz Bachmann eine dieser Truhen öffnet, fällt ihm ein Stoffbündel ins Auge: "Was ist das?", wundert er sich. Und dann die Erkenntnis: "Das ist ein Bademantel, den ich unserer Mutter geschenkt habe. Ingeborg war von dem Muster so begeistert, dass sie ihn dann nach Rom mitgenommen hat."
Im ersten Stock des Hauses findet sich in einem der beiden Schlafzimmer das Bett der Dichterin. Im Gegensatz zur weiterverbreiteten Meinung ist Ingeborg Bachmann nicht im Bett mit der Zigarette eingeschlafen: "Wir konnten das nach ihrem Tod rekonstruieren. Sie ist auf der Toilette eingenickt und hatte einen Umhang um sich gewickelt, der Feuer fing", erzählt ihr Bruder. Auch einige Spiegel aus der römischen Wohnung gibt es zu sehen – Heinz Bachmann hat selbst einige mittlerweile berühmte Fotos seiner Schwester gemacht, eines davon vor einem Spiegel: "Ich war damals 22 Jahre alt und habe Ingeborg, die mit Max Frisch in Rom lebte, besucht. Ich habe wohl 80 Fotos von ihr geschossen. Später ist mir aufgefallen, dass ich nicht ein einziges Foto von Max Frisch gemacht habe", erinnert er sich schmunzelnd.
Das Herzstück der Sammlung befindet sich im ausgebauten Dachboden: die Bibliothek der Dichterin mit zahlreichen Erstausgaben und signierten Werken. Günter Grass etwa hat 1959 in ein Exemplar seiner "Blechtrommel" geschrieben: "Liebe Ingeborg. Ob Sie mit Oskar unter einem Dach wohnen könnten? Ihr Günter". Neben ihrem Schreibtisch steht eine weitere Kiste, diesmal mit der Schallplattensammlung: Eine Aufnahme von "Boris Godunow" hat Heinz Bachmann ihr geschenkt: "Wir haben beide diese Oper geliebt. Erst später habe ich erfahren, dass Ingeborg damals gar keinen Plattenspieler mehr hatte. Vermutlich hat sie die Aufnahme nie gehört", bedauert Heinz Bachmann, der seiner Schwester auch finanziell unter die Arme griff. Wobei: "Zuerst hat sie mich unterstützt. Aber als sie sich im Jahr 1967 vom Piper-Verlag trennte, bekam ich im Oman, wo ich gerade arbeitete, ein Telegramm: 'Bitte schicke mir 4000 Dollar.' Sie wollte damit die Option, die der Piper-Verlag bezahlt hatte, zurückkaufen. Meine Eltern hatten Zugang zu meinem Konto in Klagenfurt, die haben ihr das Geld dann überwiesen. Ingeborg hat es mir später zurückgezahlt."
Eng zusammengeschweißt dürfte die Geschwister schon eine frühe Kindheitserfahrung haben, die zu den ersten Erinnerungen überhaupt von Heinz Bachmann gehört: Im Jahr 1944 hatte der Vater, von Beruf Hauptschullehrer, Fronturlaub und traf sich mit der Mutter in Schlesien. Die Kinder Ingeborg (damals 18) sowie Isolde und Heinz (fünf Jahre) waren allein zu Hause, als die ersten Bomben auf Klagenfurt fielen: "Meine Schwestern sind mit mir dann aufs Kreuzbergl in die Bunker geflüchtet. Ich weiß noch, wie kalt und unheimlich es dort war", erzählt Heinz Bachmann. Die Mutter erfuhr erst mit ihrer Rückkehr, dass alle drei Kinder überlebt hatten – einige Häuser in der Umgebung waren ausgebombt worden. Während die Familie nach Obervellach übersiedelte, wo der Vater auf dem Bachmann-Hof aufgewachsen war, blieb Ingeborg alleine im Haus, um weiter zur Schule zu gehen: "Erst im Mai 1945 kam sie auch nach Obervellach".
HEINZ BACHMANN IM INTERVIEW
"Meine Schwester Ingeborg war immer für mich da"
Sie schreiben in Ihrem Buch: "Ich will Ingeborg in meiner Erinnerung festhalten, wie sie für mich war." Wie war sie?
Man glaubt immer, sie war schwermütig und schwierig und das war sie vielleicht auch vor allem später, als sie schwere Krisen durchmachte. Aber vor allem war sie eine sehr fröhliche Person, die unglaublich gut Geschichten, Anekdoten und auch dumme Witze erzählen konnte und immer der Mittelpunkt in Gesprächen war. Und sie war immer für mich da, später haben wir uns gegenseitig unterstützt. Wir konnten uns einfach aufeinander verlassen.
Am 17. Oktober jährt sich der 50. Todestag Ihrer Schwester. Wollten Sie deshalb Ihre Erinnerungen festhalten?
