Ein halbes Jahr danach
Die Flut in Deutschfeistritz und wie uns Unwetter noch weiter beschäftigen
FEATURE. Zunehmende Unwetterereignisse haben uns fest im Griff. Ein Besuch in Deutschfeistritz und Übelbach, ein halbes Jahr nach den schweren Überschwemmungen. Und: Wie werden Hochwasser berechnet? Wie kann man sich schützen? Wie läuft die Zusammenarbeit – auch über Grenzen hinweg?
Von Verena Schaupp
Lautes Rauschen, Bäume schwimmen vorbei, Autodächer lugen unter der schlammigen Wassermasse hervor. In der Ferne leuchtet eine Warnampel. „Straßen sind weg, Wohnhäuser verschoben, wir haben Leute evakuiert und hunderte Einsatzadressen“, spricht Andreas Reiter, Kommandant der Feuerwehr Deutschfeistritz, in die Kamera. Anfang Juni verwandelt sich der Übelbach durch starke Gewitter zu einem reißenden Fluss. Es ist ein mehr als hundertjährliches Hochwasser.
FEATURE. Zunehmende Unwetterereignisse haben uns fest im Griff. Ein Besuch in Deutschfeistritz und Übelbach, ein halbes Jahr nach den schweren Überschwemmungen. Und: Wie werden Hochwasser berechnet? Wie kann man sich schützen? Wie läuft die Zusammenarbeit – auch über Grenzen hinweg?
Von Verena Schaupp
Lautes Rauschen, Bäume schwimmen vorbei, Autodächer lugen unter der schlammigen Wassermasse hervor. In der Ferne leuchtet eine Warnampel. „Straßen sind weg, Wohnhäuser verschoben, wir haben Leute evakuiert und hunderte Einsatzadressen“, spricht Andreas Reiter, Kommandant der Feuerwehr Deutschfeistritz, in die Kamera. Anfang Juni verwandelt sich der Übelbach durch starke Gewitter zu einem reißenden Fluss. Es ist ein mehr als hundertjährliches Hochwasser.
Monate später. Sechs Sandsäcke liegen vor einer verglasten Eingangstür. Ein Gitter versperrt einen Bach-Übergang. „Brücke gesperrt“ steht darauf.
Wasser plätschert friedlich darunter. Von hier aus sieht man die örtliche Bäckerei „Viertler“. Die Deutschfeistritzer reichen sich dort die Klinke in die Hand.
Es ist ein Mittag im Oktober. In der Gemeinde nördlich von Graz deutet kaum noch etwas auf das verheerende Unwetter-Wochenende des 8. und 9. Juni 2024 hin, das viele Teile der Steiermark in Atem hielt.
Auch in der Nachbargemeinde Übelbach ist im Zentrum von den Schäden nichts mehr zu sehen. „Wir hatten hunderte Haushalte ohne Wasser. In der Nacht mussten wir einen Siedlungsbereich aus einer gefährdeten Zone evakuieren“, holt Bürgermeister Markus Windisch die Ereignisse in die Gegenwart zurück.
Familien am Silberberg wurden wegen drohender Hangrutschungen mit dem Hubschrauber evakuiert. In Übelbach wurde, wie in Deutschfeistritz, die Katastrophe ausgerufen – jetzt zwitschern hier vor dem Rathaus idyllisch die Vögel.
Auch in der Nachbargemeinde Übelbach ist im Zentrum von den Schäden nichts mehr zu sehen. „Wir hatten hunderte Haushalte ohne Wasser. In der Nacht mussten wir einen Siedlungsbereich aus einer gefährdeten Zone evakuieren“, holt Bürgermeister Markus Windisch die Ereignisse in die Gegenwart zurück.
Familien am Silberberg wurden wegen drohender Hangrutschungen mit dem Hubschrauber evakuiert. In Übelbach wurde, wie in Deutschfeistritz, die Katastrophe ausgerufen – jetzt zwitschern hier vor dem Rathaus idyllisch die Vögel.
