EUROPAS GRENZE ZU AFRIKA

Auf den Spuren jahrzehntelanger Migration in Melilla

REPORTAGE. Eine spanische Kleinstadt auf dem afrikanischen Kontinent, geprägt von einer jahrzehntelangen Geschichte der Migration: In Melilla prallen Lebensrealitäten aufeinander, Menschen mit verschiedener Religion und Kultur leben aneinander vorbei.

Von Vit Le

Zwölf Kilometer lang ist der Zaun, der Melilla von Marokko trennt. Eine endlose, fast unüberwindbare Barriere, die sich bedrohlich durch die vertrocknete Landschaft zieht. Der streng überwachte Zaun prägt das Stadtbild der spanischen Exklave auf bedrückende Weise – er ist ein Symbol für das Schicksal der Migranten. 

Wer direkt davor steht, kann das Stadtgeschehen von Nador, der angrenzenden Stadt, durch den engmaschigen Zaun beobachten. Auf der anderen Seite, in Afrika, geht das Leben seinen gewohnten Gang: Mopeds fahren durch die Straßen, Menschen schleppen schwere Einkaufstaschen nach Hause. Hier am Grenzzaun wird man ständig von den virtuellen Augen der Überwachungskameras beobachtet. Stacheldraht und der bis zu zwölf Meter hohe Grenzzaun sollen die, die nicht zu Europa gehören, fernhalten. 

 Spanien  hat rund 48,6 Millionen Einwohner, von denen etwa 12,7 Prozent nicht die spanische Staatsangehörigkeit besitzen. Im EU-Vergleich steht das Land seit Jahren an dritthöchster Stelle bei der Aufnahme von Asylbewerbern und Migranten. Bereits im Jahr 2023 verzeichnete Spanien mit 163.220 Asylanträgen einen historischen Höchststand. Die geografische Lage zweier spanischer Städte spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Ceuta und Melilla liegen an der afrikanischen Mittelmeerküste und sind ansonsten von marokkanischem Territorium umgeben.  Marokko  selbst erlangte im Jahr 1956 seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. Spanien hingegen hatte 1885 die  Westsahara  kolonialisiert und zog sich daraus erst 1976 zurück, woraufhin Marokko Anspruch auf das Gebiet erhob und dieses annektierte. An den Städten Ceuta und Melilla – übrigens beide Teil der Europäischen Union, nicht aber des EU-Zollgebiets – hält Spanien hingegen bis heute fest.

 Ceuta  liegt an der Meerenge von Gibraltar. In der 18,5 Quadratkilometer großen Stadt leben rund 83.000 Menschen. Das spanische Festland ist von hier aus nur etwa 21 Kilometer entfernt. Immer wieder gerät Ceuta in die internationalen Schlagzeilen: Erst Ende August dieses Jahres versuchten tausende Migranten von Marokko aus schwimmend die spanische Exklave zu erreichen.

 Melilla  ist etwas weiter östlich an der Grenze zur marokkanischen Stadt Nador gelegen. In der 13,4 Quadratkilometer großen Stadt wohnen 85.500 Menschen, sie verfügt auch über einen Flughafen. Wie Ceuta hat auch Melilla seit Jahrzehnten mit illegaler Einwanderung zu kämpfen.

Ein Besuch in der Exklave, die unterschiedliche Lebensrealitäten aufeinander prallen lässt und wo Menschen mit verschiedener Religion und Kultur aneinander vorbeileben.