Nein, sondern der Verlag hat mich darum gebeten, ich wäre selber nicht auf die Idee gekommen. Anfangs hat es mir echt Sorgen gemacht, wie ich 80 bis 100 Seiten füllen soll. Es ist ja nicht so einfach, sich 50 bis 80 Jahre zurückzuerinnern. Aber im Schreiben und auch mithilfe meiner Schwester Isolde ist mir vieles wieder eingefallen.
Sie haben vor ziemlich genau zwei Jahren das Elternhaus in der Klagenfurter Henselstraße ausgeräumt, weil dort ein Museum entstehen wird. Da werden auch viele Erinnerungen aufgekommen sein, oder?
Ja, natürlich. Unter anderem habe ich dort die im jetzigen Buch beschriebene amerikanische Übersetzung von "Der gute Gott von Manhattan" entdeckt, von der Ingeborg sich eine Verfilmung erhoffte. Leider wurde nichts daraus. Dass unser Elternhaus zu einem Museum wird, ist schön. Hätten wir es privat verkauft, könnten wir nie mehr hinein. So bleiben viele Sachen erhalten und das Haus für alle zugänglich.
Sie beschreiben sehr liebevoll, wie stark die Familie zusammengehalten hat. Was war Familie für Ihre Schwester?
Die Familie war ihre Stütze. Sie hat ja praktisch aus dem Koffer gelebt, viele Lesereisen unternommen, immer wieder Freunde und Bekannte in ganz Europa besucht. Und sie war sehr früh schon eine öffentliche Person. Wohin zieht man sich da zurück? Das Elternhaus in Klagenfurt und auch das Haus in Obervellach bei Hermagor waren da für sie wichtige Rückzugsorte, wo sie sich sicher fühlte. Und sie wollte auch gerne, dass ich nach Rom übersiedele oder dass wir in London, wo ich damals schon lebte, gemeinsam eine Wohnung suchen. Sie hätte Unterstützung gehabt, und das ohne Bindung. Ich glaube, sie hat ihre Partner immer als Belastung empfunden.
Aus Ihrem Buch kann man deutlich herauslesen, dass Sie nicht der größte Fan von Max Frisch waren, mit dem Ihre Schwester mehrere Jahre eine Beziehung hatte.
Dafür gibt es objektive Gründe. Er war ja sozusagen vier Jahre lang mein Schwager, aber es gab da nie eine Herzlichkeit. Er hat meinen Eltern zweimal Geschenke gemacht – und zwar Bücher von sich selbst mit Widmung. Und die meisten noch erhaltenen Briefe an Ingeborg sind Durchschriften. Ich meine, wer macht denn so etwas? Wer schickt nicht das Original? Und seine Eifersucht war ja ohnehin allgemein bekannt. Meine Schwester wollte eine Utopie leben mit großen Freiheiten, das war ihm unerträglich. Aber das muss er gewusst haben. Auch aus dem Briefwechsel mit Paul Celan geht klar hervor, dass sie ihren Partnern gesagt hat, dass sie nicht zu Hause sitzt und auf sie wartet.
Sie schreiben über Paul Celan: "Die Beziehung zu ihm war wohl in literarischer und romantischer Hinsicht für sie die wichtigste ihres Lebens." Warum?
Sie hat ihn literarisch immer sehr geschätzt und persönlich ist sie nie von ihm losgekommen. Sogar, als er geheiratet hat, ohne es ihr zu sagen, blieb diese Verbundenheit, obwohl sie sehr betroffen war.
Sie erzählen, dass Ihre Schwester darüber nachgedacht hat, ein Kind zu adoptieren. Wäre sie eine gute Mutter gewesen?
Das ist schwer vorstellbar, sie hätte ihr Leben sehr umkrempeln müssen. Aber im Detail haben wir das nicht besprochen. Ich habe damals in Gabun als Geologe für eine Ölgesellschaft gearbeitet und da kam sie auf die Idee. Ich habe ihr aber abgeraten, denn ein Kind ist dort nie ein Waisenkind, sondern Teil des Stammes. Ich habe großen Zweifel gehabt, dass es so einem Kind in Europa besser gegangen wäre.
Ihre Schwester hat aber auch Ihnen gegenüber ein bisschen eine Mutterrolle eingenommen, oder?
Ja, vor allem anfangs. Es gibt sogar ein Foto beim Waschen meiner Windeln und es soll Streit mit unserer Mutter gegeben haben, weil sie sich durch Ingeborg in ihrer Mutterrolle übergangen fühlte. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie sie und Isolde mit mir in den Luftschutzbunker geflüchtet sind, als Klagenfurt bombardiert wurde, meine Mutter hat sich damals mit unserem Vater in Schlesien getroffen, der Urlaub von der Front hatte. Und später hat mir Ingeborg zum Beispiel ein Praktikum in Israel finanziert. Als sie dann einmal dringend Geld brauchte, habe dafür ich ihr dann ausgeholfen.
