ÖSTERREICHS BUNDESHYMNE
AUF DEM PRÜFSTAND
Land am Strome
In Nationalhymnen wird für gewöhnlich ein Ideal beschworen: Mit blumigen, pathetischen Worten wird ein Land und seine Bewohner, seine Natur und sein „Wesen“ gefeiert. In Österreich ist das nicht anders. Wir fragten nach: Wie aktuell ist die Hymne?
Ein Land der Hämmer, das hoher Sendung Last getragen hat? Der Bundeshymnen-Text der Wiener Schriftstellerin Paula Preradović wirkt 2024 stellenweise nicht nur sprachlich antiquiert. Der Beginn der 2. Republik liegt immerhin bald 80 Jahre zurück, zwischen den Ruinen der Nachkriegszeit und der Gegenwart liegt eine Ära des Friedens, die einen bis dahin nicht gekannten Wohlstand brachte. Die Hymne aus jenen entfernten, immer undeutlicher, ja schemenhafter werdenden ersten Jahren nach der Diktatur kennt man hauptsächlich durch den Sport, von Siegerehrungen, von Länderspielen.
Bei der ersten Strophe der Hymne sind viele noch einigermaßen textsicher, die zweite und dritte sind nur mehr Spezialistinnen und Spezialisten wohlvertraut. Was nicht heißt, dass eine geringfügige Änderung des Textes noch vor einigen Jahren nicht zum heftig diskutierten Politikum werden konnte. Passen diese salbungsvollen Zeilen von Preradović überhaupt noch auf das Österreich der Gegenwart? Hat dieser Text uns noch irgendetwas zu sagen, und wenn ja: was? Wir haben die Hymne in ihre Zeilen zerlegt und eine Reihe von Persönlichkeiten gebeten, die jeweiligen Teile auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen. Aber lesen Sie selbst.
Lukas Furtenbach,
Höhenbergsteiger
Der Bergsportboom in Österreich hält ungebrochen an. Es wird zwar gejammert, dass die Berge überlaufen sind, aber alle Formen der Fortbewegung am Berg – vom Mountainbiken über das Skifahren bis hin zum Wandern und Bergsteigen – nehmen konstant zu, das birgt Konfliktpotenzial. Was wäre Österreich, wenn man die Berge wegnimmt? Es bliebe nicht viel übrig, wofür das Land bekannt ist. Man kennt uns wegen der Berge und dem Bergsport und deshalb kommen die Menschen auch zu uns. Befeuert durch Social Media werden manche Gegenden wie zum Beispiel Hallstatt zu Hotspots, doch in vielen Teilen Österreichs ist der Tourismus auch die einzige Einnahmequelle. Da sich unsere Lebensweise stark verändert hat und viele eine Work-Life-Balance anstreben, wird heute ein Teil dieser gewonnenen Freizeit in den Naturraum verlagert. Die Berge sind auch, im Vergleich zu früher, viel besser zugänglich und konsumierbar.
Wolfgang Fischer, Leiter der Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft
Die Berge, Äcker, Dome und natürlich auch Ströme bleiben hoffentlich unverrückbar. Wiewohl (nicht nur) der Strom gerade wieder gezeigt hat, dass alles fließt – schmerzhaft, wo es will. Auch das vielgeprüfte Österreich steht derzeit ziemlich unter Strom. Hoffen wir auf große Söhne und Töchter! Der Strom ermöglicht ja nicht nur die Schifffahrt, er betreibt auch, was früher unter Hämmer – weiter zukunftsreich? – gelaufen ist. Und kommt nicht aus der Steckdose, sondern auch aus heiß umfehdeten Erdteilen. Der eine soll mehr werden, der andere abreißen … Alleine am Ufer zu sitzen und möglichst neutral gegen oder mit dem Strom zu schauen, wird in allen Fällen nicht reichen!
Wolfgang Fischer, Leiter der Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft
Heidi Tschernitz, Landwirtin
Frühling 1946 – Paula von Preradović verfasst den Text unserer Bundeshymne in einer Zeit der großen Hungersnot Österreichs. Nur mit internationaler Hilfe ist es damals gelungen, noch mehr Not und Tod zu verhindern. Die heimische Landwirtschaft hat sich nur langsam erholt. 1960 hat ein Bauernhof mit seinen Produkten zwölf Menschen ernährt. Durch enorme Effizienzsteigerung können heute ca. 100 Menschen versorgt werden. Obwohl mehr produziert wird, verdienen die Bäuerinnen und Bauern immer weniger am Verkauf ihrer Produkte. Rund 1,321 Millionen Hektar Ackerland werden mit viel Einsatz, Idealismus und Wissen bewirtschaftet – immer mit der Unberechenbarkeit des Erfolgs, da die Arbeit mit und in der Natur nur begrenzt beeinflussbar und planbar ist. Damit Österreich ein Land der Äcker bleibt, muss der enorme Bodenverbrauch, der in Österreich bei 10 Hektar pro Tag liegt, massiv eingedämmt werden.
