BILD DER WOCHE 17 | 2024

Die Rettung der Monarchen

Foto: Jaime Rojo for National Geographic

Foto: Jaime Rojo for National Geographic

Von Thomas Götz

Monarchfalter sollten zu den Weltwundern zählen. Ihre Rettung auch. Bis heute weiß man nicht genau, warum die Tiere im Frühling von Mexiko bis Kanada ziehen, zwei bis drei kurzlebige Generationen in Folge. Wir wissen auch nicht, wie die im Norden des Kontinents geschlüpfte, langlebigere Generation die gesamte Strecke von 4000 Kilometer zurück in die mexikanische Sierra Nevada findet.

Im Herkunftsort ihrer Vorfahren angekommen – einem Ort, den sie nie gesehen haben –, klammern sich die Tiere in Trauben an mächtige „Heilige Tannen“. Nicht alle überstehen den rauen Winter und die Stürme in der 3000 Meter hoch gelegenen Region. Die Überlebenden brechen im Frühling wieder nach Norden auf, der Kreislauf beginnt von Neuem. Waldrodung in Mexiko, der Autoverkehr und die landwirtschaftliche Nutzung der Great Plains, ihrer Reiseroute, setzte den Monarchfaltern zu. Nur ein Fünftel des gewohnten Bestands registrierten Forscher 2010 noch und schlugen Alarm. Eine übernationale Koalition kanadischer, US-amerikanischer und mexikanischer Naturschützer wollte dem Schwinden nicht tatenlos zusehen. In Mexiko sorgen sie für den Schutz des Habitats der prachtvollen Falter.

In den USA und Kanada pflanzen begeisterte Naturschützer, die entlang der Wanderroute leben, Wolfsmilch, das wichtigste Nahrungsmittel der Falter. Der Schutz des Lebensraums wirkte sich schnell auf die Population der Schmetterlinge aus, ihr Bestand erholt sich wieder.

Jaime Rojo, den die Schönheit der Insekten und ihre rätselhaften Wanderbewegungen seit 20 Jahren faszinieren, dokumentierte für das amerikanische Magazin „National Geographic“ die zähen Rettungsbemühungen. „Normale Bürger, die einen kleinen Beitrag leisten, können enormen Einfluss auf den Schutz von Arten haben“, sagt Jaime Rojo in einem kurzen Video, das er auf Instagram gepostet hat. Kürzlich wurde er für die Schönheit seiner Bilder mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet. Verdient hat er den Preis auch für die wunderbare Geschichte, die seine Fotos erzählen.

BILD DER WOCHE 16 | 2024

Ein Akt der Liebe

Foto: AP/Lee-Ann Olwage

Foto: AP/Lee-Ann Olwage

Von Thomas Götz

Es ist ein unspektakuläres Foto. Schräg fällt das Licht auf den 91 Jahre alten Paul Rakotazandriny und seine fünfjährige Enkelin, Odliatemix Rafaraniriana in ihrer einfachen Hütte. Das Mädchen geht mit Dada Paul, wie ihn Familie und Freunde nennen, in die Kirche. In parallelen Gesten machen sich die beiden schön für den festlichen Anlass. Nichts an dem Bild verrät, was die beiden Menschen belastet. Dada Paul leidet seit elf Jahren an Demenz. Ob er sich an den komplizierten Namen seiner Enkelin noch erinnert? Ob er ihn aussprechen kann? Wie lange wird er noch wissen, dass man eine Jacke zuknöpft und wie? Erst vor zwei Jahren erfuhr Dada Pauls Familie, was dem ehemaligen Chauffeur eigentlich fehlt. Neun Jahre lang hatten sie ihn für verrückt gehalten, für besoffen oder besessen. Von Demenz hatte in Antananarivo, Madagaskar, noch niemand etwas gehört. Woher also sollte Dada Pauls Tochter Fara Rafaraniriana wissen, wie sie mit den seltsamen Ausfällen ihres Vaters umgehen sollte? Erst als ein Arzt die 41-Jährige an den Verein Masoandro Mody verwies, die einzige Organisation auf Madagaskar, die sich mit der Krankheit auskennt, stellte sich heraus, dass der schwierige alte Mann weder betrunken war noch verrückt, sondern schwer krank.

Das stille, intime Foto erhielt einen Preis im weltweiten Fotowettbewerb „World Press Award“. Alle Jahre wieder zeichnet eine Jury die besten der aus aller Welt eingesendeten Bilder aus. Zusammen ergeben sie ein Panorama der Krisen des Planeten. Dieses Foto rückt die 55 Millionen Menschen in den Mittelpunkt, die weltweit an Demenz leiden.