Aufgrund der regen Reisetätigkeit von Ihnen und Ihrer Schwester gab es eines regen Briefwechsels innerhalb der Familie. Sind diese Briefe erhalten?
Ja, es gibt noch sehr viel von dieser privaten Familienkorrespondenz. Wir haben uns aber nicht entschließen können, sie öffentlich zugänglich zu machen, sie sind doch sehr privat. Isolde und ich sind in gewisser Weise öffentliche Personen geworden, weil wir uns um ihren Nachlass gekümmert haben. Das gilt aber natürlich nicht für den Rest der Familie.
Sie schreiben, dass auch dank dieser Beschäftigung Ihre Schwester noch immer jeden Tag bei Ihnen ist. Wie schmerzhaft war es, sich nun wieder mit ihrem Tod auseinanderzusetzen?
Die Zeit heilt, wie man so schön sagt, viele Wunden, aber die Trauer hat nie ganz aufgehört. Es ist mir jahrelang sehr schwergefallen, überhaupt darüber zu sprechen. Diese Tage damals nach ihrem schweren Brandunfall in Rom waren furchtbar. Ich bin damals beruflich im Senegal gewesen und sofort nach Rom geflogen, wo meine Schwester Isolde schon eingetroffen war. Wir mussten es erst langsam rekonstruieren, was passiert war. Ingeborg ist auf der Toilette mit einer Zigarette eingenickt und hatte einen Umhang um sich gewickelt, der Feuer gefangen hat.
Im Bekanntenkreis Ihrer Schwester kam bald die Theorie auf, sie sei ermordet worden ...
... das war völliger Unsinn und wurde vor allem von einer Freundin meiner Schwester, Heidi Auer, verbreitet. Sie war die Frau eines Arztes und hatte Ingeborg wohl über viele Jahre mit Medikamenten versorgt. Als die Ärzte im Krankenhaus aber dringend wissen wollten, was meine Schwester genommen hatte, hat sie nicht gesagt, woher die Entzugserscheinungen kommen. Ich glaube, deshalb hat sie nach dem Tod wahnwitzige Verschwörungstheorien verbreitet.
Nämlich dass Ihre Schwester wegen ihrer Drogenabhängigkeit und der damit verbundenen Beziehungen zur Mafia ermordet worden wäre.
Ja, völlig absurd. Für uns war immer klar, dass es ein Unfall war. Wir haben uns damals sogar mit einem Anwalt beraten und der hat gemeint, da kann man nichts dagegen machen.
Hätte man die Tablettensucht Ihrer Schwester früher erkennen können?
Ein bisschen haben wir ja den Verdacht gehabt, aber es war nie offensichtlich. Mit der Trennung von Max Frisch muss sich der Verbrauch massiv gesteigert haben, aber wie groß das Problem war, das erkannten wir erst nach ihrem Tod. Kurz zuvor planten wir eine gemeinsame Reise, die sie dann verschob. Manchmal frage ich mich, ob das etwas verändert hätte, wenn wir die geplanten zwei, drei Wochen zusammen verbracht hätten und ob ich da nicht erkannt hätte, wie gravierend die Tablettenabhängigkeit geworden war.
Und was war das jetzt für ein Gefühl, das fertige Buch in der Hand zu halten?
Ehrlich gesagt habe ich noch gar kein Buch gesehen. Meine Exemplare liegen beim Zoll, denn seit dem Brexit ist alles sehr schwierig geworden.
"Reise in die Wüste": Der Film über Ingeborg Bachmann
Margarethe von Trotta hat die Beziehung von Ingeborg Bachmann zu Max Frisch verfilmt. Vicky Krieps brilliert als Kärntner Weltschriftstellerin. Seit 13. Oktober 2023 im Kino.
Filmvorstellung: Marian Wilhelm
Die Grande Dame des bundesdeutschen Kinos, Margarethe von Trotta, hat sich der berühmtesten Kärntner Weltschriftstellerin angenommen. Für die Hauptrolle in "Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste" hat sie keine Geringere als Vicky Krieps ("Corsage", "Der seidene Faden") engagiert. Die charismatische Mimin macht damit einen Sprung von ihrer überlebensgroßen Rolle als Sisi in die Nachkriegszeit – von einer Adeligen zu einer Autorin. Von einer Frau mit dem Wunsch nach Freiheit hin zu einer, die versuchte, die Freiheit tatsächlich zu leben.