Toni Faber, Dompfarrer
Sicher bin ich mir, dass der Stephansdom durch die Jahrhunderte hindurch eine eigene Strahlkraft hat. Vermuten würde ich, dass das ähnlich ist beim Linzer, Salzburger, Grazer und Innsbrucker Dom, ohne andere Kathedralen übersehen zu wollen. Eine Bischofs- und Pfarrkirche im Herzen der Stadt, die über das normale Pfarrleben hinaus niederschwellig anziehend und einladend ist, prägt das Lebensgefühl in Österreich und vermag einen riesigen Mehrwert für das Leben zu generieren. Das Verhältnis zum Steffl wird von Kardinal Schönborn so beschrieben: „Viele Dome werden bewundert, der Stephansdom wird geliebt.“ Das verstehe ich nicht als ausschließend für andere Domkirchen, sondern zeugt von der Beziehung aller Österreicherinnen und Österreicher zu ihren Domen.
Toni Faber, Dompfarrer
Hannes Androsch, Unternehmer
Nahrungsmittel und Wasser waren für den Menschen immer schon eine Überlebensfrage. Mit der Sesshaftwerdung hat sich durch die Landwirtschaft die Situation verbessert und zunehmend mehr Menschen das tägliche Brot ermöglicht. Die Zähmung des Feuers zur Energieversorgung hat wesentlich dazu beigetragen. Weitere Verbesserungen der Daseinsvorsorge waren dann die Schaffung von Werkzeugen und von Transportmöglichkeiten, die wiederum Rohstoffe und handwerkliche Fähigkeiten benötigten. Dazu waren weitere Energiequellen nötig. So ist die Industrie auch in Österreich entstanden, die es erlaubte, das Dasein von mehr Menschen zu ermöglichen und langsam den Wohlstand zu steigern und Wohlfahrt zu schaffen. „Land der Hämmer“ bringt diese Entwicklung und diese Notwendigkeit zum Ausdruck. Dies gilt auch, wenn in der Zwischenzeit viele Formen von Dienstleistungen für die wirtschaftliche Grundlage unserer Gesellschaften unentbehrlich geworden sind. Inzwischen sind wir längst in das digitale Zeitalter und seine Möglichkeiten eingetreten. Wir werden aber dennoch, wie die Landwirtschaft, auch weiterhin einer gesunden industriellen Grundlage bedürfen, also trachten müssen, ein erfolgreiches Land der Hämmer zu bleiben.
Christiane Varga, Zukunftsforscherin
Österreich hat eine reiche Geschichte und wertvolle Traditionen. Wenn es gelingt, das Gute aus der Vergangenheit herauszufiltern und es mit neuen Ideen zu verknüpfen, dann kann eine gehaltvolle Zukunft daraus entstehen. Welche Schnittpunkte sind wesentlich? Von staatlicher Seite: mehr Transparenz und weniger Bürokratie. Eine Re-Konfiguration des Bildungssystems ist längst überfällig. Und neben einer mutigen Klimapolitik braucht es auch schnelle Maßnahmen, um das gesellschaftliche Klima nachhaltig zu verbessern. Es kommt aber auch auf die kleinen Schritte an. Dabei ist jede und jeder gefragt. Alle Menschen können in ihrer unmittelbaren Umgebung dazu beitragen, dass Österreich wieder erstrahlt – mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Trotz oder gerade wegen der zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit.
Christiane Varga,
Zukunftsforscherin
Bogdan Roščić,
Staatsoperndirektor
Hymnen sind ja Marketingtexte, im besten Fall mit guten Absichten geschrieben, daher muss man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Das in der österreichischen Hymne beworbene Produkt hat nach 1945 jedenfalls dringend gutes Marketing gebraucht. Bei den großen Kindern ging es daher auch nicht darum, was sie denn nun groß macht, sondern wo sie her sind. Heute aber vergleichen sich die Töchter und Söhne mit allen anderen Töchtern und Söhnen auf dem Planeten ganz direkt, sie müssen nur ins Telefon schauen. Deswegen verstehen sie vielleicht nicht mehr so ganz, warum Größe damit zusammenhängen soll, auf welcher Seite des Grenzübergangs Radkersburg oder Oberkappel man geboren ist. Und eigentlich ist das ganz gut so.
Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums Wien
Österreich hat eine besonders reiche kulturelle Geschichte, die von großen Komponisten wie Mozart und Strauss, Malern wie Klimt und Schiele sowie Literaten wie Stefan Zweig geprägt wurde und weit über die Grenzen des Landes hinausstrahlt. Die Österreicherinnen und Österreicher zeigen nach wie vor ein bemerkenswertes Interesse für Ästhetik und Kreativität, was sich in der hohen Wertschätzung für Musik, Theater und bildende Kunst äußert. Festivals, Museen und kulturelle Veranstaltungen ziehen zahlreiche Menschen an und fördern den Austausch. Diese kulturelle Offenheit, das Engagement für Kunst und Kultur und eine diverse und höchst erfolgreiche zeitgenössische Kunstszene, sind Beweise dafür, dass die Begabung für das Schöne in Österreich sehr lebendig ist und weiterhin gedeiht.
Sabine Haag,
Generaldirektorin des
Kunsthistorischen
Museums Wien
Monika Sommer,
Haus der Geschichte-Direktorin
Österreichs Zukunft war am Beginn des Kalten Krieges international im Blick. Ohne den „Marshall-Plan“ wäre vieles nicht so rasch geglückt. Heute ist unsere Solidarität gefordert und gleichzeitig umstritten, wofür Österreich steht. Der Boden, auf dem dies ausverhandelt wird, ist oft die Vergangenheit. Daher ist sie umkämpft. Das Jahr 2025 bringt wichtige Jubiläen: 80 Jahre Befreiung und Gründung der Zweiten Republik, 70 Jahre Staatsvertrag, 50 Jahre Familien- und Strafrechtsreform oder 30 Jahre EU-Beitritt. Wie wir mit diesen brisanten Themen umgehen, wird zeigen, wohin sich Österreich bewegt: Mit Volldampf zurück oder – als liberale Demokratie im Herzen Europas – umsichtig vorwärts in ein Österreich der Vielfalt.
Emil Brix, Leiter der Diplomatischen Akademie in Wien
Im selbsternannten Land der Widersprüche ist es bezeichnend, dass Österreich geographisch in der Mitte des Kontinents lokalisiert wird, aber gleichzeitig das Herz im Körper in der Regel eher links oberhalb der Mitte angesiedelt ist. Und der Anspruch, ein „starkes“ Herz zu sein, erinnert eher an Maria Theresia und Mozart als an die Nachkriegsgegenwart, in der dieser Text geschrieben wurde. Trotzdem ist die Aktualität kaum zu überbieten. Österreich braucht mehr denn je ein Regierungsprogramm mit dem uneingeschränkten Bekenntnis zu einer aktiven Mitteleuropapolitik und zu einem starken Europa. Also, wer immer jetzt Koalitionsverhandlungen führen wird, bitte lest die Bundeshymne und handelt. Und nicht vergessen: „Mutig in die neuen Zeiten“.
Emil Brix, Leiter der
Diplomatischen Akademie
in Wien
Hoher Sendung Last getragen, Vielgeprüftes Österreich, Vielgeprüftes Österreich
Barbara Stelzl-Marx,
Historikerin
Österreich als „vielgeprüfter Lastenträger“ – diesen Zeilen sieht man ihre Jahresringe an. Paula von Preradović, selbst als österreichische Patriotin im Widerstand gegen den Nationalsozialismus tätig, dichtete sie 1946 vor dem Hintergrund gleich mehrerer dramatischer Zeitwenden: vom Zerfall der Monarchie, über den „Anschluss“ 1938 bis hin zu Kriegsende und Besatzungszeit. Hier schwingt der breite gesellschaftliche Konsens der Opferthese mit. Hier gibt es einen Nachhall von Österreichs „hoher Sendung“, die sich in seiner jahrhundertelangen Rolle als Zentrum des Habsburgerreiches sowie kulturelle Brücke zwischen Ost und West manifestiert(e). Immer noch aktuell ist die Frage: Wie gehen wir mit der „Last“ heutiger Herausforderungen um?
Lisz Hirn, Philosophin
Zuerst müssen wir klären, auf welchen Mut sich diese Textzeile bezieht. Übermut: trotz negativer Prognosen mit verbissenem Optimismus in den Untergang schreiten? Oder Hochmut: weiter wie bisher? Sich einfach in die „gute alte Zeit“ vor allem aktuellen Übel träumen? Beides ist damit wohl nicht gemeint. Versteht man Mut jedoch als Tugend, dann wird sie zu einer charakterlichen Tauglichkeit, die es möglich macht, sich gegen äußere Widerstände und gegen den eigenen inneren Schweinehund für die notwendige Sache einzusetzen. Vielleicht sind heute weder die „neuen Zeiten“ noch der mangelnde Mut das Problem, sondern die fehlende Einsicht, für welche Sache es sich noch zu wagen lohnt.