Allein auf Dada Pauls Insel sind es 40.000. Für die kranken Eltern zu sorgen, erzählt die Legende zu dem Bild von Lee-Ann Olwage, ist eine Selbstverständlichkeit auf Madagaskar. Die Fürsorge der Jungen für die Alten hat hier sogar einen Namen: Valim-babena. Das Wort beschreibt die Verpflichtung der Jungen, sich um die ältere Generation zu kümmern, als Dank dafür, dass diese sich einst um sie gekümmert haben, als sie noch schutzlos waren. Ein Akt der Liebe.

BILD DER WOCHE 15 | 2024

Ihre Songs sind alterslos

Foto: Studiocanal SAS/Dean Rogers

Foto: Studiocanal SAS/Dean Rogers

Von Ute Baumhackl

Das Bild lässt keine Zweifel offen. Der dramatische Lidstrich, die Turmfrisur, die Frau, die da inbrünstig ins Mikro röhrt, das kann nur Amy Winehouse sein. Es ist allerdings die Schauspielerin Marisa Abela. In der eben angelaufenen Filmbiografie „Back to Black“ stellt sie die Sängerin dar.

Der Film kommt beim Publikum ganz gut an, obwohl er durchwegs nicht sehr freundlich besprochen wird; es handle sich um ein „unrundes“ Biopic, das sich zu sehr auf Liebesleben und Skandale im kurzen Leben der Künstlerin konzentriert, befand etwa die Filmkritikerin Susanne Gottlieb in der Kleinen Zeitung. Winehouse starb 2011 und ist seit damals eingemeindet in den „Klub 27“ jener Künstlerinnen und Künstler, die alle im selben Alter Drogen oder Depression erlagen: Janis Joplin, Jim Morrison, Jimi Hendrix, Jean Michel Basquiat, Kurt Cobain. Immer wieder werden ihre Geschichten neu erzählt, ihr früher Tod ist ein Unsterblichkeitsgarant geworden. Ironie des Schicksals? Wäre das Schicksal zur Ironie imstande, wäre sein Humor ganz schön kalt.

„Trauma Entertainment“ nennen manche die Biografien, die das Leben von Künstlerpersönlichkeiten ausbeuten, ohne neue Einsichten über sie zu offerieren. So gesehen fungieren Filme über Pop-Ikonen oft als bloße Starvehikel für die Darstellenden, als Melodramen, Hagiografien, Umsatztreiber der Musikindustrie. In fast allen geht es um Schein und Sein, um die Tribute des Erfolgs im Showbiz. Amy Winehouses unglückliche Familien und Liebesbeziehungen, ihre Süchte waren nie ein Geheimnis, dank der rücksichtslosen Berichterstattung britischer Boulevardmedien, aber auch, weil sie sie in ihren Songs offenlegte. Das wurde damals zum Teil als Pose einer Erfolgsmusikerin missverstanden, die mit ihrem Retrosoul den Soundtrack des frühen 21. Jahrhunderts prägte.

Gealtert sind die Songs seither nicht, diese Einsicht immerhin bringt „Back to Black“. Und bei manchen vielleicht die Vermutung, dass ein Dreiminutensong manchmal Komplexeres erzählt als ein unrundes Zweistunden-Biopic.

BILD DER WOCHE 14 | 2024

Kein Sommer wie damals

Foto: KLZ/Markus Traussnig

Foto: KLZ/Markus Traussnig

Von Martin Gasser

Leute, die in die Karibik oder sonst eine wärmere Weltgegend gezogen sind, erzählen gelegentlich davon, was ihnen am meisten an der Heimat abgeht. Eigentümlicherweise sind es nicht unbedingt Schwarzbrot und Kalbsschnitzel, sondern die Jahreszeiten. Der Ablauf aus Frühling, Sommer, Herbst und Winter hat sich so eingeprägt, dass man das ewige Schönwetter als Mangel empfindet. Ein Jahreslauf, dem die Würze fehlt, ja, der eigentlich überhaupt keiner ist.

Es war ein Sommertag in Österreich und die Menschen genossen ihn sichtlich, wie etwa die Tanztruppe aus München, die in der Ostbucht des Wörthersees spontan und fotowürdig herumturnte. Nun ist das mit dem Sommer Anfang April halt so eine Sache. Er scheint nicht ganz natürlich. Und schon regt sich das Gefühl, dass die Freude an 29 Grad gleichsam einen Trauerrand hat. Soll man sich überhaupt darüber freuen, dass die Natur, wie mittlerweile so oft, wieder einmal ein bisschen verrückt spielt? Dann würde dieses Foto nicht Lebensfreude, sondern Überheblichkeit symbolisieren.