Scrollen Sie weiter, um einen detaillierten Blick auf das im Juni 2024 vom Hochwasser betroffene Gebiet nördlich von Graz zu werfen!
„Übeltäter“ war im Sommer der 27,4 Kilometer lange Übelbach. Er fließt durch die gleichnamige Gemeinde Übelbach, etwa parallel zur A9 Phyrnautobahn, und mündet in Deutschfeistritz in die Mur.
Seit 2016 gibt es einen Gefahrenzonenplan für den Übelbach, um das Risiko eines Hochwassers besser abschätzen zu
können. Auf Grundlage der Gefährdungsdaten ist hier in Anlehnung an die Gefahrenkarte des
Wasserinformationssystems Austria eingefärbt, in welchen Bereichen eine hohe, mittlere und geringe
Wahrscheinlichkeit einer
Überflutung besteht.
hohe
Wahrscheinlichkeit
mittlere
Wahrscheinlichkeit
geringe
Wahrscheinlichkeit
Für die Erstellung der Gefahrenzonenpläne wird untersucht, wie wahrscheinlich ein Hochwasser einmal in 30, in 100 oder in 300 Jahren auftritt. Fachleute bezeichnen das mit den Kürzeln HQ30, HQ100 und HQ300.
Das Überflutungsereignis von Deutschfeistritz lag über dem Bereich eines HQ100. Die hier gewählte Dreiteilung in hohe, mittlere und geringe Wahrscheinlichkeit einer Überflutung ist übrigens eine vereinfachte Darstellung. In der Realität ist die Materie komplex und es gelten unterschiedliche behördliche Zuständigkeiten wie auch Gefahrenzonenpläne.
Übrigens: Jene ⬤ Stelle aus dem Video vom Anfang des Artikels, wo in der Kirchberggasse Autos von den Fluten mitgerissen worden sind, gilt als relativ stark gefährdetes Gebiet.
Scrollen Sie weiter, um einen detaillierten Blick auf das im Juni 2024 vom Hochwasser betroffene Gebiet nördlich von Graz zu werfen!
„Übeltäter“ war im Sommer der 27,4 Kilometer lange Übelbach. Er fließt durch die gleichnamige Gemeinde Übelbach, etwa parallel zur A9 Phyrnautobahn, und mündet in Deutschfeistritz in die Mur.
Seit 2016 gibt es einen Gefahrenzonenplan für den Übelbach, um das Risiko eines Hochwassers besser abschätzen zu
können. Auf Grundlage der Gefährdungsdaten ist hier in Anlehnung an die Gefahrenkarte des
Wasserinformationssystems Austria eingefärbt, in welchen Bereichen eine hohe, mittlere und geringe
Wahrscheinlichkeit einer
Überflutung besteht.
hohe
Wahrscheinlichkeit
mittlere
Wahrscheinlichkeit
geringe
Wahrscheinlichkeit
Für die Erstellung der Gefahrenzonenpläne wird untersucht, wie wahrscheinlich ein Hochwasser einmal in 30, in 100 oder in 300 Jahren auftritt. Fachleute bezeichnen das mit den Kürzeln HQ30, HQ100 und HQ300.
Das Überflutungsereignis von Deutschfeistritz lag über dem Bereich eines HQ100. Die hier gewählte Dreiteilung in hohe, mittlere und geringe Wahrscheinlichkeit einer Überflutung ist übrigens eine vereinfachte Darstellung. In der Realität ist die Materie komplex und es gelten unterschiedliche behördliche Zuständigkeiten wie auch Gefahrenzonenpläne.
Übrigens: Jene ⬤ Stelle aus dem Video vom Anfang des Artikels, wo in der Kirchberggasse Autos von den Fluten mitgerissen worden sind, gilt als relativ stark gefährdetes Gebiet.
„Der Bereich in Deutschfeistritz, wo Autos aufgeschwemmt und zwischen den Häusern eingeklemmt wurden, gilt als gelbe Zone an der Grenze zur roten Zone“, sagt Phillis Cichy vom Referat Wasserwirtschaftliche Planung des Landes Steiermark. Eine rote Gefahrenzone heißt, dass im Fall eines Hochwassers Gefahr für Leib und Leben besteht. Neubauten sind in diesen Zonen nicht zugelassen.