Lisz Hirn, Philosophin
Julia Schnizlein, Pfarrerin
Passender wäre heute die Formulierung „frei im Glauben...“. Wer im Jahr 1947 gläubig sagte, meinte die römisch-katholische Kirche. Der obrigkeitlich strukturierte Katholizismus war aus historischen Gründen jahrhundertelang der sozioreligiöse Normalfall, fast 90 Prozent der Bevölkerung waren 1947 katholisch. Heute leben wir in einer religiös pluralen Welt. Während die katholische und evangelische Kirche in den letzten Jahrzehnten drastisch an Mitgliedern verloren haben, verzeichnen die orthodoxen Kirchen und der Islam signifikante Zunahmen. Aber auch bei jenen, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, ist laut Studien das Bedürfnis nach Spiritualität und Religion nach wie vor hoch. Allerdings ist deren Glaubenswelt von großer Beliebigkeit geprägt. Elemente des Christentums werden mit Praktiken aus anderen Religionen vermischt, übergossen mit einem Hauch Esoterik und jede, jeder pickt sich heraus, woran er oder sie glauben will. Frei im Glauben eben!
Monika Köppl-Turyna, Wirtschaftswissenschafterin
Nach Daten der Sektion Industrie der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft betrug die Wochenarbeitszeit im Jahr 1947 39,3 Stunden, 1948 42,4 Stunden und im Jahr 1949 sogar 44,1 Stunden. Erkennbar: hohes Volumen und steigende Tendenz. 2023 arbeiteten die Österreicherinnen und Österreicher im Schnitt 30 Stunden. Dieser Trend zeigt hingegen in die andere Richtung: Denn 2004 waren es noch 35,7 Stunden. Zu „hoffnungsreich“: Hier dient ein Blick auf die Erwartungen der Unternehmen und der Konsumentinnen und Konsumenten: Die Konjunkturerwartungen in der Produktion liegen 16 Punkte unter dem langjährigen Schnitt und damit etwa so schlecht wie während der Finanzkrise 2009. Der Index des Konsumentenvertrauens liegt im negativen Bereich. Viel Hoffnung ist in der Wirtschaft derzeit also nicht zu spüren!
Monika Köppl-Turyna,
Wirtschaftswissenschafterin
Peter Strasser, Philosoph
Treue als Schicksalsvermächtnis, das klingt wie aus der Zeit gefallen. Und es ist aus der Zeit gefallen, dennoch Wirkmythos und Faszinosum. Das Vaterland beschwört, indem es so benannt wird, den Vater als Beschützer, Wahrer und Förderer des „Oikos“, des Hausverbandes, der so viele verschiedene Einzelne als Volk zusammenschließt. Aber was, wenn sich das „Land der Väter“ als unwürdig erweist, als ein Pfuhl brutaler Macht? Dann gilt unsere Treue, widerständig der bösen Realität, dem machtsprengenden Sehnsuchtsort, der Geborgenheitsutopie „Mutterland“. Und die Jubelchöre? Ich kann nicht singen, trotzdem stimme ich mit ein, stumm als stimmloser Patriot. Schreihälse gibt es genug: Horror patriae …
Astrid Steharnig-Staudinger, Geschäftsführerin Österreich Werbung
Aus touristischer Sicht ist das Votum eindeutig: Österreich ist ein vielgeliebtes Urlaubsland. Man liebt uns für unsere Gastfreundschaft, die Berge, das Kulturangebot und die Kulinarik. Man liebt das österreichische Lebensgefühl, die Wandermöglichkeiten im Sommer und die hochmoderne Ski-Infrastruktur im Winter. Die Liebe zu Österreich zeigt sich auch in nackten Zahlen: Neun von zehn Gästen würden ihre jeweilige Urlaubsdestination weiterempfehlen. Außerdem sind 78 Prozent der Gäste im Winter und 67 Prozent der Gäste im Sommer Stammgäste. Sie kommen regelmäßig zum Urlaub nach Österreich. Und das ist doch der größtmögliche Liebesbeweis überhaupt.
Astrid Steharnig-Staudinger,
Geschäftsführerin
Österreich Werbung
Fotos: Lukas Furtenbach, Georg Aufreither (2), Markus Traussnig (2), APA/William Tadros, Andrea Sojka, Privat, Eva Manhart, www.kpic.at, Manfred Weis, ÖW/Ben Leitner, Friedrich, Hoffmann, Weinwurm.
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