Reportage aus Sizilien
Warten auf
den Regen
REPORTAGE. Mit viel Leidenschaft, altem Wissen und innovativen Technologien stemmt sich der Biobauer Marcello Maira aus Caltanissetta auf Sizilien gegen den Klimawandel. Angesichts der Trockenheit ist die Versteppung in manchen Gegenden der Insel in vollem Gange und verändert so ihr Landschaftsbild.
Von Stefan Winkler
Der Himmel über Sizilien hat viele Farben. Gerade noch leuchtete er in tiefem Azur, jetzt zeigt er ein hartes metallisches Blau, und über der Hügelkuppe von San Cataldo drängen Wolken heran. Bringen sie Erlösung? Seit Monaten hat es auf der größten Mittelmeerinsel nicht geregnet. Wo auf freiem Feld unter der warmen Aprilsonne bereits das erste Gemüse reifen sollte, klaffen tiefe Risse im ausgedörrten Boden. „Es ist ein böser Traum, ein Albtraum“, sagt Marcello Maira und schüttelt den Kopf.
In einer Serie von Reportagen vor der EU-Wahl leuchten wir Themen aus, die für die Zukunft Europas entscheidend werden. In diesem Teil geht es nach Italien und um den Kampf sizilianischer Bauern gegen die Trockenheit.
Das 59-Millionen-Einwohner-Land Italien, übrigens der weltgrößte Weinproduzent, zählt zu den Gründerstaaten der Europäischen Union.
Italien ist in 20 Regionen gegliedert. Die südlichste davon ist Sizilien, bestehend aus der gleichnamigen Insel und einigen weiteren kleinen Inseln. Ein Sonderstatut garantiert der Region mit 4,8 Millionen Menschen und Palermo als Hauptstadt teilweise Autonomie, etwa in Bereichen wie der Landwirtschaft, Fischerei oder Industrie.
Knapp 250.000 Menschen leben im Gemeindekonsortium Caltanissetta, in dem vor allem die Landwirtschaft ein bedeutender Wirtschaftszweig ist.
Hier baut südostlich des Städtchens San Cataldo der Sizilianer Marcello Maira auf nachhaltige Weise Mandeln, Pistazien, Oliven, Granatäpfel und frisches Gemüse an.
In einer Serie von Reportagen vor der EU-Wahl leuchten wir Themen aus, die für die Zukunft Europas entscheidend werden. In diesem Teil geht es nach Italien und um den Kampf sizilianischer Bauern gegen die Trockenheit.
Das 59-Millionen-Einwohner-Land Italien, übrigens der weltgrößte Weinproduzent, zählt zu den Gründerstaaten der Europäischen Union.
Italien ist in 20 Regionen gegliedert. Die südlichste davon ist Sizilien, bestehend aus der gleichnamigen Insel und einigen weiteren kleinen Inseln. Ein Sonderstatut garantiert der Region mit 4,8 Millionen Menschen und Palermo als Hauptstadt teilweise Autonomie, etwa in Bereichen wie der Landwirtschaft, Fischerei oder Industrie.
Knapp 250.000 Menschen leben im Gemeindekonsortium Caltanissetta, in dem vor allem die Landwirtschaft ein bedeutender Wirtschaftszweig ist.
Hier baut südostlich des Städtchens San Cataldo der Sizilianer Marcello Maira auf nachhaltige Weise Mandeln, Pistazien, Oliven, Granatäpfel und frisches Gemüse an.
Maira ist Biobauer, ein leutseliger, groß gewachsener, schlanker Mann Anfang 50. Lässig trägt er das Hemd über den Jeans. Unter dem Wuschelkopf lugen die Augen wach hinter Brillengläsern hervor. Und schon bald nach dem ersten Abtasten ist klar: Hier spricht ein Philosoph der kleinen Dinge, der im Streben nach Einklang mit der Natur seine eigenen Antworten auf die große Frage nach dem guten Leben gefunden hat.
Das gute Leben, wer sehnt sich heute, in dieser sich in immer atemberaubenderem Tempo drehenden, in Unordnung geratenen Welt, nicht danach?
Als Marcello vor bald 20 Jahren nach einem abgebrochenen Wirtschaftsstudium nahe der Provinzhauptstadt Caltanissetta im Herzen Siziliens die Ländereien seines Großvaters übernahm und nach streng biologischen Kriterien zu bewirtschaften begann, war das noch ganz anders. Bekannte und Freunde erklärten ihn für verrückt. „Sogar meine Eltern sagten, dass ich scheitern werde“, erzählt Maira. Doch er ließ sich nicht beirren. „Man muss eine Idee haben, die man hartnäckig verfolgt. Mein Lebensprojekt, das ist die Nachhaltigkeit“.