Diese Rolle war "erst mal sehr beängstigend. Weil es nicht nur um jemanden geht, den die Leute gut kennen, sondern um jemanden, der sehr klug, talentiert und außergewöhnlich war – für mich eine der größten Denkerinnen ihrer Zeit", sagte Starschauspielerin Krieps (40) bei der Weltpremiere in Berlin zur Kleinen Zeitung. Regisseurin Margarethe von Trotta (81) erkannte eine Verwandtschaft zwischen Mimin und Dichterin: "Krieps hat auch eine große Weltsicht, Weitsicht und Intelligenz. Das, was Bachmann auch hatte; dieses strahlende Lächeln, das plötzlich aufbricht."
Bevor Krieps sich in dieses Projekt stürzte, hatte sie sich gerade erst von ihren kaiserlichen Pflichten als Sisi in Marie Kreutzers "Corsage" befreit. "Ich glaube nicht, dass es meine Aufgabe als Schauspielerin ist, zu zeigen, wie gut ich jemanden imitieren kann." Die Luxemburgerin lehnte es ab, sich in puncto Aussehen und Stimme allzu sehr anzupassen. Stattdessen näherte sie sich dem Inneren der berühmten Kärntnerin, "ihrer Seele und ihrer Verzweiflung". Sie habe von Anfang an gespürt, dass sie diese Frau verstehe. "Da war etwas. Etwas, das ich vielleicht über mich selbst nicht verstehe."
Bachmanns Texte machten es ihr nicht leicht. "Was mir da entgegenschlug, war eine große Dunkelheit, wie ich es noch bei keiner Figur gespürt habe. Ein ganz tiefer Abgrund." Die Gedichte waren der Schlüssel. "Jedes Wort trägt die Erlösung und die Zerstörung in sich. Jedes Wort ist das Versprechen auf ein neues Leben und die Möglichkeit vom Ende. Der Himmel kann aufgehen oder die Hölle.“ Daran hat Krieps ihre Bachmann ausgerichtet. "Ich habe dieselbe Obsession nach Wahrheit wie Ingeborg. Ich bin wegen Gedichten Schauspielerin geworden; auch jenen von Bachmann." Nun bringt sie diese Obsession auf die Leinwand.
Auch, wenn Titel und Erzählperspektive auf Bachmann fokussieren, geht es darin um die Episode mit dem Schweizer Autorenkollegen Max Frisch. Der großartige Ronald Zehrfeld legt die Männlichkeit seines Max Frisch bei aller Sympathie recht altmodisch an. Wie kann eine Beziehung von zwei freien Intellektuellen Bestand haben, die sich ihre Freiheiten zugestehen? Scheitert sie an der außergewöhnlichen Freiheit zweier mutmaßlich außergewöhnlicher Menschen oder doch nur daran, dass Frisch Bachmann mit seiner lauten Schreibmaschine nervt?
MARGARETHE VON TROTTA IM INTERVIEW
"Kein Mensch kannte Bachmann wirklich"
Interview: Julia Schafferhofer
Aus dem Marmorsaal im Hotel Imperial am Wiener Ring wurde das Caffè Greco – Ingeborg Bachmanns Lieblingskaffeehaus in Rom. Hektisch wuseln Kamera-, Licht- und Tonleute unter Lustern herum. Hier entsteht die internationale Bachmann-Koproduktion mit dem üppigen Budget von mehr als acht Millionen Euro. In der Drehpause gibt uns Regisseurin Margarethe von Trotta ein Interview. Die Regie-Pionierin über die Literatin, ihre Liebe zu ihm und seine Eifersucht.
Sie konzentrieren sich im Film auf die vier Jahre ihrer Beziehung. Wofür stehen diese für Sie?
Ich hasse Filme, die von der Wiege bis zur Bahre gehen. Für Ingeborg Bachmann waren es die vier prägenden Jahre ihres Lebens, ihre Mitte. Als sie Max Frisch kennenlernte, war sie 32, sie starb mit 47. Es war das erste Mal, dass sie glaubte, bei einem Mann auch Schutz zu finden. Er war Schweizer und strahlte aufgrund seiner Statur Stabilität und Erdhaftung aus. Sie glaubte wohl, dass sie dieser Mann frei sein lässt, sie nicht drängt, sie aber gleichzeitig schützt.
Sie sollte sich irren.
Er fühlte sich, glaube ich, überfordert und hat sie verlassen. Das war eine Niederlage und hat ihr Leben zerstört. Sie sagte ja später auch, er sei ihr Mörder. Er dagegen sagte, er fühle sich befreit und hat dann noch dreimal geheiratet, jeweils die Nächstjüngere: ein ganz normales Männerleben.
Wollen Sie mit diesem Film ihre Biografie gerade rücken?
Als ich mit den Recherchen anfing, dachte ich, dass der Verlag mir die Einsicht in ihre Korrespondenz mit Frisch gibt, die ist bekanntlich noch nicht erschienen. Ich habe bei all meinen Filmen über Rosa Luxemburg, Hannah Arendt und Hildegard von Bingen auf die Korrespondenz zurückgreifen können. Das finde ich wichtig, denn man schreibt ja jedem Menschen anders. Ich kenne die Celan-Briefe und jene von Henze an sie, aber mir fehlten die Briefe von Frisch. Der Verlag erteilte mir keine Erlaubnis.
