Meine Auszeit

Blitzlichter von den Sehnsuchtsorten
unserer Redaktion

MEINE AUSZEIT. Die Redakteure der Kleinen Zeitung begleiten Sie in diesem sommerlichen Format mit ihren subjektiven Zugängen, Erlebnissen und Gedanken zum Thema "Urlaub, Auszeit, Raus aus dem uns umgebenden Trübsinn" durch die Ferienzeit.

40.

Das Meer
als Magnet

Von Franz Pototschnig

Als Gebirgsbewohner hat mich das Meer schon früh magisch angezogen. Dazu mögen jene Schulfreunde beigetragen haben, die mit ihren Eltern in Lignano oder Caorle waren und die wunderbarsten Dinge erzählten. Es dauerte noch Jahre, bis ich selber die Adria zu sehen bekam, aber seitdem geht es zumindest einmal im Jahr ans Meer. Was daran so faszinierend ist? Die grenzenlose Weite, der durch keinen Berg gestörte Horizont, die Lichtstimmungen, die Wolken, der Wind, die Wellen. Das öffnet Brust und Herz, der Kopf wird frei, die gute Durchlüftung vertreibt die schweren Gedanken. Die wolkenlose Sommerhitze hat wenig Reiz, aber wenn die Herbststürme einsetzen, bieten lange Spaziergänge am Alten Hafen von Triest oder an der Lagune von Grado einen beruhigenden Kontrast zum Alltag. Sicherlich gibt’s zwischen Südpazifik und Polarmeer noch ganz andere Impressionen, aber ein paar Tage am Meer vor der Haustür sind auch schön.

39.

Mit dem Gast
unterwegs

Von Harald Hofer

„Hier kann die Seele zur Ruhe kommen“, sagte unser Besucher aus Dänemark, als vor wenigen Tagen sein Blick zum ersten Mal über die oststeirische Landschaft schweifte. Eine wundervolle Bestätigung für einen Einheimischen, der zwar im Sommer die eigene Terrasse mit dem Blick auf die Hügellandschaft als wohltuenden Rückzugsort nutzt, aber dennoch regelmäßig vom Fernweh geplagt wird.
Auch der Besuch des Schloßbergs und der Grazer Altstadt beeindruckte den Gast außerordentlich. Danach habe ich mir einiges vorgenommen. Zum Beispiel, künftig mit aufmerksamerem Blick durch die Landeshauptstadt zu gehen und manchmal auch den Blick auf die oberen Stockwerke der Fassaden zu richten. Denn der Besucher aus dem Norden, der staunend durch die Gassen ging, entdeckte dort so manches Kleinod. Dabei kam der Gedanke, die Grazer Altstadt am besten demnächst wieder mit Ortsfremden zu besuchen, weil sie die Aufmerksamkeit auf Dinge lenken, die ein Hiesiger übersieht.

38.

25 Grad und
Gänsehaut

Von Katrin Fischer

Bei mir war es Liebe auf den zweiten Blick. Denn optisch machen meine Kopfhörer nicht viel her. Ein klobiger Reifen über dem Kopf, die Lautsprecher ohraufliegend. Ein Modell der Sorte: Generalbevollmächtigte für oberwichtige Angelegenheiten auf der Kommandobrücke (Mondrakete darf starten!). Selbsterklärend, dass es zwischen dem „Mordsdrum“ und mir erst ein bisschen später gefunkt hat. Dafür aber volle Kanne! Auf dem Nachhauseweg war es um mich geschehen: lange Schatten, weiches Licht, goldene Stunde. Und in meinen Ohren: ein Privatkonzert von David Bowie. Unbeeindruckt vom Lärm der Stadt besingt er den Helden in uns selbst. Eine Funktion namens aktive Geräuschunterdrückung macht’s möglich. Das imposante Presslufthammer-Orchester in meiner Straße: einfach auf Pause gedrückt. Meine Auszeit und Realitätsflucht gleichermaßen. Denn: 25 Grad und trotzdem Gänsehaut. „Mordsdrum“ sei Dank, selbst neben Kran und Großbaustelle.

37.

Abenteuer Berg?

Von Bernd Hecke

Wir haben die raue, halb vergessene, einst so stolze Bergbaustadt und den rost-kantigen Koloss im Rücken. Vor uns ragen die Eisenerzer Alpen in den Himmel. Die Luft ist so klar, die Sonne blinzelt uns noch einmal ins Gesicht. Da oben, irgendwo zwischen den Felsen, kraxeln die Gämsen mit solch einer Grandezza – hach, wir überlassen ihnen die Gipfel besser. Unsere Band lässt unten im Tal „Pandoras kleine Schwester“ aus der Büchse. Die Wilde entfacht so einen Sturm, dass es uns von der Bühne bläst. Na und? Wir singen auch ohne! Wir tanzen drei Nächte und einen Tag mit Tausenden wildfremden Freunden nach magischen Geheimrezepten funkelnder DJs und dunkler Bands. Bei Wolken-, bei Sternenhimmel, bei Sprühregen und Feuerwerk. Unsere Herzen pochen laut durchs Tal: „Liebe, Liebe, Liebe!“ Bis unsere Bässe am Leopoldsteinersee konzentrische Kreise ziehen. Die Musik durchdringt uns ganz. Danke, Rostfest! Du bester Korrosionsschutz für völlig
frostfreie Herzen.