Genauer betrachtet ist das natürlich eine ungut moralisierende Milchmädchenrechnung, die davon ausgeht, dass der Mensch dermaßen beschränkt ist, dass er nicht außerhalb eines Entweder-oder zu denken vermag. Wer sich am Hier und Jetzt freut, an einem schönen Tag, an Sonne, Licht und Luft, vergisst dabei ja nicht automatisch die Gefahren des Klimawandels. Man kann das Geschenk eines verfrühten Sommertags dankbar annehmen, ohne sich zu wünschen, dass Sommertage Anfang April zur Gewohnheit werden. Wer sich an 29 Grad freut, rennt ja auch nicht in die Garage, um den Motor anzuwerfen und sein Scherflein zur Erderwärmung beizutragen.

Schwarz und Weiß, Gut und Böse hängen etwas komplizierter zusammen, als Moralapostel gerne hätten. Die Philosophie nennt dieses verknüpfte Denken Dialektik. Vielleicht spendet ja gerade dieser Tag so viel Freude sowie die Erkenntnis, dass die Schönheit der Welt dringend einer Rettung bedarf. Das geht sich alles aus, so intelligent ist der Mensch schon noch.

BILD DER WOCHE 11 | 2024

Das fragile Leben feiern

Foto: Imago Images/NurPhoto

Foto: Imago Images/NurPhoto

Von Bernd Melichar

Nein, es ist kein Irrtum, dass auf diesem Foto Menschenmassen in Mexiko-City die Fahnen Irlands durch die Straßen tragen und ausgelassen den St. Patrick’s Day feiern. Die Verbundenheit der Mexikaner mit den Iren geht auf den Mexikanisch-Amerikanischen Krieg (1846–1848) zurück, als die San Patricios, eine Gruppe von hauptsächlich Iren oder irischstämmigen Amerikanern, auf der Seite Mexikos gekämpft haben. Benannt war diese Einheit natürlich nach dem irischen Nationalheiligen Patrick, dessen Todestag am 17. März mittlerweile fast weltweit ausgiebig begossen wird. Gesichertes Wissen über den Heiligen Patrick gibt es indessen kaum. Er war wohl im 5. Jahrhundert als Missionar in Irland tätig und hat das Land zum Katholizismus bekehrt. Dass er die Grüne Insel auch von der Schlangenplage befreit hat, muss eher symbolisch gemeint sein, denn es gab dort nie eine derartige Plage. Und was die Iren nur ungern hören: Patrick war kein Ire, sondern Sohn römischer Eltern, und lebte im heutigen Großbritannien. Er hieß ursprünglich auch nicht Patrick, sondern Maewyn Succat.

Auch das Nationalsymbol Irlands geht angeblich auf St. Patrick zurück. Anhand des Shamrocks, also des Kleeblatts, soll er den einfachen Menschen die komplizierte Heilige Dreifaltigkeit erklärt haben: ein Blatt für Gott, das zweite für Jesus, das dritte für den Heiligen Geist.
Die erste Parade zum St. Patrick’s Day fand übrigens nicht in Irland selbst statt, sondern 1737 in Boston; veranstaltet wurde sie von irischen Soldaten, die für das englische Militär in der „Neuen Welt“ stationiert waren.

Womit wir schon wieder auf Kriegsgebiet wären und bei der Frage, ob man angesichts der aktuellen Weltlage überhaupt noch heiter sein darf? Natürlich kann man sich jetzt grün und blau darüber ärgern, dass der St. Patrick’s Day nur noch Anlass für kollektive Besäufnisse ist. Man kann das Sudern aber auch sein lassen und so wie die fröhliche irisch-mexikanische Elfe auf dem Foto das Dasein feiern. Denn je fragiler das Leben ist, desto fester sollten wir es halten.