Radikal stellte Maira die kleine Landwirtschaft auf Biogemüse um. Getreide und Wein mussten Paprika, Melanzani, Melonen, Kürbissen, Zucchini, Paradeisern und Zwiebeln weichen, für die er auf lokalen Märkten Abnehmer fand. Aber die Preise schwankten. Marcello musste kämpfen. 2007 dann die Hiobsbotschaft: Eine vermeintliche Prellung entpuppte sich als bösartiger Tumor am Bein. „Die Ärzte stellten mich vor die Wahl: Entweder sie amputieren, oder sie operieren mit dem Risiko, dass der Krebs außer Kontrolle gerät. Ich war jung, hatte noch keine Familie. Also hab‘ ich alles auf eine Karte gesetzt.“
Aber ich wusste damals,
so geht es nicht weiter.
Die Operation glückte. Heute hat Maira Frau und zwei Kinder. „Aber ich wusste damals, so geht es nicht weiter.“ Er gab den Markt auf, reduzierte die Anbauflächen und verarbeitete von nun an das Gemüse zu feinen Aufstrichen, ohne Zuckerzusatz oder künstliche Konservierungsmittel, veredelt nur durch das eigene Olivenöl extra vergine.
Der Olivenhain ist Marcellos ganzer Stolz. Über acht Hektar erstreckt er sich an der Flanke eines sanft ansteigenden Hügels. „Der Boden ist sandig. Das verleiht dem Öl einen ganz eigenen Charakter“, sagt der Bauer. Vögel zwitschern im Geäst. Überall schwirrt, brummt und summt es im hohen Gras. „Bei mir sollen die Ameisen krabbeln“, sagt Marcello. „Die Erde muss wieder leben“. Deshalb seien chemische Unkrautvernichter und Pflanzenschutzmittel tabu, auch wenn das bedeute, dass die Erträge niedriger und die Kulturen anfälliger für Schädlinge seien. „Aber über die Jahre ist es mir gelungen, hier ein ökologisches Gleichgewicht herzustellen. In der Nacht kannst du hier sogar Füchse sehen.“
Doch die Balance ist in Gefahr, denn der Klimawandel trifft auch Mairas Hof mit voller Wucht.
Die Vegetation hinkt um Wochen hinterher. Unten am Feldweg, der zum Olivenhain führt, steht ein Baum mit Quitten, die die Sommerhitze im Vorjahr zu kleinen steinharten Nüssen gebacken hat. Und überall an den Olivenzweigen sieht man vergilbte Blätter. „Die Bäume leiden unter der anhaltenden Trockenheit. Auch die Belaubung ist spärlicher als sonst. Früher gab es im Herbst und Winter konstant Niederschläge. Der Boden wurde langsam durchtränkt, und die natürlichen unterirdischen Bassins konnten sich füllen. Davon kann keine Rede mehr sein“, sagt Marcello Maira. Und so hat er heuer überhaupt darauf verzichtet, im Winter bestimmtes Gemüse anzubauen. „Und ich werde wohl auch die Sommerkulturen opfern müssen. „Das ist ein verrückter Schaden.“
Die Wasserknappheit ist heuer so extrem, dass die Regionalregierung vor ein paar Wochen in sechs Provinzen den Notstand ausgerufen hat. „Das Ausbleiben des Regens ist eine Katastrophe“, sagt Salvatore La Bella, der in seinem Büro an der Universität Palermo empfängt. Seit Jahren forscht und lehrt der Agronom zur Erderwärmung in Sizilien.
Wir haben es also auch mit einem Verlust von kultureller Identität zu tun.
In manchen Gegenden im Süden, erzählt er, sei die Versteppung in vollem Gange. Trockenheit und hohe Temperaturen weit jenseits der 40 Grad führten zur Abnahme der organischen Substanzen in den Böden. Diese versalzten und würden unfruchtbar. Das Absterben ganzer Kulturen verändere das Landschaftsbild der Insel, das seit Jahrtausenden von Weingärten, Zitrusplantagen und Getreidefeldern geprägt sei.
Wir haben es also auch mit einem Verlust von kultureller Identität zu tun.