 Spanien  hat rund 48,6 Millionen Einwohner, von denen etwa 12,7 Prozent nicht die spanische Staatsangehörigkeit besitzen. Im EU-Vergleich steht das Land seit Jahren an dritthöchster Stelle bei der Aufnahme von Asylbewerbern und Migranten. Bereits im Jahr 2023 verzeichnete Spanien mit 163.220 Asylanträgen einen historischen Höchststand. Die geografische Lage zweier spanischer Städte spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Ceuta und Melilla liegen an der afrikanischen Mittelmeerküste und sind ansonsten von marokkanischem Territorium umgeben.  Marokko  selbst erlangte im Jahr 1956 seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. Spanien hingegen hatte 1885 die  Westsahara  kolonialisiert und zog sich daraus erst 1976 zurück, woraufhin Marokko Anspruch auf das Gebiet erhob und dieses annektierte. An den Städten Ceuta und Melilla – übrigens beide Teil der Europäischen Union, nicht aber des EU-Zollgebiets – hält Spanien hingegen bis heute fest.

 Ceuta  liegt an der Meerenge von Gibraltar. In der 18,5 Quadratkilometer großen Stadt leben rund 83.000 Menschen. Das spanische Festland ist von hier aus nur etwa 21 Kilometer entfernt. Immer wieder gerät Ceuta in die internationalen Schlagzeilen: Erst Ende August dieses Jahres versuchten tausende Migranten von Marokko aus schwimmend die spanische Exklave zu erreichen.

 Melilla  ist etwas weiter östlich an der Grenze zur marokkanischen Stadt Nador gelegen. In der 13,4 Quadratkilometer großen Stadt wohnen 85.500 Menschen, sie verfügt auch über einen Flughafen. Wie Ceuta hat auch Melilla seit Jahrzehnten mit illegaler Einwanderung zu kämpfen.

Ein Besuch in der Exklave, die unterschiedliche Lebensrealitäten aufeinander prallen lässt und wo Menschen mit verschiedener Religion und Kultur aneinander vorbeileben.

Die Spuren vergangener Fluchtversuche aus Afrika bleiben in Melilla sichtbar: An manchen Stellen des Grenzzauns hängen noch immer Kleidungsfetzen im Stacheldraht. 

Hier, am Grenzübergang Barrio Chino versuchten am 24. Juni 2022 etwa 2000 subsaharische Flüchtlinge, den Grenzzaun zu überwinden – in der Hoffnung, europäischen Boden zu erreichen. Bei diesem Versuch kamen etwa 27 Menschen ums Leben.

24. JUNI 2022

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der schätzungsweise 2000 Menschen gelang es, in Spanien Asyl zu beantragen. 27 Menschen starben, mehr als 70 gelten bis heute als vermisst.

Seitdem ist es ruhig am Grenzübergang Barrio Chino. Die Bewegungssensoren, die am Zaun befestigt sind, schlagen nur noch selten Alarm. Inzwischen wird der berüchtigte „Sprung über den Zaun“ kaum noch gewagt, was zu einem deutlichen Rückgang der subsaharischen Flüchtlinge in Melilla führte.

Sie werden immer einen Weg nach Europa finden. Die Frage ist nur, wie gefährlich und tödlich dieser sein wird.
José Palazón

José Palazón ist Gründer der Menschenrechts-organisation „Prodein“

José Palazón ist Gründer der Menschenrechts-organisation „Prodein“

Das bedeute aber nicht, dass das Asylproblem durch einen Zaun gelöst wäre, erklärt Menschenrechtsaktivist José Palazón: „Wenn du hier die Grenze dicht machst, dann gehen sie woanders hin. Sie werden immer einen Weg nach Europa finden. Die Frage ist nur, wie gefährlich und tödlich dieser sein wird.“ Viele subsaharische Flüchtlinge versuchen nun über das Mittelmeer in die EU zu gelangen – schwimmend oder per Schlepperboot. 

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Migrantinnen und Migranten erreichten allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres die spanische Küste über das Mittelmeer. Das sind 59,2 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2023. 

Streit um EU-Asylpolitik: Verschärfte Regeln und umstrittene Rückführungen im Fokus

Kaum ein Thema wurde in der europäischen Politik so kontrovers diskutiert wie die Migrations- und Asylpolitik. Während die einen auf die humanitäre Verantwortung Europas verweisen, wollen andere die Zuwanderung nach Europa begrenzen. 