BILD DER WOCHE 10 | 2024

Wie die Zeit verfliegt

Foto: Imago Images/WEREK

Foto: Imago Images/WEREK

Von Egyd Gstättner

Im Jahr 1976, als die Olympischen Winterspiele zum letzten Mal in Österreich, in Innsbruck stattfanden – und die Schülerinnen und Schüler des Landes extra eine ganze Woche freibekamen, um im Farbfernsehen Olympia zu schauen –, waren zwei große Österreicher aus dem kleinen Kärnten in aller Munde: Der Skispringer Karl Schnabl aus Achomitz, dieser Tage 70 geworden, der damals bereits auf der Normalschanze Bronze geholt hatte, „überflügelte“ auf der Großschanze seinen Landsmann Toni Innauer und gewann olympisches Gold! Karl Schnabl gefiel es in Innsbruck so gut, dass er gleich dort blieb, Medizin studierte, seinen Doktor machte und Sportmediziner wurde – die vielleicht noch eindrucksvollere Leistung! Von 1994 bis 2019 leitete Schnabl das Sportmedizinische Institut des Landes Kärnten – also auch die ganze Ära Haider lang, was, wie ich mich erinnere, nicht ganz einfach und konfliktfrei war. Aber er hat wieder gewonnen, als Ausdauersportler und Ausdauersportarzt. (In dieser Zeit hat mich Schnabl öfters beim Joggen am Klagenfurter Lendkanal joggend überholt – aber ich habe ihn auch von hinten sofort erkannt).

Also von Jogger zu Jogger: Alles Gute zum Siebziger! Der zweite große Kärntenösterreicher war der Abfahrtsolympiasieger Franz Klammer (wenn auch ohne Bronzemedaille im Slalom). Durch die Jahrzehnte ist freilich hauptsächlich er mit öffentlichem Ruhm und Ehre überschüttet worden: Kaiser sticht Doktor. Auch zu seinem Siebziger vor drei Monaten habe ich eine satirische Hommage geschrieben, bei der ich am Ende aber auch den zweiten Olympiasieger beim Namen nannte.

Der junge Redakteur der Sportzeitschrift, der den Text redigierte und 1976 wohl noch gar nicht auf der Welt war, fragte, den Rotstift in der Hand: „Sie meinen sicher Karl Schranz.“ – „Um Himmels willen, nein! Lernen Sie Geschichte, Herr Reporter! Ich meine, was ich schreibe: Karl Schnabl!“

BILD DER WOCHE 9 | 2024

Aussicht auf Frühling und frischen Mut

Foto: Imago Images

Foto: Imago Images

Von Thomas Golser

Dieser Winter war einmal mehr zu warm – an der Sehnsucht auf ein Frühlingserwachen mit Licht, Farbe und Zuversicht wird das nichts ändern. Im schönen Rosental in Kärnten in der Region um den Kleinen und Großen Frauenkogel (und mit Blick auf den Kahlkogel) zeigen sich längst Krokusse. Sie bilden im Herzen der Karawanken in zurückhaltender Zierde ab, was Johann Wolf-gang von Goethe so treffend dichtete: „Die Natur allein ist unendlich reich, und sie allein bildet den großen Künstler.“

Als Geophyten bzw. Erdpflanzen sind Krokusse (wie auch Schneeglöckchen) Meister darin, sich ihre begrenzten Energiereserven in der dunklen Jahreszeit unter der Oberfläche zu bewahren. Nun gehen sie damit wieder an die Öffentlichkeit – zum Aus-der-Haut-Fahren schön, wenn all die Blumenpracht endlich wieder ganz zurückkehrt. Die Flora, die im Winter ihre Kraft schützend in Stämmen und Wurzeln behielt, erwacht auf ein Neues. Der Überschwang an Farben, der sich in den nächsten Wochen, den ewigen Gesetzen der Pflanzenwelt folgend, einstellen wird, kann nicht alle Sorgen des sogenannten modernen Lebens überdecken, aber neuen Schwung geben.

Physiologisch betrachtet: In der Dunkelheit der langen Wintermonate wird das Schlafhormon Melatonin reichlich ausgeschüttet – nun deutet uns die Zirbeldrüse als Art biologische Uhr, dass der Lenz wieder einkehrt. Frühling, vorgestern begann er ja schon aus meteorologischer Sicht, ist aber noch mehr: Gerade in einer Zeit, in der so viele Sicherheiten wegzubrechen scheinen, gibt die wunderbare Routine der Natur Trost und Rat. In Schwung zu kommen, Sonne in Strahlen zu inhalieren und die Umwelt zu erleben, ist das Gebot der Frühlingsstunde: den Blick bei einem Spaziergang oder im eigenen Garten bewusst auf alles um einen herum Erwachende, Aufblühende, in sich Schlüssige ausgerichtet – und nicht etwa auf ein gleißendes Smartphone-Displays als allgegenwärtiges Realitäts-Placebo.