Sie kennen wirklich nichts?
Gar nichts. Sogar ihr Bruder wollte mir helfen, dasselbe gilt für die Erben von Max Frisch. Es war der Verlag. Da war nichts zu machen.
Ist das nicht riskant?
Ich kenne zum Glück einen Schriftsteller, der eine Zeit lang dort Lektor war. Er wollte mir helfen und hat sich sehr bemüht, dass ich an die Briefe komme. Ich schickte ihm das Drehbuch und bat ihn, mir zu sagen, ob ich irgendwo falschliege. Er schrieb mir, ich brauche keine Unruhe haben, es sei nichts eklatant falsch daran.
Wie erzählen Sie die Geschichte nun ohne Briefe?
Meine rettende Idee: Ich erzähle die Geschichte über eine Reise in die Wüste, die sie mit Adolf Opel unternahm, der darüber auch ein Buch schrieb. Auf dieser Reise hatte Bachmann für einen Moment das Gefühl, sie sei erlöst und gesundet. Ausgehend davon blicken wir auf das Leben der beiden zurück.
Max Frisch soll sehr eifersüchtig gewesen sein. War er es auch auf ihren Erfolg?
Er war ein Monster! Ich habe seine zweite Frau Marianne Frisch, jene, für die er Ingeborg verlassen hat, getroffen. Sie ist dagegen, dass ich einen Film über ihn mache, aber hat mir viel erzählt. Sie sagte auch, er sei ein Monster an Eifersucht. Das kenne ich, ich bin selbst eifersüchtig.
Welches Bild wollten Sie von Bachmann zeichnen?
Eines, das so vielfältig und diffus ist, wie es vielleicht war. Kein Mensch kannte sie wirklich. Warum sollte ich das von mir verlangen? Frisch sagte immer, sie war eine Geheimniskrämerin. Sie wollte ihr Leben schützen und mit jenen, die ihr etwas bedeuteten, hundertprozentig zusammen sein. Keiner wusste vom anderen. Als sie starb, waren viele Freunde da, um zu trauern. Jeder dachte, er wäre der beste Freund oder die beste Freundin. Sie gab allen dieses Gefühl, der oder die Einzige zu sein. Das ist eine Begabung.
Sie drehen in sechs Ländern – leider nicht in Klagenfurt, wo sie ihre Kindheit verbrachte.
Kärnten konnte das Projekt leider nicht ausreichend fördern. Ich bin sehr traurig darüber, ich war mehrere Tage mit dem Produzenten Alexander Dumreicher-Ivanceanu vor Ort und habe viele Menschen getroffen, die sie kannten oder sich mit ihrem Werk beschäftigt haben.
Warum haben Sie Vicky Krieps als Bachmann besetzt?
Ich wollte sie unbedingt haben. Sie hat eine Art, ernsthaft zu sein und plötzlich zu lächeln, dass das Gesicht erstrahlt. Das hat sonst niemand – und das hatte Ingeborg Bachmann auch.
Als Filmemacherin waren Sie so oft Pionierin. Was denken Sie, wenn Frauen nun von den Oscars bis Venedig reüssieren?
Das ist fantastisch! Endlich werden Frauen bemerkt. Gekonnt haben sie es immer schon, aber sie wurden immer zur Seite geschoben. Seit der #MeToo-Bewegung profitieren auch Regisseurinnen.
Sind Sie rückblickend stolz darauf, gekämpft zu haben?
Was heißt stolz? Ich habe kämpfen müssen, es hat mir niemand erleichtert. Ich bin einfach froh, dass es so geschehen ist.
Bachmanns "Malina" im Volkstheater: Kaleidoskop einer Zerrüttung
Derzeit ist nicht nur ein Film über Ingeborg Bachmann, sondern auch eine Bühnen-Adaption von Bachmanns Roman "Malina" zu sehen – im Volkstheater Wien. Mit kaleidoskopischen Bildern eines zersplitternden Ichs ist Regisseurin Claudia Bauer am Wiener Volkstheater durchaus souverän gescheitert.