36.

Abtauchen in
Pemberley

Von Martina Marx

Es ist eine der berühmtesten Szenen der Seriengeschichte. Jene, in der Mr. Darcy alias Colin Firth erst in den See seines Anwesens Pemberley eintaucht, um kurze Zeit später mit durchnässtem, weißem Hemd wieder aufzutauchen. Zwar kommt die Szene der BBC-Serie aus dem Jahr 1995 in der Originalfassung von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ nicht vor, das hindert mich dennoch nicht daran, in eine fiktive Welt abzutauchen, wenn die reale übergeht vor Breaking News, Virusvarianten und To-do-Listen. Der Moment, in dem ich die Seiten meines sehr in Mitleidenschaft gezogenen Exemplares aufschlage, ist wie der Beginn eines Kurzurlaubes. Ruhe macht sich breit, wenn ich eintauche in den Kosmos von Lizzy Bennet, ihren Schwestern und Verehrern. „If one could but go to Brighton“, seufzt Lizzys Mutter Mrs Bennet an einer Stelle. Gar nicht notwendig, denke ich, mir reicht schon die Abreise in meinen Gedanken ins England der Regency-Ära.

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Sonntagstipp:
Streicheln auf
eigene Gefahr

Von Rainer Brinskelle

Für Erholung braucht es nicht viel: Das Ufer eines Gewässers, an dem man sich in der Sonne rekeln kann. Das zu tun lieben übrigens nicht nur wir Menschen, sondern auch jene beinlosen Geschöpfe, die es vermögen, manchem Zweibeiner beim bloßen Anblick eines Fotos einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen.
Dabei zählen Schlangen – obwohl sie kein Fell haben und auf Streichelversuche gern einmal bissig reagieren – zu den liebenswürdigsten und ästhetischsten Geschöpfen unserer Erde. Das finde zumindest ich.

Mit Glück entdeckt man eine Äskulapnatter. Foto: Brinskelle

Mit Glück entdeckt man eine Äskulapnatter. Foto: Brinskelle

Eines meiner liebsten Ausflugsziele ist deshalb die Mur mit den angrenzenden Auwäldern südlich von Graz. Wo andere grillen, mit dem Rad fahren oder ihre Hunde ausführen, da begebe ich mich auf die Spuren des viel zu früh verstorbenen „Crocodile Hunter“ Steve Irwin. Krokodile sind mir hier zwar noch keine untergekommen, aber Schling- und Äskulapnattern und sogar eine der seltensten Schlangen Österreichs: die Würfelnatter. Und tatsächlich: Am Ufer liegt – eingerollt halb im Wasser, halb am trockenen Ufer – eine relativ große Würfelnatter und genießt die wärmenden Sonnenstrahlen. Ihrem Anblick liegt ein Zauber inne. Solange man sie nicht berührt. Denn dann verströmt sie eine Duftwolke mit dem Odeur „vergorener Fisch“. Und der Duft haftet nicht nur besser, als jedes Parfüm aus dem Geschäft, sondern er birgt auch die Gefahr einer reellen Ohnmacht. Aber irgendwo stoßen auch Sehnsuchtsorte an ihre Grenzen.

35.

Es flattert
und summt

Von Sarah Ruckhofer

Sattgrüner Rasen, millimetergenau getrimmt, Kanten, wie mit dem Lineal gezogen und akkurat geschnittene Büsche – genauso sieht unser Garten nicht aus. Unser Paradies erstreckt sich auf mehr als 2000 Quadratmeter. Genug Platz also, um der Natur Raum zu geben. Natürlich wird auch unsere Wiese gemäht, wir freuen uns aber über Klee, Löwenzahn und Co. Ein paar Stellen lassen wir „verwildern“. Hier wachsen die buntesten Blumen, hier trifft man die schönsten Schmetterlinge. Es summt im Garten, auch die Streuobstwiese mit Sortenraritäten nimmt Form an. In einem Gartenmagazin werden wir damit nicht landen, aber für uns ist es schön, so wie es ist. Und über die Definition von „Unkraut“ gehört sowieso diskutiert. Seit es rundherum blüht, schauen auch unsere Mini-Kolibris regelmäßig vorbei. Das Flattern der kleinen Taubenschwänzchen ist einfach herzerwärmend, man könnte ihnen stundenlang zuschauen. Eine Auszeit direkt vor der Haustür – es gibt nichts Schöneres.

34.