Großer Zauber im Kleinen, darum geht es gerade jetzt: „Schau tief in die Natur, und dann wirst du alles besser verstehen“, ist ein haltbarer Rat eines gewissen Albert Einstein. Artverwandt schrieb Thomas Hobbes: „Das erste und grundlegende Gesetz der Natur ist, Frieden zu suchen und ihm zu folgen.“ So gesehen sind auch Kärntner Krokusse fabelhafte Lehrmeister.

BILD DER WOCHE 8 | 2024

Die Königin der Bienen

Foto: AP/Andrew Harnik

Foto: AP/Andrew Harnik

Von Martin Gasser

Diese Woche rauschte sie wieder durch die Medien: „Queen B“, wie Beyoncé von ihrer Anhängerschaft nicht nur liebevoll, sondern auch mit respektvoller Bewunderung genannt wird – die Bienenkönigin. Ihre Fans nennen sich „Beyhive“ – „Bienenstock“. Diesmal gelang der Bienenkönigin Beyoncé als erster Afroamerikanerin der Sprung an die Spitze der Country-Charts. Mit dem Song „Texas Hold ’Em“ fügte die Künstlerin ihrem ohnehin stattlichen Werk (das mit „Survivor“ und „Single Ladies“ mindestens zwei ikonische Pophymnen umfasst) eine weitere Facette hinzu.

Dass schwarze Musikerinnen und Musiker Ansprüche an der weißesten Musik Amerikas, Country & Western, anmelden, ist nicht neu. Charley Pride hat die „Rassenschranke“ vor 60 Jahren niedergerissen und wurde als Schwarzer zum Top-Countrystar. Tina Turner nahm 1974 ein Country-Album auf, und der kreative Umgang mit Bestehendem gehört zu den wesentlichen Übungen afroamerikanischer Musikkultur. Ray Charles verwandelte 1962 Country-Klassiker in Soul. Das Album gilt heute als eines der besten aller Zeiten. Und die ironische Hommage an die Countrykultur des schwulen Lil Nas X schielte vor wenigen Jahren schon auf Platz 1.

Schwarze, die sich weiße Musik aneignen. Normalerweise ging es in die andere Richtung. Beim Blues, beim Jazz, beim R ’n’ B. Dabei ist Beyoncé Texanerin, der zweite Song, „16 Carriages“, scheint autobiografisch. Beyoncé ist ein Genie, das sonst über untreue Männer und die Sklaverei, über Feminismus und Afrika singt. Jetzt ist sie auch ein Country-Star. Sie eignet sich nichts an, sie saugt es auf, um Neues zu schaffen. Im Video zu „Apeshit“, einem Duett mit ihrem Ehemann Jay-Z (dem zweiten Genie in der Familie), stand das Paar 2018 im leeren Louvre in Paris – eine Machtdemonstration.

Aber auch ein Versuch, die Spuren afrikanischer Menschen in den Gemälden sichtbar zu machen und den Blick auf Kunstgeschichte und Kultur zu erweitern. Am Ende schaut Beyoncé der „Mona Lisa“ ins Auge. Gleich und gleich gesellt sich gern.

BILD DER WOCHE 6 | 2024

Die Bettstatt des Bedrohten

Foto: Wildlife Photographer of the Year/Nima Sarikhani

Foto: Wildlife Photographer of the Year/Nima Sarikhani

Von Thomas Golser

Ein trügerisches Sinnbild für naturgegebene Idylle, die es auf diesem Planeten offensichtlich nicht mehr gibt: Im Rahmen des stets beeindruckenden Wettbewerbs „Wildlife Photographer of the Year“ des Natural History Museums in London gewann der britische Fotograf Nima Sarikhani mit dieser Aufnahme den Publikumspreis 2024. Ihm gelang vor der zu Norwegen gehörenden Inselgruppe Spitzbergen dieses friedliche, anmutige, beinahe zärtliche Foto eines mächtigen Eisbären.

Das Tier grub sich mit seinen mächtigen Tatzen eine Bettstatt auf einer Eisscholle – und legte sich völlig erschöpft zur Ruhe. Das Bild ist – wie so oft bei Tierfotos – ein Glückstreffer: Das Expeditionsschiff „Nima“ hatte drei Tage lang bei dichtem Nebel erfolglos nach Eisbären Ausschau gehalten. Nach einem Kurswechsel steuerte man auf ein Gebiet mit mehr Meereis zu. Plötzlich tauchten ein jüngerer und ein älterer männlicher Eisbär auf. Das junge Männchen kletterte um Mitternacht auf die paar Quadratmeter Meereis.