In manchen Gegenden im Süden, erzählt er, sei die Versteppung in vollem Gange. Trockenheit und hohe Temperaturen weit jenseits der 40 Grad führten zur Abnahme der organischen Substanzen in den Böden. Diese versalzten und würden unfruchtbar. Das Absterben ganzer Kulturen verändere das Landschaftsbild der Insel, das seit Jahrtausenden von Weingärten, Zitrusplantagen und Getreidefeldern geprägt sei.
In täglicher Praxis erlernen die Studierenden dort, wie sich die Schockwirkung des Klimawandels lindern lässt. Jüngste Innovation ist der Einsatz von Biostimulanzien anstelle konventioneller Dünger. Das sind Stoffe mit Mikroorganismen, die die Fruchtbarkeit der Böden steigern, den Stoffwechsel der Pflanzen anregen und so zur Verringerung des Wasserverbrauchs beitragen.
Eines der wichtigsten Instrumente ist die Tröpfchenbewässerung. Statt die Felder großflächig zu beregnen, wird dabei über ein Netzwerk von perforierten Schläuchen das Wasser in winzigen Mengen direkt an die Pflanze abgegeben. Die so erzielten Einsparungen sind substanziell. Da der Regen auch in Zukunft immer öfter ausbleiben wird, plädiert La Bella dafür, auf Abwässer zurückzugreifen, die davor geklärt wurden.
In täglicher Praxis erlernen die Studierenden dort, wie sich die Schockwirkung des Klimawandels lindern lässt. Jüngste Innovation ist der Einsatz von Biostimulanzien anstelle konventioneller Dünger. Das sind Stoffe mit Mikroorganismen, die die Fruchtbarkeit der Böden steigern, den Stoffwechsel der Pflanzen anregen und so zur Verringerung des Wasserverbrauchs beitragen.
Eines der wichtigsten Instrumente ist die Tröpfchenbewässerung. Statt die Felder großflächig zu beregnen, wird dabei über ein Netzwerk von perforierten Schläuchen das Wasser in winzigen Mengen direkt an die Pflanze abgegeben. Die so erzielten Einsparungen sind substanziell. Da der Regen auch in Zukunft immer öfter ausbleiben wird, plädiert La Bella dafür, auf Abwässer zurückzugreifen, die davor geklärt wurden.
„Wir Sizilianer leben schon immer mit Wasserknappheit“
Aber der Klimawandel stellt uns vor eine völlig neue Situation. Mittlerweile müssen sogar die Weizenfelder bewässert werden“, berichtet Giulia Giuffrè. Ihr Großvater und Vater haben 1974 in Capo d‘Orlando unweit von Messina die Firma Irritec gegründet, die sich auf die Herstellung innovativer Bewässerungssysteme spezialisiert hat. Die Pionierarbeit habe sich gelohnt. „Noch vor 20 Jahren wurden in der Ebene von Catania die Orangenhaine mit Sprenklern beregnet. Heute haben fast alle auf Tröpfchenbewässerung umgestellt.“ Dass Irritec in seiner Sparte zu den Weltmarktführern zählt, sieht Guiffrè als Signal. Es zeige, dass wirtschaftlicher Erfolg und Nachhaltigkeit einander nicht ausschließen.
Auch Marcello setzt auf seinem Zwiebelacker auf die ressourcenschonende Technologie.
Im Granatapfelhain hat er die Schläuche mit den Tröpflern sogar unterirdisch verlegt, was den Spareffekt erhöht. „Alles in allem verbrauche ich ein Drittel weniger Wasser“, sagt Maira. Mit einem stärkeren Baumschnitt will er heuer bewusst den Ertrag senken und die Qualität der Früchte heben. Zentral im Ringen gegen den Klimawandel ist für ihn zudem die Rückbesinnung auf das Wissen der Alten, etwa durch die Wiederbelebung ursprünglicher Sorten wie dem Siccagno-Paradeiser. Dieser kann im Trockenfeldanbau gezogen werden, was der Frucht und dem Sugo, das Maira daraus herstellt, ein einzigartig dichtes Aroma verleiht.
Über San Cataldo haben sich die Wolken wieder verzogen. Gleißend steht die Sonne am Himmel. Gewalttätig und narkotisierend sei sie, schreibt Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem berühmten Roman „Der Leopard“, die eigentliche Herrscherin über die Insel. Marcello, der Philosoph der kleinen Dinge, winkt ab. „Was willst du?“, sagt er. „Keine Sonne, kein Leben“. Vielleicht ist es ja morgen so weit. Der erlösende Regen lässt in Sizilien auf sich warten.
Digitale Aufbereitung: Oliver Geyer
Fotos und Video: Stefan Winkler
Karte: Flourish/OpenStreetMap