Femizide 2023

Leben, die im Dunklen endeten

Ihre Geschichten müssen andere erzählen. Es sind die Kinder, die Eltern, die Freunde, Menschen, die sie gekannt haben. 26 Frauen verloren im Jahr 2023 in Österreich ihr Leben an (Ex-)Partner oder Familienangehörige. Die meisten davon in der Steiermark: elf.

Von Daniela Breščaković

Elf Frauen wurden 2023 in der Steiermark Opfer eines Femizids. Ihre Stimmen sind verstummt, aber die Erinnerungen an sie bleiben lebendig, bewahrt von denen, die sie im Herzen tragen, selbst nach ihrem Tod. Für diese Recherche hat die Kleine Zeitung alle Orte besucht, wo in diesem Jahr in der Steiermark eine Frau getötet wurde.

Wer waren diese Frauen? Welche Ausbildung hatten sie, in welchen Berufen waren sie tätig? Was hat sie motiviert, welche Träume haben sie verfolgt, was hat sie als Menschen ausgemacht und wen haben sie hinterlassen? Ein Versuch, die Erinnerungen an sie zu bewahren.

Ihre Geschichten müssen andere erzählen. Es sind die Kinder, die Eltern, die Freunde, Menschen, die sie gekannt haben. 26 Frauen verloren im Jahr 2023 in Österreich ihr Leben an (Ex-)Partner oder Familienangehörige. Die meisten davon in der Steiermark: elf.

Von Daniela Breščaković

Elf Frauen wurden 2023 in der Steiermark Opfer eines Femizids. Ihre Stimmen sind verstummt, aber die Erinnerungen an sie bleiben lebendig, bewahrt von denen, die sie im Herzen tragen, selbst nach ihrem Tod. Für diese Recherche hat die Kleine Zeitung alle Orte besucht, wo in diesem Jahr in der Steiermark eine Frau getötet wurde.

Wer waren diese Frauen? Welche Ausbildung hatten sie, in welchen Berufen waren sie tätig? Was hat sie motiviert, welche Träume haben sie verfolgt, was hat sie als Menschen ausgemacht und wen haben sie hinterlassen? Ein Versuch, die Erinnerungen an sie zu bewahren.

Sandra war gern unter Leuten. Am liebsten versammelte sie alle zum gemeinsamen Spieleabend. Brettspiele, das war ihre große Leidenschaft. „Mensch ärgere dich nicht“, „Risiko“ – sie schätzte die Klassiker der analogen Unterhaltung. Auf Flohmärkten stöberte sie regelmäßig nach alten Spielen, die sie reparierte und weiterverkaufte. So hat sie sich neben ihrer Arbeit im Flüchtlingszentrum etwas dazuverdient.

„Sandra war ein Familienmensch, ihre Tochter war ihr Ein und Alles. Sie hat sie mit Liebe und Empathie erzogen“, beschreibt sie ihr Vater Peter. Die Sommerurlaube verbrachte die Familie oft in Bulgarien. Nächstes Jahr werden sie nicht gemeinsam verreisen. Sandra wurde am 24. Jänner im Keller ihrer Wohnung in Mürzzuschlag von ihrem Ex-Partner erstochen. Sie starb mit 34 Jahren.

Bettina wollte alles aus eigener Kraft schaffen. Schon als Kind und später als erwachsene Frau und Mutter war sie so. Sie liebte Tiere, Katzen und Pferde besonders. So hat sie ihre Mutter Waltraud in Erinnerung. Es fällt ihr schwer, über ihre Tochter zu sprechen.

Die Erinnerungen, die sie an ihre Bettina hat, werde sie immer in sich tragen, aber darüber reden möchte sie nicht, sagt sie. Im Stiegenhaus hängen Bilder von Bettina, jedes erzählt einen Ausschnitt ihres Lebens. Bettina wurde am 13. März in ihrer Wohnung in Raaba von ihrem Partner erwürgt. Sie starb mit 33 Jahren.

Christine brauchte nicht viel. Ihr Haus, ihr Hof, ihre Landwirtschaft waren genug. Täglich kümmerte sie sich um alles, was zu tun war. Im 800-Seelen-Dorf Kleinstübing, im Norden am Rande von Graz, lebte sie Jahrzehnte lang so. Es war ihr Zuhause, das sie für sich gewählt hatte. Das erzählen sowohl Gemeindebewohnerinnen als auch der Bürgermeister, der Christine und ihrem alleinstehenden Sohn immer wieder Hilfe angeboten hatte.