Der Eisbär ist nach dem Kodiakbären das zweitgrößte lebende Landraubtier der Welt – männliche Exemplare werden bei einer Kopf-Rumpf-Länge von 250 cm bis zu 500 Kilogramm schwer. Zugleich ist er stark bedroht: Düstere Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 bereits ein Drittel der Tiere – vor allem in südlicheren Verbreitungsgebieten – ausgestorben sein werden; Opfer des Klimawandels und eines stetig dahinschmelzenden Lebensraums. Welch Verlust ein Verschwinden wäre: Eine umfassende Erbgut-Analyse belegte bereits vor Jahren, dass es diese Art schon seit 600.000 Jahren gibt.

Der Fotograf sieht sein Siegerbild wohl eher als einen dringenden Appell: „Eisbären sind unglaublich anpassungsfähig, in manchen Gegenden nimmt ihre Zahl sogar zu. Es ist also noch nicht zu spät, das Schlamassel zu beheben, das wir angerichtet haben“, so Sarikhani.

Unweigerlich fällt einem da der Neue-deutsche-Welle-Klassiker „Eisbär“ ein: „Ich möchte ein Eisbär sein im kalten Polar. Dann müsste ich nicht mehr schrei’n. Alles wär’ so klar. Eisbären müssen nie weinen“, sangen Grauzone. Wer weiß.

BILD DER WOCHE 5 | 2024

Pomp für den Präsidenten

Foto: Getty/AFP/Ludovic Marin

Foto: Getty/AFP/Ludovic Marin

Von Ute Baumhackl

Da glaubt man immer, Skandinaviens Royals seien so leger: kaufen im Supermarkt ein, fahren mit dem Fahrrad in den Werktagspalast, und als Hobby geben sie statt Wachteln schießen o. ä. gern „Wandern“ oder „Langlaufen“ an. Aber sie können schon auch anders, wie dieser Blick in das königliche Schloss von Stockholm zeigt. Da wurde, als diese Woche Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Staatsbesuch weilte, sichtlich das bessere Silber aus dem Schrank geräumt.

Dafür gibt es natürlich gute Gründe, bekanntlich will Schweden der Nato beitreten, da ist man nett zu Gästen, die das Vorhaben unterstützen. Macron selbst ließ sich aber auch nicht lumpen, besichtigte mit König Carl XVI. Gustaf und Premier Ulf Kristersson Wirtschafts- und Bildungseinrichtungen und sang an der Universität von Lund gemeinsam mit Studierenden gut gelaunt Joe Dassins unsterbliche Hymne auf die „Champs Élysées“. Politik wurde natürlich auch gemacht, in Reden forderte Macron Deregulation und smartere Strategien für Energiewirtschaft und Industrie und überhaupt: mehr Zusammenhalt in Europa.

Schweden bedankte sich mit dem hier abgebildeten kleinen Abendessen in der Galerie Karls XI. Der Raum, der in kalten Wintern auch als Indoor-Trainingsbahn für die tapferen schwedischen 100-Meter-Sprinter genutzt werden könnte (aber nicht wird), liegt übrigens im (ja, auch sowas gibt’s) Bankettgeschoss des Königsschlosses, das zu den spektakulärsten Barockbauten Skandinaviens zählt und auf elf Etagen über gut 600 Zimmer verfügt.

Dass König & Hofstaat das Land pro Jahr gut 25 Millionen Euro kosten, ist übrigens seit Jahren ein Streitpunkt zwischen Monarchisten (+50 %) und Republikanern; vielleicht trug Kronprinzessin Victoria zum Macron-Diner ja deshalb ein preisgünstiges Ballkleid von H&M.

Ob dort auch ihre nicht minder bescheidene Lieblingsspeise Kohlpudding serviert wurde, ist nicht überliefert. Eher nicht, das hätte Macron vielleicht zu sehr an die gerade gegen steigende Lebenshaltungskosten demonstrierenden Bauern daheim in Frankreich erinnert.

BILD DER WOCHE 4 | 2024

Der geheime Tango der Mangroven

Foto: Travel Photographer of the Year/Barbara Dall'Angelo

Foto: Travel Photographer of the Year/Barbara Dall'Angelo

Von Thomas Golser

Wer eine Reise tut, der kann etwas erzählen – und mitunter wundervolle Bilder mit nach Hause nehmen: Die Italienerin Barbara Dall’Angelo war auf der Insel Sumba in Indonesien unterwegs und hatte einen guten Blick für die lyrische Schönheit der Natur vor Ort: Im Rahmen des hochkarätigen Wettbewerbs „Travel Photographer of the Year“ (www.tpoty.com), der zum 21. Mal stattfand, brachte ihr dieses gemäldegleiche Reisefoto eine spezielle Nominierung ein.