Mitte Oktober beschäftigt das Asylthema den EU-Gipfel in Brüssel. In einem Punkt sind sich die 27 EU-Staaten inzwischen weitgehend einig: Die Asylregeln müssen verschärft werden. 

Zuvor kündigte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Gesetz zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber an. Ziel sei es, die Rückführungsverfahren effizienter und schneller zu gestalten. Ebenso forderte Von der Leyen Abschiebezentren außerhalb Europas, wie etwa beim Albanien-Modell Italiens: Ab 16. Oktober sollten Asylanträge für Italien bereits im Nicht-EU-Land Albanien geprüft werden. Ist das Ergebnis negativ, so wollte man die Menschen von dort aus abschieben. Doch ein italienisches Gericht erklärte das Vorgehen für unzulässig.

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Todesopfer oder vermisste Migranten bei ihren Fluchtversuchen über das Mittelmeer oder den Atlantik Richtung Europa meldete die UN-Migrationsorganisation IOM 2024 bis Mitte Oktober.

Menschenrechtsorganisationen sehen die externen Abschiebezentren kritisch. Auch der Migrationsforscher Gerald Knaus stellt dem aktuellen Asylsystem und den derzeit auf dem Tisch liegenden Ansätzen ein schlechtes Zeugnis aus: „Wir haben eine tiefe Krise, und leider dreht sich die Spirale der unseriösen Vorschläge immer weiter“, so Knaus gegenüber Ö1. 

Außerdem sprach sich der Experte für ein neues Flüchtlingsabkommen mit der Türkei aus. Zusätzlich müsse man auch den Herkunftsländern der Migranten ein Angebot machen: Beispielsweise könne man die irreguläre Migration auf die Kanarischen Inseln stoppen und dafür den westafrikanischen Ländern reguläre Migrations- und Mobilitätsmöglichkeiten anbieten.

Zwischen Ankunft und Abschied

In Spanien waren es im Jahr 2023 allerdings nicht überwiegend Asylsuchende aus afrikanischen Ländern. Melilla verzeichnet nämlich seit zwei Jahren eine wachsende Einwanderungswelle aus Lateinamerika. 

Auf einer niedrigen Mauer sitzt ein Kolumbianer und dreht gedankenverloren am Deckel einer Flasche. „Seit sechs Monaten warte ich jetzt schon auf meinen Asylbescheid“, sagt er. Um ihn herum unterhalten sich Menschen aus Venezuela und Kolumbien. Kinder spielen auf dem staubigen Boden. Aus einer Ecke steigt der Duft frisch gebratener Arepas auf, die eine Venezolanerin auf einem improvisierten Grill zubereitet. Zweimal pro Woche treffen sich die lateinamerikanischen Asylbewerber hier, direkt am Straßenrand, zwischen Coladosen und Plastikmüll, um zusammen zu essen – ein Moment der Gemeinschaft inmitten ihrer Ungewissheit.

Ein ganz normales Leben das wünsche ich mir. Arbeiten, ein Zuhause haben, mehr nicht.
Asylwerber aus Kolumbien

„Ich bin als Tourist nach Madrid geflogen und dann nach Melilla, um hier Asyl zu beantragen“, erzählt der Kolumbianer weiter.

Der kolumbianische Asylwerber kam offiziell als Tourist nach Spanien.

Der kolumbianische Asylwerber kam offiziell als Tourist nach Spanien.

Im Gegensatz zu anderen Migranten müssen Einwanderer aus Lateinamerika nicht schwimmen oder über Zäune klettern – sie reisen legal per Flugzeug nach Spanien ein. Anders die Migranten aus Afrika, die laut Einheimischen regelmäßig hier an diesem Strand, dem „Playa De Horcas Coloradas“, ankommen sollen.