Weiterentwicklung durch Europäische Union
„Nach den europaweiten Unwetterereignissen 2002 hat die EU gesagt, es braucht eine Hochwasserrichtlinie auf EU-Ebene“, erklärt Cichy. Für gefährdete Gebiete müssen genaue Pläne erstellt werden. Gewichtet wird hier nach Siedlungsdichte und wichtiger Infrastruktur, etwa Schulen, Krankenhäuser usw.
Flussverläufe von der Quelle bis zur Mündung werden untersucht, durchschnittliche Niederschlagswerte von Messstationen für die Berechnung herangezogen. Dabei muss bedacht werden, dass Extremereignisse zunehmen. Das fließt laut Cichy in die Berechnung mit ein. Abhängig von Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit werden dann die Gefahrenzonen ausgewiesen.
„Wir erstellen solche Gefahrenpläne auch abseits der Hochrisikogebiete. Es wird geschaut, dass Dämme, Mauern oder Rückhaltebecken auch in kleineren Regionen errichtet werden“, sagt die Expertin.
Handeln als Chef und Betroffener
Auch wenn der Übelbach wieder ruhig dahinplätschert, in Vergessenheit geraten ist das Juni-Wochenende nicht. „Es ging damals Schlag auf Schlag. Meine Schwester rief an, dass in der Bäckerei alles schwimmt“, erinnert sich der Deutschfeistritzer Bürgermeister Michael Viertler, Organisator in der Not und selbst Betroffener.
Er muss neuralgische Punkte sichern, 160 Leute reisen an dem Tag zu einem geplanten Konzert an. „Bitte sofort wegfahren“, ruft der Ortschef Autofahrern zu. Er erklärt die Katastrophe, „die Bäume sind geflogen, überall war Schlamm, ich hatte hunderte Anrufe am Handy, die Medien wollten Interviews“ – wirklich realisiert habe Viertler die Ereignisse erst Wochen später.
„Der Bereich in Deutschfeistritz, wo Autos aufgeschwemmt und zwischen den Häusern eingeklemmt wurden, gilt als gelbe Zone an der Grenze zur roten Zone“, sagt Phillis Cichy vom Referat Wasserwirtschaftliche Planung des Landes Steiermark. Eine rote Gefahrenzone heißt, dass im Fall eines Hochwassers Gefahr für Leib und Leben besteht. Neubauten sind in diesen Zonen nicht zugelassen.
Weiterentwicklung durch EU
„Nach den europaweiten Unwetterereignissen 2002 hat die EU gesagt, es braucht eine Hochwasserrichtlinie auf EU-Ebene“, erklärt Cichy. Für gefährdete Gebiete müssen genaue Pläne erstellt werden. Gewichtet wird hier nach Siedlungsdichte und wichtiger Infrastruktur, etwa Schulen, Krankenhäuser usw.
Flussverläufe von der Quelle bis zur Mündung werden untersucht, durchschnittliche Niederschlagswerte von Messstationen für die Berechnung herangezogen. Dabei muss bedacht werden, dass Extremereignisse zunehmen. Das fließt laut Cichy in die Berechnung mit ein. Abhängig von Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit werden dann die Gefahrenzonen ausgewiesen.
„Wir erstellen solche Gefahrenpläne auch abseits der Hochrisikogebiete. Es wird geschaut, dass Dämme, Mauern oder Rückhaltebecken auch in kleineren Regionen errichtet werden“, sagt die Expertin.
Handeln als Chef und Betroffener
Auch wenn der Übelbach wieder ruhig dahinplätschert, in Vergessenheit geraten ist das Juni-Wochenende nicht. „Es ging damals Schlag auf Schlag. Meine Schwester rief an, dass in der Bäckerei alles schwimmt“, erinnert sich der Deutschfeistritzer Bürgermeister Michael Viertler, Organisator in der Not und selbst Betroffener.