Zu sehen sind Mangroven, die – anders als die allermeisten in riesigen Gruppen vorkommenden Exemplare – sehr isoliert gewachsen sind: Die Vertreter auf Sumba haben sich an schwierigste Bedingungen angepasst, das Wetter ließ sie erstaunliche Choreografien einnehmen. Auf eine gewisse Art scheinen diese Mangroven miteinander zu interagieren und der harschen Umgebung zum Trotz ein stilles Tänzchen zu wagen – so, als ob niemand zuschauen würde. Natur, stets gut für Wunder. Mangroven sind salztolerante, immergrüne Baum- und Straucharten an tropischen und subtropischen Küstenstrichen und Flussmündungen.

Eigentlich sind sie eine Pflanzengesellschaft, die weltweit rund 70 verschiedene Baum- und Straucharten umfasst – ein Wald zwischen Land und Meer. Dabei leisten sie als Hochspezialisierte wahrlich Erstaunliches: Mangrovenwälder bilden eines der ressourcen- und artenreichsten Ökosysteme der Erde und können – selbst extrem genügsam – drei- bis fünfmal so viel an CO₂ speichern wie ihre Verwandten an Land.

Noch, denn: Über ein Drittel der weltweiten Bestände wurden allein zwischen 1980 und 2000 zerstört. Mangrovenbestände laborieren am Homo sapiens: Sie werden gerodet, müssen für Aquakultur (Garnelenzucht), Landwirtschaft (Reis, Soja und Palmöl) und Infrastruktur weichen. Man betrachte den geheimen Tango eines wahren Überlebenskünstlers umso mehr mit Staunen.

BILD DER WOCHE 3 | 2024

Der Tanz des Lebens

Foto: Imago Images

Foto: Imago

Von Bernd Melichar

Entweder sind beide gute Schauspieler und das Lächeln ist den Kameras geschuldet oder das Glück, das dieses Paar ausstrahlt, ist tatsächlich echt. Aber ob inszeniert oder nicht, es währte nicht lange. Die Hochzeit zwischen Priscilla Beaulieu und Elvis Presley fand am 1. Mai 1967 im Hotel Aladdin statt, neun Monate später kam Tochter Lisa Marie auf die Welt, am 9. Oktober 1973 endete der Bund für die vermeintliche Ewigkeit, die Ehe wurde geschieden.

Vier Jahre später, am 16. August 1977, starb Elvis Presley in Graceland; jenem Anwesen in Memphis, auf dem ihm nicht die Gnade eines glücklichen Lebens gewährt wurde. Die ebenso ikonische wie tragische Story vom König des Rock ’n’ Roll und seiner blutjungen Frau, sie wurde schon unzählige Male erzählt, zuletzt im Film „Priscilla“, der die breitflächigen Schattenseiten und großflächigen Deformationen eines Mannes zeigt, der an Geld und Ruhm buchstäblich erstickt ist.

Dass der 92-jährige Richard Lugner Priscilla Presley als diesjährigen Ehrengast auf dem Wiener Opernball begrüßen kann, spricht für dessen solides finanzielles Fundament, denn mit dem Film dürfte auch der Gagenwert der 79-Jährigen gestiegen sein. Aber die Floskel, dass Geld allein nicht glücklich macht, trifft auf diese Familie – die nicht lange eine solche war – auf erschütternde Weise zu. Priscilla Presley war zwar als Schauspielerin („Dallas“, „Die nackte Kanone“) relativ erfolgreich, aber mehr als ihre darstellerischen Fähigkeiten wurden voll (meist männlicher) Anmaßung stets ihre diversen Schönheitsoperationen kommentiert.

Tochter Lisa Marie wiederum strauchelte von einer abstrusen Ehe in die nächste, von einer hochtoxischen Lebenskrise in die andere – und der Tod stand am Wegesrand. Ihr Sohn Benjamin wurde nur 27 Jahre alt, er verübte 2020 Suizid. Lisa Marie selbst verstarb am 12. Jänner 2023 im Alter von nur 54 Jahren. Und Priscilla Presley? Offenbar eine starke Frau, wenn auch mit Narben und Wunden. Der Tanz des Lebens hat ihr schon so viel abverlangt, dass sie auch den Opernball durchstehen wird.