„Sie wollte das nicht, sie wollte lieber für sich sein.“ Dieser Satz fällt häufig, wenn über sie gesprochen wird. In letzter Zeit passiert das immer seltener. Christine wurde am 6. April in ihrem Haus in Kleinstübing von ihrem Sohn getötet und verbrannt. Sie starb mit 74 Jahren. 

Yvonne war immer da, immer bereit zu helfen. „Brauchst du etwas?“, fragte sie oft beiläufig und stand kurze Zeit später bereits vor der Tür. Als ihre beste Freundin Petra vergangenes Jahr ein Burnout erlitt, kümmerte sich Yvonne um die Einkäufe, um alles, was anfiel und wofür Petras Kräfte nicht ausreichten.

„Sie war die Hilfsbereitschaft in Person“, erinnert sich Petra, wenn sie heute über ihre „Yvi“ spricht. Yvonnes eigene Sorgen und Ängste behielt sie oft für sich. Mit dem Ausbruch der Pandemie verlor sie ihren Job als Schulassistentin. „Sie ließ nicht jeden an sich heran“, sagt Petra. Bei ihr war es anders. Die beiden Frauen teilten eine enge Freundschaft. Kennengelernt haben sie sich vor drei Jahren. Yvonne war neu in der Nachbarschaft. Sie zog mit ihren beiden Hunden Cavalli, einem Mischling, und dem kleinen Spike, einer französischen Bulldogge, in die Wohnung schräg gegenüber ein. „Noch heute schaue ich aus dem Fenster und hoffe, dass ihr Auto um die Kurve biegt.“

Gemeinsame Spaziergänge, Telefonate, Kaffee trinken oder einfach zusammen Zeit verbringen und „Couchen“, wie Petra es nennt, haben sie gern unternommen. In diesem Jahr planten Petra und Yvonne, ihre runden Geburtstage mit einer gemeinsamen Grillparty zu feiern, aber dazu kam es nie. Yvonne wurde am 22. April in ihrer Wohnung in Graz von ihrem Partner erstochen. Sie starb mit 39 Jahren.

Jessica wusste schon früh, was sie wollte. Nach ihrem Abschluss an der Hotelfachschule zieht sie von Wernberg in Kärnten nach Hohentauern in die Obersteiermark. Dort betreibt sie ein Gasthaus. Heuer wollte sie ein Hotel eröffnen. Zu ihren Eltern hatte Jessica immer eine ganz besondere Beziehung. Mit ihrem Vater teilt sie viele gemeinsame Hobbys. Beide lieben das Motorradfahren, er steigt mit ihrer Hilfe in die Gastronomie ein, eröffnet wenige Meter vom Betrieb seiner Tochter entfernt sein eigenes Gasthaus, gemeinsam stellen sie die Speisekarten für ihre Restaurants zusammen. Dass Kärntner Kasnudeln draufstehen, ist kein Zufall.

Jessicas Eltern waren immer stolz darauf, dass ihre Tochter genau wusste, was sie vom Leben wollte. Doch den Traum vom eigenen Hotel wird sie sich nicht mehr erfüllen können. Zwei Wochen vor der geplanten Eröffnung finden ihre Eltern sie tot auf. Geblieben sind nur ihr Motorradhelm auf der Garderobenablage und ein gerahmtes Bild neben dem Tresen, die Helmut und seine Frau jeden Tag daran erinnern, dass ihre Tochter nicht da ist. Jessica wurde am 5. Mai in ihrer Wohnung in Hohentauern von ihrem Ex-Partner erwürgt. Sie starb mit 22 Jahren.

Edith hatte eine offene Art. Es fiel ihr nie schwer, neue Menschen kennenzulernen. Egal wie oft sie in den vergangenen Jahren umgezogen war, sie hinterließ eine Spur der Herzlichkeit. Daran kann sich Anna-Maria gut erinnern. Sieben Jahre wohnen die beiden Frauen nebeneinander, sie freunden sich an, verbringen gemeinsame Urlaube in der Wachau.

Als Edith ihren 60. Geburtstag feiert, bringt Anna-Maria den Lieblingswein der beiden mit. Dann ziehen Edith und ihr Ehemann um. Nicht weit weg, aber weit genug, sodass die Freundschaft der Frauen nur noch aus der Ferne stattfindet. Anna-Maria ruft zwischendurch an, Edith schickt eine Nachricht. Obwohl Edith weiter im selben Ort wohnt, geht der Kontakt zu Anna-Maria verloren: „Das habe ich bis heute nicht verstanden.“

Irgendwann hört sie nichts mehr von ihr. Edith wurde am 14. Juni in ihrem Haus in St. Peter am Kammersberg von ihrem Ehemann erschossen. Sie starb mit 66 Jahren.

