BILD DER WOCHE 38 | 2023
Eine Königin muss auch nicht alles können

Von Thomas Golser

Über die Tischtennis-Expertise von Charles III. ist nichts überliefert – womöglich aus gutem Grund. Offenbar lag es nahe, das Zepter den Schläger an Camilla abzugeben. Zur launigen Szene kam es im Rahmen von Charles’ erster Frankreich-Visite als britischer König. Man traf unter anderem lokale Jugendsportverbände in Saint-Denis bei Paris und ließ sich das dortige Angebot hautnah präsentieren.
Der britische Monarch wird auf dem Foto neben seiner Gattin von Brigitte Macron, der Frau von Staatschef Emmanuel Macron, flankiert. Camilla wollte es jedenfalls wissen – und forderte Frankreichs First Lady zum Match heraus. Das Problem: Die Co-Regentin traf den Ball vor ihrer Nase einfach nicht und stellte sich auch sonst mäßig behände an. Charles brach derweil in schallendes Gelächter aus, was hoffentlich kein innereheliches Nachspiel hatte. Erkenntnis: Auch eine Königin muss nicht alles beherrschen.
Ansonsten galt der Staatsbesuch als diplomatischer Erfolg, zwei historisch enge Nachbarländer setzen nach dem Brexit auf Beziehungspflege. Der späte König und der eigenwillige Präsident sprachen überdies geopolitische Brennpunkte an.
Charles – der weltweit einzige Monarch, der auch eine Art Biobauer ist – rief Frankreich zudem in einer Rede vor Frankreichs Senat zum gemeinsamen Einsatz gegen den Klimawandel auf: Seiner Anreise per Flugzeug und Macrons prunkvoll-spätfeudalem Staatsbankett im Schloss Versailles tat das freilich keinen Abbruch. Nun ja.
Für alle, die gerne einmal König wären, sei das Sprichwort "Die Gedanken eines Menschen sind sein Königreich" ein Trost.
BILD DER WOCHE 37 | 2023
Der Rausch
des Lebens

Von Bernd Melichar

Ach, fast weigern sich die Worte zu schlüpfen angesichts der prallen Schönheit dessen, was zu beschreiben ist. Was auch sagen zu diesem Foto, das nicht schon das Foto selbst zeigt? Alsdann: Der mächtige Sonnenball pinselt den Himmel in ein leuchtendes Orange und taucht die Weingärten der Südsteiermark in ein milchig-mildes Licht.
Das Idyll wurzelt freilich in einem Boden aus Mühsal und Sorge, aus Bangen und Hoffen. Die Lesezeit steht an. Aber bis zuletzt wissen die Weinbauern nicht, wie ertragreich die Ernte ist und wie edel der Tropfen, der aus den Trauben gewonnen wird. Sie sind dem Willen der Natur und deren Fährnissen ausgeliefert.
"Egal womit, ob durch Wein oder Poesie – berauscht müsst ihr sein!", postulierte einst der französische Dichter Arthur Rimbaud. Nüchtern betrachtet stünde die Berauschung auch uns, die wir gerne durchs Jammertal wandern, gut an. Aber der Rausch nicht als toxischer Eskapismus, sondern als ekstatische Weltzugewandtheit. Viel mehr müssten wir dieser Welt zugewandt sein, ihr herzhaft zugetan, lustvoll zugeneigt; nicht immer nur in dunkle Abgründe starren sollten wir, sondern in die lichten Höhen staunen. Ja, wir Menschen sind Mängelexemplare, aber es mangelt uns auch nicht an herzeigbaren Seiten. Nicht nur Hochmut und Zwietracht zeichnen uns aus, auch Edelmut und Eintracht. Berauscht von der buchstäblich einmaligen Schönheit der Welt sollten wir sein; trunken von der Gnade, auf dieser Welt weilen zu dürfen, torkelnd vor Glück, jeden Tag sehen zu können, wie die Sonne aufgeht. Auf all das darf man auch ruhig anstoßen und die Poesie des Lebens feiern.
BILD DER WOCHE 36 | 2023
Am Lagerfeuer mit den drei Buben