BILD DER WOCHE 2 | 2024

König Frederik, bitte zum Dienst

Foto: Imago Images/Jonas Ekströmer

Foto: Imago/Jonas Ekströmer

Von Thomas Golser

Schluss mit der fidelen, 55-jährigen Kronprinzenrolle: Am 14. Jänner feiert Dänemark die Wachablöse im Königshaus. Langzeitmonarchin Margrethe II. dankt nach – auf den Tag genau – 52 Jahren ab und übergibt das Zepter an Frederik. Am frühen Nachmittag werden sich die Königin im Fast-Ruhestand und ihr Sohn in Kopenhagen mit der royalen Kutsche auf den Weg von Schloss Amalienborg nach Schloss Christiansborg (wer kriegt, der hat!) machen.

Bei einem Treffen mit der Regierung wird die Königin eine Erklärung zur Abdankung unterzeichnen – in diesem Augenblick ist der Thronwechsel offiziell vollzogen. Um 15.00 Uhr soll Frederik X., so heißt der neue Regent, auf den Balkon von Schloss Christiansborg treten. Es folgen Salutschüsse zu Ehren des Königs und seiner Königin Mary (51), die trotz anhaltender Fremdgehgerüchte um den Kronprinzen fest an seiner Seite scheint: Adel verpflichtet, der Spruch gilt. Die Marketingexpertin soll mit ihrem Gatten an dessen Redetalent feilen, sind doch markige Ansprachen nicht seine Stärke: Häufig verrennt er sich in verbale Endlosschleifen.

Die heute 83-jährige Regentin hielt die Monarchie, über deren Sinn man bei allen Königshäusern der Welt ganz vortrefflich diskutieren kann (und muss), sehr gut zusammen. Mehr noch: Sie war so modern wie nötig und so konservativ wie unvermeidlich, wurde für ihr Volk zu einer wahren Institution.

Frederik X. wird zu tun haben, um in die würdevollen mütterlichen Fußstapfen zu treten. Damit weiter nichts faul im Staate Dänemark ist, wird Margrethe II., übrigens eine engagierte Malerin, künftig eine repräsentative Rolle („Rigsforstander“) im Königshaus einnehmen. Zweckdienliche Ratschläge wird sie gewiss parat halten, einer davon könnte ein überliefertes Zitat sein: „Ich kann natürlich denken, was ich will, genau wie alle anderen auch. Ich muss einfach unterlassen, alles zu sagen, was ich denke.“ Ihre eigene Ära? „Man sollte nicht die eigene Gedenktafel schreiben. Ich hoffe aber, dass die Leute mich als jemanden in Erinnerung behalten, der sein Bestes gegeben hat – und der kein Anachronismus war.“

Regierungschefin Mette Frederiksen streute der Ehernen Rosen: „Wir werden Königin Margrethe II., die wir so sehr lieben, vermissen.“ Und ergänzte noch: „Ich bin mir sicher, dass der Kronprinz ein guter und starker König für Dänemark und das gesamte Königreich sein wird.“ Jetzt nur keinen Druck bitte. Charles schaffte es doch auch.

BILD DER WOCHE 1 | 2024

Komischer Kauz

Foto: Team fotokerschi.at/Werner Kerschbaummayr

Foto: Patrick Staar

Von Michael Tschida

Alle Vögel sind schon da? Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar? Wäre schön, aber: In Österreich ging die Vogelpopulation in den letzten 20 Jahren im Schnitt um rund 40 Prozent zurück, bei einzelnen der rund 360 heimischen Arten gar um bis zu 90 Prozent. Auf Initiative der Organisation Birdlife Österreich wird die größte Vogelzählung im Lande durchgeführt, wie online und in Teilen unserer Ausgabe schon berichtet.

Bei der 15. Aktion „Stunde der Wintervögel“ war jedermann eingeladen mitzumachen und eine Stunde lang Vögel zu zählen und zu identifizieren. Details auf birdlife.at.

Drei Jugendliche entdeckten schon am Mittwoch einen komischen Kauz. Sie hörten in einem Waldstück in Niederneukirchen (Bezirk Linz-Land) ungewöhnliche Geräusche aus einem verlassenen Bunker. In einem Luftschacht in vier Metern Tiefe steckte ein Waldkauz fest, den sie allerdings nicht befreien konnten. Also riefen sie die Feuerwehr zu Hilfe, die in einer dreistündigen Aktion vom Inneren des Bunkers ein Loch in den Luftschacht stemmte, durch den der abgemagerte Jungvogel befreit und der Tierrettung übergeben werden konnte.

Man sieht: Sogar mit einem Presslufthammer ist Tierschutz möglich, wenn man nur will. Und egal, welche geschätzte Zahl an Vögeln bei der Zählung am Wochenende herauskommt, es ist in jedem Fall ein Vogel mehr. Flieg, Käuzchen, flieg!