Der Kolumbianer hat jedoch nicht vor, in Melilla zu bleiben. Für ihn ist die Stadt nur ein Zwischenstopp auf dem Weg ins europäische Festland: „Ich bin nach Melilla gekommen, weil es hier leichter ist, Asyl zu beantragen, als in Madrid. Dort heben die Behörden nicht mal das Telefon ab“, schildert er. Sobald sein Asylantrag positiv entschieden ist, möchte er nach Deutschland weiterziehen. Sein Traum? „Ein ganz normales Leben – das wünsche ich mir. Arbeiten, ein Zuhause haben, mehr nicht.“

Melillas multikulturelles Stadtbild

Je weiter man sich vom Grenzzaun entfernt, hinein in die Gassen der Innenstadt, desto mehr verschwindet das bedrückende Gefühl. Angekommen im Zentrum Melillas, könnte man auf den ersten Blick meinen, in Barcelona zu stehen: spanische Jugendstilfassaden, Einkaufsstraßen mit Geschäften wie ZARA und Mango. Doch bei näherem Hinsehen erkennt man die vielen Gesichter der Stadt: Statt Tapas-Bars dominieren marokkanische Teehäuser. Arabisch und Spanisch vermischen sich.

Auf den Gehwegen begegnen sich Frauen in Kleidern, genauso wie Frauen im Kopftuch. In keiner anderen spanischen Stadt ist der Anteil muslimischer Menschen so hoch wie in Melilla. Von den insgesamt etwa 85.000 Einwohnerinnen und Einwohnern soll fast 52 Prozent muslimischen Glaubens sein. Das liege an der marokkanischen Einwanderungsgeschichte, erklärt ein Kellner eines marokkanischen Cafés. Seine Familie lebt mittlerweile in dritter Generation in Melilla. Seine Großeltern kamen – wie viele andere Marokkaner – in die Stadt, weil die Arbeitsbedingungen in Spanien deutlich besser waren als in ihrer Heimat. Heute leben viele marokkanische Familien im Viertel La Cañada am Stadtrand, dort, wo die Mieten am günstigsten sind. 

In Melilla bleibt man nicht

Die meisten migrantischen Personen leben entweder im Flüchtlingslager oder in Randgebieten wie La Cañada. Sie wohnen zwar in Melilla, sind aber nicht wirklich ein Teil der Gesellschaft. Monat für Monat versuchen Tausende in die spanische Exklave zu gelangen – in der Hoffnung, Asyl zu erhalten. Für viele Geflüchtete ist Melilla vor allem eines: das Tor nach Europa, der erste Schritt in ein hoffentlich besseres Leben. Bleiben möchte aber niemand.

Blick auf Melilla und das Mittelmeer

Blick auf Melilla und das Mittelmeer

Für die Einheimischen ist dieser ständige Zustrom längst zur Normalität geworden. „Wir kennen das hier. Es ist nichts Neues. Natürlich ist man kurz erschüttert, wenn etwas passiert, aber das Leben muss weitergehen“, meint ein Bewohner der Innenstadt. Doch auch wenn viele Einheimische versuchen, das Thema auszublenden, bleibt die Migration ein ständiger Begleiter im Alltag der Menschen von Melilla. 

Transparenz-Hinweis

Dieses Dossier entstand im Rahmen von „eurotours“, einem Projekt des österreichischen Bundeskanzleramts, finanziert aus Bundesmitteln. Teil davon war auch eine Reise nach Melilla.

Digitale Aufbereitung: Jonas Binder

Video: Adobe Stock/gonzagon, AFP/Diane Cambon

Fotos: APA/AFP/Oscar del Pozo (2), Imago/Cordon Press (3), Florian Scheible, KLZ/Vit Le (2), Imago/Juan Carlos Rojas, Imago/Jesus Merida, Adobe Stock/Mohammed

Karte: Flourish/OpenStreetMap