Von Bernd Melichar

Nein, wir rechnen jetzt nicht nach, wie alt die drei rotzfrechen Buben auf dem Foto zusammen sind, das wird allmählich fad – und spielt auch überhaupt keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass Ron Wood, Mick Jagger und Keith Richards, auch bekannt als Rolling Stones, in dieser Woche im Londoner Hackney Empire Theatre ein riesiges Remmi-demmi veranstaltet und der Welt verkündet haben, dass sie gedenken, am 20. Oktober ihr neues Album – das erste seit fast 20 Jahren – zu veröffentlichen. Und, noch erstaunlicher, die Welt hat gebannt zugehört und ist jetzt ganz aufgeregt, was es da bald zu hören gibt.
Na, was wohl? Typische Richards-Riffs, torkelnd und noch immer rattenscharf, und dazu die bellende, unkaputtbare Rockröhre von Jagger. Business as usual also – und das seit 61 Jahren! Dass die Platte – "Hackney Diamonds" heißt sie – ein großer Wurf wird, ist nicht zu erwarten. Aber auch das spielt im Grunde keine Rolle.
Was dann? Dass ausgerechnet eine Rockband zum Synonym für Beständigkeit, Durchhaltevermögen und Tradition wurde, ist ein Paradoxon. Denn diese Art von Musik – deren Idole reihenweise mit 27 Jahren verglüht sind – verkörpert eigentlich das genaue Gegenteil davon. Rockmusik steht ursprünglich für Revolution und Rebellion, für den schnellen Flächenbrand – und das noch schnellere Erlöschen der Flammen bzw. Interpreten. Aber Mick Jagger, Keith Richards und Ron Wood sind lässige, unpeinliche Überlebenskünstler. Und auch wenn die Glutnester nur noch gemütlich knistern, ist es schön, mit diesen Lausbuben am Lagerfeuer zu hocken.
BILD DER WOCHE 35 | 2023
Gut, in einer Schulklasse in Österreich zu sein

Von Thomas Golser

Nicht alle Schülerinnen und Schüler dürfte es in absehbarer Zeit (4. September Burgenland, Niederösterreich und Wien, 11. September Steiermark, Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg) freudig in ihr Klassenzimmer zurückziehen.
Ein Blick nach China hilft womöglich dabei, Österreichs Schulen noch besser schätzen zu lernen: Diese Luftaufnahme zeigt Erstklässler, die an einer Einführungszeremonie teilnehmen, um an einer Grundschule in der südwestlichen Provinz Guizhou etwas über traditionelle Kultur zu lernen. Auf jeden Schüler kommt offenbar eine Gangaufsicht, alle Reihen sind geordnet und geschlossen, wie es das System der Volksrepublik insgesamt ist. Leistungsdruck begleitet Chinas Schüler von Beginn an, mit einem Flaschenhals, durch den man es – vielleicht – an gute weiterführende Schulen und Universitäten schafft. Allgegenwärtig und einhergehend: Ideologisierung.
"Schulen sind Produktionsstätten der Menschlichkeit", befand indes – vor zugegeben langer Zeit – der Philosoph, Pädagoge und evangelische Theologe Johann Amos Comenius. Ist es zudem nicht schön, nach all der Zeit sommerlicher Muße wieder Freunde und Freundinnen in seiner Klasse wiederzusehen? Gibt die Schule nicht ein Quantum jener Beständigkeit, die der rastlosen Welt von heute zum Gutteil längst abhandenkam? Als Erwachsener ist der wohl beste Ansatz: Der nächste Tag sei der Schüler des vorigen.
PS: Wem der Sinn nach einem "Wimmelbild" steht: Ein Kind auf diesem Foto wird – aus unbekannten Gründen – von einer Aufpasserin mit dem Zeigefinger ermahnt. Finden Sie es?
BILD DER WOCHE 34 | 2023
Was wir beherzigen sollten

Von Bernd Melichar

Herzig, nicht wahr? Und der Hintergrund des Fotos ist wahrlich herzzerreißend: In Baden-Württemberg wurde dieses blühende Herz als Zeichen für herzkranke Kinder gesetzt. Auf einer Fläche von zehn Hektar blühen Millionen von Kornblumen, und mittendrin schlägt das Herz aus roten Mohnblüten. Die pralle Farbenpracht des Bildes erinnert noch einmal an einen Sommer, der meteorologisch schon am 1. September zu Ende geht. Und, Hand aufs Herz, es war ein Sommer, dem man nicht nachweinen mag, oder? Zu kalt, zu heiß, zu viel Regen, zu viel Sonne, zu viele verheerende Unwetter, zu viele Gelsen, zu wenig Grill-Stunden, zu wenig Aperol-Zeit, zu wenig – suchen Sie sich etwas aus. Jedenfalls: böser, böser Sommer!
Jetzt können wir nur noch darauf hoffen, dass wenigstens der Herbst so wird, wie wir uns das vorstellen. Mild und voll Melancholie und Maroni. Denn darauf kommt es schließlich an. Dass die Dinge – und da gehören die Jahreszeiten unbedingt dazu – so werden, wie wir uns das vorstellen. Und wenn sie nicht so sind, wie wir uns das vorstellen, dann sind wir verärgert, enttäuscht, gekränkt, wütend, verzweifelt – suchen Sie sich etwas aus.
Dass die Dinge möglicherweise nicht mehr so sind, wie wir uns das vorstellen, könnte vielleicht an uns selbst liegen. Daran, dass wir an den Dingen zu viel herumschrauben, herumtricksen, manipulieren, malträtieren, uns zu viel rausnehmen, zu wenig hineingeben – suchen Sie sich etwas aus.
Damit die Dinge vielleicht doch noch so werden, wie wir uns das gerne vorstellen, sollten wir vielleicht den Ratschlag des griechischen Philosophen Epiktet beherzigen: "Bedenke die Folgen." Schöne Sommertage noch.
BILD DER WOCHE 33 | 2023
In diesen Ästen steckt noch Hoffnung