Kritik: Ute Baumhackl
Es ist ein wahres Ungetüm von einem Roman, der so tut, als handle er von einer Frau zwischen zwei Männern, während er in Wahrheit davon berichtet, wie ein weibliches Ich sich auflöst, nein: zerstört wird. In "Malina", Ingeborg Bachmanns einzigem vollendeten Roman, zeichnet eine namenlose Ich-Erzählerin ein Bild bedrängender, erdrückender patriarchaler Gewalt. In quasi autobiografischem Gewand erzählt das Buch im Zuge einer Liebesgeschichte von der verzweifelten Unmöglichkeit, mit den Mitteln dichterischer Sprache den eigenen Emotionen oder gesellschaftlichen Zwängen beizukommen. Das Buch, ein maßloses Konvolut aus Prosa, Essay, Dialogen, Traumniederschriften, Telefonaten, Briefen, Interviewfragmenten, Opernlibretto, seit seiner Erstpublikation 1971 hunderttausendemal verkauft, gilt heute als Eckstein der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur und als wichtiger feministischer Quelltext.
Einen denkwürdigen Versuch, den Text zwischen seinen Buchdeckeln hervorzuholen, unternahm anno 1991 der Filmregisseur Werner Schroeter: Nach einem Drehbuch von Elfriede Jelinek brachte er 20 Jahre nach Erstveröffentlichung des Romans eine symbolpralle Fieberfantasie mit Isabelle Huppert und Mathieu Carrière auf die Leinwand. Für Bachmanns Roman überzeugende Bilder und Handlungselemente zu finden gelang ihm damals nicht. Nun, 50 Jahre nach Bachmanns Tod im Jahr 1973, scheitert am Wiener Volkstheater Claudia Bauer mit einer Bühnenadaption des Romans.
Aber sagen wir: Sie scheitert besser. Bauer, der im Vorjahr mit "humanistää!" eine fulminante, mehrfach preisgekrönte Collage aus Jandl-Texten gelang, hievt gemeinsam mit Co-Autor Matthias Seier eine kaleidoskopische Version des Romans auf die Bühne; wie schon in "humanistää!" setzt sie dabei auf Verfremdung, Repetition, Chorisches, Choreografie. Sieben Schauspielerinnen und Schauspieler in blonden Bachmannperücken gestalten im Wechselspiel die Geschichte einer anonymen Autorin, deren Liebe zum lebensfrohen Ivan scheitert, deren private und schreiberische Existenz an zerrüttetem Bewusstsein und verdrängter faschistischer "Vaterwelt" zerreibt und die letztlich spurlos in der Wand verschwindet – bzw. in ihrem männlichen Alter Ego Malina, in dem sich ihre Persönlichkeit auflöst.
Zum Stück
Malina. Von Ingeborg Bachmann, Bühnenfassung: Claudia Bauer (Bild), Matthias Seier.
Inszenierung: Claudia Bauer
Bühne: Patricia Talacko
Mit: Bettina Lieder, Samouil Stoyanov, Evi Kehrstephan, Nick Romeo Reimann u.a.
Termine und Karten: www.volkstheater.at
"Ich habe in Ivan gelebt und ich sterbe in Malina", lässt Bachmann ihre Erzählerin sagen. Für die Sogwirkung des geschriebenen Worts hat Bauer eine interessante Entsprechung gefunden: eine Live-Kamera, die das farbensatte Bühnengeschehen rund um drei möblierte Kuben (Bühne: Patricia Talacko) begleitet, saugt sich in monumentalen Großaufnahmen und wie im Versuch, ihr unter die Haut zu kriechen, am Gesicht der Protagonistin Bettina Lieder fest. Derlei zwingt den Blick in die stete Überschreitung der Intimitätsgrenzen und weckt so unbehagliche Assoziationen an die Übergriffsdiskussionen der jüngsten Vergangenheit.
Und doch konzentriert sich der Blick am stärksten auf Samouil Stoyanov, dem Bauer in der Rolle des vitalen Ivan einen Großtteil des gut zweistündigen Abends überlässt; faszinierend zu sehen, wie sein lebhaftes, pointiertes Spiel im hochartifiziellen Rahmen des Stücks den Text zum Flirren, seine Pointen zum Funkeln bringt. Dennoch zeigt der Umgang mit seiner Figur ein Grundproblem des Abends an: weniger, dass er sich zu sehr auf einen männlichen Charakter konzentriert, sondern dass er sich ganz unter das Diktat der Unterhaltsamkeit stellt. Existenzielle Selbstergründung, Sprachkritik, Aufarbeitung politischer Traumata sind der Kurzweil nachgestellt. So wirkt dieser "Malina" zwar durchaus geistreich, aber nicht eben belangvoll. Dennoch langer, herzlicher Applaus für Ensemble und Leading Team.
Bachmann und Frisch: Der Briefwechsel
Nach jahrzehntelangem Tauziehen wurde im November 2022 der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch veröffentlicht – die hochliterarische Chronik einer unmöglichen Liebe.
Von Bernd Melichar
Es begann in Paris, mit Küssen zwischen Gemüsekisten und blutigen Metzgerschürzen; es endete fünf Jahre später im Chaos, in der Verzweiflung, im gegenseitigen Schuldzuweisen. Dazwischen liegt ein hochemotionaler Ringkampf, der jetzt Literaturgeschichte schreiben wird. Fast 50 Jahre nach ihrem Tod haben die Geschwister von Ingeborg Bachmann der Veröffentlichung ihres Briefwechsels mit Max Frisch zugestimmt.