Er muss neuralgische Punkte sichern, 160 Leute reisen an dem Tag zu einem geplanten Konzert an. „Bitte sofort wegfahren“, ruft der Ortschef Autofahrern zu. Er erklärt die Katastrophe, „die Bäume sind geflogen, überall war Schlamm, ich hatte hunderte Anrufe am Handy, die Medien wollten Interviews“ – wirklich realisiert habe Viertler die Ereignisse erst Wochen später.
„Um 17.20 Uhr habe ich meinen Kollegen in Deutschfeistritz informiert, dass es bei uns stark regnet“, weiß der Übelbacher Ortschef Markus Windisch noch genau. Er führt an diesem Oktobertag durch seinen Ort, alle paar Meter grüßt er jemanden, schüttelt Hände. Den 36-jährigen Michael Reithofer treffen wir vor seinem Haus an. „Ich war damals alleine mit den zwei kleinen Kindern daheim. Wir hatten über einen Meter Wasser im Keller, unsere Ölheizung wurde kaputt.“ Die Kinder hätten längere Zeit danach Angst vor dem Bach gehabt.
Windisch zeigt uns jene Stelle, wo eine Mure die A9 verschüttete, danach fahren wir über neuen Asphalt am Silberberg, wo im Juni Straßen weggespült wurden. „Manche Personen waren drei Wochen lang evakuiert“, erzählt er.
Doch nicht nur die Steiermark war diesen Sommer mit verheerenden Unwettern konfrontiert. In Süddeutschland hinterlassen die Fluten Anfang Juni ein ebenso zerstörerisches Bild. Mitte September muss Niederösterreich mit Wassermengen unglaublichen Ausmaßes kämpfen. Polen, Tschechien, die Slowakei und Süditalien bleiben auch nicht verschont. Mehrere Menschen sterben. „Wir hatten viele Vermögensschäden, aber zum Glück keine Personenschäden“, sagt Windisch. Weniger Glück hatte Spanien nach der Flutkatastrophe Anfang November. Die Zahl der Todesopfer stieg bereits auf über 200, es gibt noch immer Vermisste.
So geht Hochwasserschutz
Extremereignisse nehmen aufgrund des Klimawandels zu. Hochwasserschutzmaßnahmen sind ein Instrument, das helfen soll. Christoph Schlacher, Referatsleiter Schutzwasserwirtschaft, erklärt: „In der Steiermark haben wir 17.000 Kilometer ständig wasserführende Gewässer, 7500 davon sind in Bundesverwaltung, 9500 im Betreuungsbereich der Wildbach- und Lawinenverbauung.“ Am Anfang des Prozesses meldet eine Gemeinde ihren Wunsch nach einem Hochwasserschutz an. Dann beginnt die Planung. Bis zur Vollendung können ein bis zwei Jahre vergehen. Mehrere Genehmigungen, Überprüfungen und zig Gespräche sind notwendig.
17.000
Kilometer ständig wasserführende
Gewässer gibt es in der Steiermark.
Denn Hochwasserschutz braucht viel Fläche. Es gilt, Retentionsmaßnahmen vor linearen Maßnahmen umzusetzen (Rückhaltebecken oder Dämme vor einer Veränderung des Flussbettes). „Wenn eben erst ein Hochwasserereignis stattgefunden hat, sind die Leute eher bereit, ihre Grundstücke zur Verfügung zu stellen“, sagt Schlacher. Die Grundstücksbesicherungen sind jener Teil der Planung, der am längsten dauern würde. „Wir benötigen oft Grundstücke von Personen, die nicht unmittelbar einen Schutz durch diese Maßnahme brauchen“, meint der Experte. Auch das Wasserrecht, Naturschutzgesetz und Bauprogramm des Landes seien zu beachten.