Von Thomas Golser

Wird er es schaffen, kann er es wieder zur Blüte bringen, dürfen sich die Hawaiianer an ihm festhalten? Nach verheerenden Bränden auf Maui sind Teile der Insel kaum noch wiederzuerkennen – das gilt auch für diesen 150 Jahre alten Banyan-Baum.
Das Naturkunstwerk mit (einst) 2000 Quadratmetern Schattenfläche nahm in dem für mindestens 110 Menschen tödlichen Feuer schweren Schaden. Die Bengalische Feige steht im weitgehend zerstörten, zuvor jährlich von gut zwei Millionen Touristen besuchten Lahaina an der Nordwestküste von Maui. Ein Wahrzeichen als Schatten seiner selbst – doch die Chance, dass der fantastische Riese über die Runden kommt, lebt: "Ich sprach mit dem Baumpfleger, der sich um ihn kümmert, und bin optimistisch, dass er wieder blühen wird – als Symbol der Hoffnung inmitten von so viel Verwüstung", ließ jüngst Senatorin Mazie Hirono wissen. Auch Gouverneur Josh Green sagte, die angesengte Ikone mit 46 Hauptstämmen und 400 Metern Umfang "atme noch", nehme Wasser auf und produziere Saft – obgleich wegen seines verheerenden Allgemeinzustandes viel weniger als üblich. Natur als Überlebenskünstler in einer zunehmend bedrohlichen und bedrohten Welt: Im Zusammenhang mit den Bränden auf Hawaii betont Klimaforscherin Mariam Zachariah, dass man "man künftig häufiger mit Waldbränden rechnen müsse, auch in Regionen, in denen sie bislang nicht auftraten".
"Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt", sinnierte Khalil Gibran: Natur muss gefühlt werden – am Ende gilt das für jeden Baum, der zivilisatorischem Hunger weicht.
BILD DER WOCHE 32 | 2023
Die Zeit der Pop-Püppchen ist vorbei

Von Bernd Melichar

Auf wen zeigt sie? Auf uns? Auf sich selbst? Was könnte sie gerade sagen in diesem Moment? Vielleicht das: "Auch wenn ich voll Glitzer und Glamour vor euch stehe, die Zeit der biegsamen Pop-Püppchen ist vorbei!" Ja, das könnte Taylor Swift sagen. Und es würde stimmen, denn sie selbst hat viel dazu beigetragen, dass die Macht der Popmusik in Kombination mit der Selbstermächtigung der Interpretinnen zu einem Befreiungsschlag geführt hat. Denn, bei allem Wohlwollen: Die Musik allein und die kunterbunte Inszenierung davon sind keine ausreichende Erklärung für die enorme Breiten- und vor allem Tiefenwirksamkeit des Superstars. Der Swift-Pop ist sehr gut, sehr clever, aber nicht weltbewegend, die Welt der "Swifties" bewegt er freilich schon. Was die Menschen aber offensichtlich noch mehr berührt und im Idealfall auch motiviert, ist Swifts sanft-trotzige und zielstrebige Emanzipierung von den Männern und Mächtigen dieser Welt, was meist noch immer dasselbe ist; kurz, das Loslösen vom Pop-Patriarchat und seinen aggressiven Knebelstrukturen.
Aufgenommen wurde dieses Foto im "Soldier Field"-Stadion von Chicago, wo der Pop-Ikone unlängst 55.000 Fans zujubelten. Gleich für drei Konzerte – am 8., 9. und 10. August – kommt Swift im nächsten Jahr ins Wiener Happel Stadion, was nach Bekanntgabe sofort eine Vorverkaufshysterie ausgelöst hat. Aber jubeln dürfen die Fans bereits im heurigen Herbst, da veröffentlicht die 33-jährige Künstlerin die Neuaufnahme ihres Albums "1989". Nach einem Streit um die Musikrechte an ihren früheren Werken hat Swift bereits drei ihrer alten Alben neu aufgenommen – als "Taylor’s Version".
Es war ein weiter Weg, den Taylor Swift gehen musste – und er war gepflastert mit Vorurteilen und Anmaßungen. Vom süßen Country-Girl aus Nashville, das von großen Kleinstadt-Sehnsüchten sang und harsch von der rechten Szene vereinnahmt wurde, bis zur selbstbewussten Feministin und weitherzigen Fürsprecherin einer bunten Menschenvielfalt. Und was auch immer Swift heute tut: Es ist ihre eigene Version davon.