Bachmann selbst hatte sich eine Publikation vehement verbeten: "Damit niemand ein Schauspiel hat eines Tages." Was jetzt in dieser Korrespondenz nachzulesen ist, ist ein ebenso atemberaubendes wie faszinierendes Trauerspiel; anfangs noch ein Turteln, Tuscheln und leidenschaftliches Toben, zunehmend ein Zetern, Zerren und verzweifeltes Zischen, gegen Ende hin dann ein Winden, Winseln und explosives Wüten. Das berühmteste Schriftstellerpaar der Nachkriegszeit blieb einander nichts schuldig und war einander ebenbürtig – im Guten wie im Schlechten.
Ich bin glücklich und ratlos und zu feig, um über die Stunde hinaus zu denken. Ich will den Sommer mit Dir. Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir.
Als sich die Wege von Bachmann, damals 32, und Frisch, 47, kreuzten und sie bald auf den Inbegriff einer Amour fou zusteuerten, waren beide bereits Popstars der Literatur. Bachmann hatte 1956 ihren hochgelobten Lyrikband "Anrufung des großen Bären" veröffentlicht, Frisch war mit den Romanen "Stiller" (1954) und "Homo Faber" (1957) höchst erfolgreich. Aus der gegenseitigen beruflichen Bewunderung entstand auch der erste Briefkontakt.
Bachmann schlug ein Treffen in Zürich vor, das dann aber nicht zustande kam. Erst in Paris, Bachmann hatte sich erst kurz davor von Paul Celan getrennt, dann die persönliche Begegnung, die sich bereits innerhalb weniger Tage zu einem Gefühlsfuror entwickelte. Frisch zeigt sich "glücklos und ratlos", schreibt darüber, dass Bachmann als "langgefürchteter Engel" in sein Leben trat, Bachmann wiederum drängt zur raschen Liebesentscheidung: "Ja oder Nein?"
Mehr als 1000 Seiten dick ist dieser sorgsam edierte und einbegleitete Band, dessen Titel aus einem Frisch-Brief stammt: "Wir haben es nicht gut gemacht." Es sind Liebesbriefe, Leidensbriefe, Trennungsbriefe. Es ist das Protokoll einer Beziehung, die man heute mit dem Universaletikett "toxisch" versehen würde. Der Klassiker schlechthin: Man konnte weder mit- noch ohne einander. Und weil Ingeborg Bachmann und Max Frisch nicht nur Ohnmächtige der Liebe waren, sondern auch Mächtige des Wortes, sind diese Briefe – zumindest zum Gutteil – auch große Literatur.
Dass wir ein Unheil füreinander wären, das mag ich nicht glauben, wieso auch, wieso sollten wir keine große Chance haben?
Mutmaßungen, Gerüchte, Geheimnisse über diese Briefe mäandern seit Jahrzehnten durch die Literaturlandschaft. Und auch eine Rollenverteilung hat sich festgeschrieben: Hier Ingeborg Bachmann, die filigrane, verletzliche, hypersensible Schmerzensfrau, die zur mystischen Kranken stilisiert wurde, der letztendlich tödliches Leid zugefügt wurde. Dort Max Frisch, der skrupellose Egomane, der frauenfressende Blaubart, der kalt berechnende Biedermann, der als Brandstifter der Beziehung Schuld an der seelischen Zerrüttung Bachmanns trägt.
Zum Buch
Ingeborg Bachmann/ Max Frisch. Wir haben es nicht gut gemacht. Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langre, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann.
Piper, Suhrkamp, 1059 Seiten, 41,20 Euro.
Diese Dämonisierung Frischs und Idealisierung Bachmanns muss nach der Lektüre des Briefwechsels korrigiert werden. Im berühmten "Venedig-Vertrag" aus dem Jahr 1960 hatte sich das Paar unter der Bedingung, dass das Herz nicht involviert ist, gegenseitig erotische Side-Steps zugestanden. Davon machte nicht nur Frisch Gebrauch. Und die endgültige Trennung ging letztendlich in der Neujahrsnacht 1962/63 auch von Bachmann aus. Ein gütliches Auseinandergehen, wie von Frisch vorgeschlagen, schlug sie aus.
Was war Wirklichkeit, was Hysterie, was literarische Überhöhung? Diese Frage wird auch nach der Veröffentlichung des Briefwechsels nicht zu beantworten sein. Spürbar ist jedoch, dass hier zwei verzweifelt Liebende und Schreibende am Werk waren, die aus der privaten Passion – ob bewusst oder unbewusst – ihre Kunst destillierten. Dass sie ein Unheil füreinander sind, hat Max Frisch früh erkannt. Rund zehn Jahre nach dem Ende der Beziehung kam Ingeborg Bachmann unter tragischen Umständen in ihrer Wohnung in Rom ums Leben. Ihr Gedicht "Ihr Worte" endet so:
Kein Sterbenswort,
Ihr Worte!