Franziska teilt das gleiche Schicksal wie Edith. Die Hotelchefin aus Nossen, einer Kleinstadt bei Dresden in Sachsen, war an diesem Tag bei ihrem Partner in der Steiermark. Derselbe Mann, der mit Edith verheiratet ist, führt zu diesem Zeitpunkt auch eine Beziehung mit Franziska. Wie gut kannte sie diesen Mann, für den sie über 600 Kilometer aus Deutschland in die Obersteiermark reist?

Ihre Mitarbeiter beschreiben Franziska als fleißige Chefin: „Sie hat überall mitangepackt.“ Im April feierte das Hotel sein 25-jähriges Jubiläum. Es war die letzte Feier, an der sie teilnahm. Franziska wurde am 14. Juni im selben Haus in St. Peter am Kammersberg von ihrem Partner erschossen. Sie starb mit 62 Jahren.

Josefa legte großen Wert auf ihre Familie. „Da musst du dich drum kümmern“, sagte sie oft. Jeden Mittwoch, manchmal auch dienstags kamen ihre Söhne zum Mittagessen vorbei. Von außen erkannte man das an der Einfahrt, die voll mit parkenden Autos war. Diese Momente waren wie Rituale für die Familie, die den Zusammenhalt untereinander gestärkt hatten.

Doch nach dem Tod von Josefa ist nichts mehr so wie früher. Ihr Sohn Peter möchte nicht über seine Mutter sprechen. Nur so hofft er, irgendwann über ihren Tod hinwegzukommen. Josefa wurde am 25. Juli in ihrem Haus in Birkfeld von ihrem Ehemann erschossen. Sie starb mit 66 Jahren.

Petra war für jede lustige Aktion zu haben. Sie war das aufgeweckte Kind, fuhr gerne Rad, war ausgelassen. So erinnern sich ihre Schulfreunde an sie, dann brechen sie in Tränen aus. Überall, wo Petra war, ist die Abwesenheit der jungen Frau spürbar.

Die Dartscheibe an der Wand ihres Cafés leuchtet nicht mehr, an der Glastür hängt die Todesanzeige, davor stehen Blumen und brennende Kerzen. „Die Erinnerung an dich gibt uns Kraft“, steht auf einem Schild, das in einem Blumentopf steckt.

Erinnerungen bleiben das einzige, woran sich die Trauernden nach Petras Tod festhalten können. Petra wurde am 27. August in ihrer Wohnung in Altenmarkt bei Fürstenfeld von ihrem Partner erstochen. Sie starb mit 42 Jahren.

Ulrike war immer für ihre Liebsten da. Mit jedem ihrer vier Kinder teilte sie ein eigenes Hobby. Mit ihrer ältesten Tochter war es die Leidenschaft für Konzertbesuche. Sie selbst ließ sich gelegentlich von den Schlagerhits von Andreas Gabalier mitreißen. Neben ihrer Rolle als Mutter arbeitete sie als Steuerberaterin.

„Sie nahm ihren Job sehr ernst“, sagt Markus, ihr Ex-Ehemann und Vater ihrer gemeinsamen Kinder. 13 Jahre waren die beiden verheiratet. Das Verhältnis zwischen ihnen blieb auch nach der Trennung gut. Doch die letzte Beziehung endete für sie mit dem Tod. Ulrike wurde am 21. Oktober in ihrem Haus in Wolfsberg im Schwarzautal vom zweiten Ex-Ehemann erschossen. Sie starb mit 47 Jahren.

Iris war bei ihren Kolleginnen sehr beliebt. Seit über 20 Jahren arbeitete sie als Reinigungskraft im örtlichen Seniorenzentrum. Ihr herzliches Lachen begeisterte nicht nur Kollegenschaft, sondern auch die Bewohnerinnen und Bewohner.

„Sie war immer der nette, kumpelhafte Typ“, beschreibt sie der Bürgermeister der Marktgemeinde. Eine besonders große Leidenschaft der zweifachen Mutter und Großmutter war die Liebe zu Tieren. Den Familienhund holte Iris aus dem Tierheim und schloss in sofort ins Herz. Anfang November wird sie leblos vor ihrer Wohnung aufgefunden. Iris wurde am 7. November in ihrem Wohnhaus in Pöls-Oberkurzheim von ihrem Ehemann erstochen.

Sie starb mit 57 Jahren und ist die letzte Frau, die im Jahr 2023 in der Steiermark getötet wurde. Was bleibt, ist die Ungewissheit: Wie viele werden es nächstes Jahr sein?

Leitartikel

Schluss mit Symbolpolitik: Das muss endlich aufhören

Illustration: Claudia Rinofner

Digitale Aufbereitung: Jonas Binder