Wie man besser zusammenarbeiten will
Die zuständige Landesrätin Simone Schmiedtbauer (ÖVP) betont, dass „jährlich 55 Millionen Euro in den Schutz vor Naturkatastrophen investiert werden.“ Bei neuen Bauten seien die Gemeinden aber abhängig davon, dass Grund und Boden zur Verfügung steht. „Nur mit dieser Kooperationsbereitschaft können wichtige Bauten umgesetzt und weitere Schäden verhindert werden“, sagt Schmiedtbauer.
Außerdem sollen über das europaweit ausgeschriebene Pilotprojekt „Ramon“ alle 150 steirischen Rückhaltebecken mit neuer Messtechnik ausgestattet werden. Die Pegelstände werden automatisch über Radar- und Drucksonden überwacht, die Daten gesammelt und auf einer Webseite visualisiert. Wird der Alarmschwellenwert bei einem Rückhaltebecken überschritten, bekommen die wesentlichen Akteure eine Push-Nachricht, vereinfacht erklärt. Man will damit die Reaktionszeit im Ernstfall verkürzen und Erstmaßnahmen optimieren. Die Bevölkerung wiederum wurde heuer erstmals mit dem Katastrophenwarndienst „AT Alert“ über Unwetterereignisse gewarnt.
Ist ein Ereignis aber eingetreten, beginnt das Aufräumen. Aus dem Katastrophenfonds des Landes wurden heuer 14,8 Millionen Euro an Entschädigungen ausbezahlt, rund 18,7 Millionen Euro wurden bereits bewilligt. Bei Gebäudeschäden beträgt die Entschädigungsrate in der Steiermark 50 Prozent der Schadenssumme, bei Schäden aufgrund von Erdrutschen 40 Prozent, bei sonstigen Schäden 30 Prozent. In Härtefällen sind höhere Summen möglich, heißt es.
14,8 Mio.
Euro aus dem Katastrophenfonds wurden 2024 bereits an Entschädigungen ausbezahlt, rund 18,7 Millionen Euro wurden bereits bewilligt.
In Deutschfeistritz und Übelbach ist man noch mit der Abarbeitung der letzten Schäden beschäftigt. „Was schön zu sehen ist, wozu die Leute fähig sind, wenn man zusammenhält“, sagt Michael Viertler. Er lobt die Zusammenarbeit mit Übelbach am Unwetter-Wochenende, und vice versa. Die Kooperation endet nicht auf der regionalen Ebene. Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP), zuständig für die Feuerwehren, sagt auf Nachfrage: „In den gemeinsamen Regierungssitzungen von Steiermark und Kärnten wurde die Zusammenarbeit im Bereich der Großgerätebeschaffung für die Katastrophenabwehr vereinbart.“
Als in Niederösterreich Mitte September die Welt unterging, rückten Feuerwehrzüge aus anderen Bundesländern an. Auch über Landesgrenzen hinweg unterstützen sich Einsatzkräfte. Bei Projekten wie Ramon ist ein europäischer Austausch geplant. All dies wird in Zukunft wohl noch wichtiger werden.
INTERVIEW
„Unwetter machen vor Grenzen nicht Halt“
Alex Dorow ist Mitglied des Bayrischen Landtags und Vertreter im Ausschuss der Regionen in der EU.
Bayern ist das flächengrößte Bundesland Deutschlands mit 13,4 Millionen Einwohnern. Im Juni 2024 wurden auch dort sowie in Baden-Württemberg viele Städte und Orte überflutet.
Die Schäden in Süddeutschland werden auf mehrere Millionen Euro geschätzt, ein Feuerwehrmann kam ums Leben.
Wie erinnern Sie sich an die verheerenden Unwetter im Juni?
ALEX DOROW. In meiner Heimatregion (Landsberg am Leech in Bayern, Anm.) hatten wir großes Glück. Aber es gab natürlich Regionen, die stark betroffen waren. Die Starkwetterereignisse nehmen ja ganz offensichtlich zu. Es ist klar, dass wir da neue Konzepte brauchen, die mit Sicherheit auch grenzüberschreitend sein müssen.
Welche Konzepte könnten das sein?