Vier Empfehlungen zum Neuentdecken und Wiederlesen
HUBERT PATTERER
Protokoll einer Aufsässigen
"Mit den Erwachsenen kann man nicht mehr
reden." Den Satz schreibt die 18-jährige Ingeborg Bachmann in ihr Tagebuch. Der Krieg ist aus, ihm wird der "schönste Sommer meines Lebens" folgen. Sie klettert vor Daseinsfreude die Bäume hoch, doch die Stunde null fühlt nur die Heranwachsende. Sie verliebt sich in einen britischen Besatzungssoldaten und paradiert mit ihm und aufsässigem Stolz durchs nachnazistische Hermagor – die eindrücklichste Passage des jugendlichen Protokolls. Der Krieg, der zum Krieg der Geschlechter wird, das Emanzipatorische, die Anrufung der Freiheit: Vieles von dem, was sich leitmotivisch durch das Werk der Poetessa ziehen wird, ist hier grundgelegt und leuchtet zart.
Ingeborg Bachmann. Kriegstagebuch. Suhrkamp, 113 Seiten, 8,90 Euro.
KARIN WALDNER-PETUTSCHNIG
Im Ungargassen-
land
"Es war Mord". Der letzte Satz in Bachmanns einzigem Roman "Malina" ist wie ein Schlag in die Magengrube. War es doch nicht nur eine komplizierte Liebesgeschichte zwischen der Ich-Erzählerin, ihrem Mitbewohner Malina und ihrem Geliebten Ivan, alle drei zu Hause im "Ungargassenland" in Wien? Nein, da war mehr. Der komplexe, sprachlich grandiose Roman, eine Montage aus Telefonaten, Interviews, Träumen, Briefen und Dialogen hat viele Schichten. Er erzählt von der Identitätssuche der Heldin zwischen männlichem und weiblichen Prinzip, von der Ausgrenzung von Frauen, von Patriarchat und Faschismus: "Der Faschismus ist das Erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau."
Ingeborg Bachmann. Malina. Suhrkamp, 389 Seiten, 11,90 Euro.
ULRIKE GREINER
Das Zerbrechen einer Idylle
Die Erzählung "Jugend in einer österreichischen Stadt", 1961 im Band "Das dreißigste Jahr" erschienen, wollte Ingeborg Bachmann nicht als autobiografischen Text verstanden wissen. Dennoch ist der persönliche Bezug zu Klagenfurt, wo der Zweite Weltkrieg sich wie ein böser Schatten auf das Dasein der Kinder legte, unübersehbar. Eindrücklich schildert Bachmann das Zerbrechen einer Idylle. Noch spielen die Kinder Himmel und Hölle, noch lernen sie Französisch, noch bauen sie Schneemänner. Aber der Krieg kennt kein Erbarmen. Bachmanns Erzählung ist aktueller denn je, wenn man auf die Kriegsherde der Welt blickt, in der tausenden Kindern ein unbeschwerter Start ins Leben geraubt wird.
Ingeborg Bachmann. Das dreißigste Jahr. Piper, 192 Seiten, 12,95 Euro.
MARIANNE FISCHER
Hohe Bild- und Sprechkraft
Die Lyrik hat sie schon früh berühmt gemacht: Für ihren Gedichtband "Die gestundete Zeit" bekam Ingeborg Bachmann 1953 den Literaturpreis der "Gruppe 47", gemeinsam mit dem Band "Anrufung des Großen Bären" bildet er den Kern ihres lyrischen Werks. In ihrer Bild- und Sprachkraft, in der Intensität im Denken und Fühlen und im Verweben von Alltäglichem mit Abstrakten entwickeln die Texte große Kraft. Dazu kommen Zeilen von bestürzender Aktualität, wie etwa im Gedicht "Alle Tage" aus dem Jahr 1952: "Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich geworden", heißt es zu Beginn, gefolgt von der Hoffnung auf passiven Widerstand. Beklemmend, wichtig.
Ingeborg Bachmann. Die gestundete Zeit. Piper, 96 Seiten, 13 Euro.
Digitale Aufbereitung: Jonas Binder
Video: KLZ/Helmuth Weichselbraun, KLZ/Marianne Fischer, KLZ/Thomas Cik
Fotos: Familienarchiv, Österreichische Post, Der Spiegel, KLZ/Helmuth Weichselbraun (8), Polyfilm, KLZ/Christoph Kleinsasser, Volkstheater/Marcel Urlaub, Max-Frisch-Archiv Zürich