Der Katastrophenschutz ist in Deutschland Ländersache. Bei Extremereignissen können sie Hilfe vom Bund anfordern. Für uns in Bayern war der Weckruf der Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall 2006 (Anm. durch Schneelast), direkt in Grenznähe, wo wir Hilfe aus Österreich bekommen und gesehen haben, wie wichtig das ist. Es gibt ein gegenseitiges Hilfsabkommen der Regionen zwischen Bayern, Österreich, Tschechien und der Schweiz. Das wird immer wieder angepasst. Neuer ist, dass die Hilfsorganisationen miteinbezogen werden.
Glauben Sie, dass man auch im Bereich Hochwasserschutz etwas voneinander lernen kann?
Selbstverständlich. Wenn Straßen neu gebaut oder verändert werden bei uns, geht das nicht mehr nur nach reinen Verkehrsgesichtspunkten, sondern danach, wie man das mit Hochwasserschutz kombinieren kann. In Grenznähe soll das natürlich koordiniert werden.
Ist das in der EU insgesamt ein Thema?
Definitiv. Unwetter machen vor Grenzen nicht Halt. Ich weiß, dass andere europäische Regionen hier auch kooperieren oder vorhaben, grenzüberschreitend zu kooperieren.
Wie funktioniert das Vorwarnsystem in Bayern?
Da gib es eindeutig Verbesserungsbedarf. Es ist bisher sehr lokal organisiert. In Deutschland wurde nach dem Kalten Krieg zum Beispiel stark abgebaut bei den Sirenen. Nach dem Prinzip „das brauchen wir nicht mehr“. Aber Sirenen dienen ja auch der Vorwarnung. Wenn ein Hochwasser kommt, das den Stützpunkt für die Sender außer Kraft setzt, hat man keine Warn-App mehr, die funktioniert. Da ist man vor ein paar Jahren draufgekommen. Jetzt werden wieder Sirenen aufgebaut. Ansonsten sind präventive Systeme wichtig, wie zum Beispiel am Forggensee (Anm. fünftgrößter See in Bayern). Das ist ein künstlich angelegter Stausee und dient heute auch dem Hochwasserschutz. Wenn sich drei, vier Tage vorher ein Unwetter prophezeit, wird der Forggensee schon abgelassen, danach kann der See das Wasser aufnehmen. Wo natürliche Voraussetzungen sind, will Bayern das fördern. Wenn keine natürlichen Voraussetzungen gegeben sind, muss man natürlich nachdenken und ist es wahnsinnig aufwendig. Generell sind wir guten Mutes, dass wir auf nachbarschaftlicher Ebene viel machen.
Was würden Sie sich von der EU wünschen?
Dass sie nicht bis ins Kleinste regulierend eingreift, aber stattdessen die großen Linien vorgibt. Der Ausschuss der Regionen ist der richtige Ort, um diese grenzübergreifenden Themen zu diskutieren.
Transparenz-Hinweis
Dieses Dossier entstand im Rahmen eines Workshops des forum journalismus und medien wien (fjum). Teil davon war eine Reise nach Brüssel, die vom Europäischen Ausschuss der Regionen finanziert wurde.
Digitale Aufbereitung: Jonas Binder
Fotos: Privat, KLZ/Stefan Pajman (5), Jürgen Fuchs, Imago (2), KLZ/Bernd März (2), AP/Alberto Saiz, Land Steiermark, KLZ/Verena Schaupp, Imago/Michael Bihlmayer (2)
Videos: Privat/Noémi Petrovics, KLZ/Verena Schaupp, KLZ/Stefan Pajman (4), KLZ
Geodaten Gefahrenzonen: Land Steiermark/Abteilung 14 Wasserwirtschaft, Ressourcen und Nachhaltigkeit (2024); Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft/Wildbach- und Lawinenverbauung (2024).
Die Gefahrenzonen-Daten wurden zur Reduktion der Datenmenge etwas vereinfacht, wodurch sie die Genauigkeit geringfügig verringert.
Kartengrundlage: Flourish/OpenStreetMap