Eis statt
Medizin

Von Maria Steinwender

Der Ort, an dem die Magie passiert, nennt sich „Laboratorio“ und ist mit kleinen Heiligen- und Papstbildchen tapeziert. Grell gefärbte Pasten mit Wasser und Zucker anrühren, um picksüßes „Gefrorenes“ zu produzieren, wird hier als Frevel betrachtet. Stattdessen findet man 17 Jahre Erfahrung und ein Rezeptbuch, welches selbst in der Familie nur als reduziertes Duplikat ausgehändigt wird. Mein Schwiegervater in spe betreibt einen kleinen, fantastischen Eissalon in der Nähe von Parma. Als ich ihn das erste Mal traf und er nach meiner Lieblingseissorte fragte, mühte ihm meine Antwort ein mitleidvolles Lächeln ab. „Du sollst Eis essen, keine Medizin“, sprach er, und entschwand in sein Laboratorium. Zurück kam er mit einer Sorte namens „Crema Pasticcera“ im Becher, den er mir wortlos überreichte. Seitdem teile ich meine Eis-Zeitrechnung in ein „davor“ und „danach“. Tut mir leid, Heidelbeer-Lavendel und Nobelbitter-Bergamotte – wenn ich Medizin brauche, gehe ich lieber in die Apotheke.

33.

Der Stoff des
Wiedersehens

Von Julia Schafferhofer

Schicke Boutique-Hotels, herzallerliebste
Familien-Pensionen, urige Berghütten oder Sommerfrische-Kästen mit Seezugang sind das eine, Einchecken bei Freundinnen und Freunden das andere. Die Couch der anderen ist meine liebste Auszeit auf Zeit. Sie ist der Stoff, aus dem die Wiedersehensfreude ist. In meiner Umgebung herrscht ein Kommen und Gehen, ein reger Schlüssel-Tausch. Egal, ob bürgerliches Salzburg, bezauberndes Bregenz, hippes Hamburg, mediterranes Graz, Anti-Bobo-Waldviertel oder ewiger Geheimtipp an der Adria: Man ist immer und spontan willkommen. Inklusive Familien- Haustier- und Seen-Anschluss sowie Zugang zu Kaffee, Kosmetik und Weinkeller. Danke A., D., G., K., L, J., P., U.! Auch für eigene Schlüssel sowie Bettzeug und die vergessenen gesammelten Hinterlassenschaften. Ich nehm’s nächstes Mal mit, versprochen! Das Schönste: Man kann sich immer wieder revanchieren. Ab sofort mit brandneuer Schlafcouch in Wien-Ottakring.

32.

Fußball(Fiebrige)
Auszeit

Von Katharina Siuka

Freudig schlüpfe ich in mein Christoph-Leitgeb-Trikot und lege mir meinen liebsten Fan-Schal um den Hals. Dann packt mich auch schon das Fußballfieber, die Hoffnung auf einen wahren Torreigen enthusiasmiert mich förmlich. Der Weg ins Stadion ist die Zeit zum Träumen von großen Erfolgen. Aber nur bis zum Anpfiff: Realitätscheck, 90 Minuten, ab jetzt – es wird gnadenlos. Mit Tausenden anderen will ich meinen Herzensverein zum Sieg schreien. Den potenziellen Höhenflügen entgegen. Aber Träumerei beiseite. Im Hier und Jetzt wird gezittert. Plötzlich ein Lattenschuss – das Herz setzt kurz aus. Dann ein beinhartes Foul, ein Spieler liegt auf dem Rasen, Tausende brüllen vor Zorn. Mein Blutdruck steigt, die Schweißdrüsen arbeiten unter Hochdruck. Und dann das ersehnte erste Tor. Mit einem Sieg geht die Auszeit am Fußballplatz zu Ende. Ob sie Körper und Geist gutgetan hat? Den Nerven wohl kaum – wunderschön war sie trotzdem wieder.

31.

Rollendes
Gästezimmer

Von Wilfried Rombold

Sommerwochenende bei lieben Freunden in der Oststeiermark: Den Wein bringen wir mit, unser Gästezimmer auch. Alles, was wir brauchen, ist ein ruhiger und halbwegs ebener Platz, mindestens sechs mal zwei Meter groß. Wandertag in der Südweststeiermark: den Abend gemütlich in der Buschenschank ausklingen lassen, eine Flasche kommt mit in den Kühlschrank. Oder wollen wir den Sauvignon blanc nicht gleich unterm Sternenhimmel auf dem weichen Campingsessel genießen? Seit der Kastenwagen bei uns im Carport steht, lassen wir jeden Hotelkasten gerne links liegen. Die wöchentliche Auszeit beginnt in der Sekunde, mit der der Dieselmotor des Campingvans anspringt und sich unser rollendes Gästezimmer aus Blech und Leichtholz in Richtung Meer, See, Berge oder Hügelland in Bewegung setzt. Auch die Hundedame rollt sich entspannt auf ihrer Decke hinter dem Fahrersitz ein, bis sich die Schiebetüre wieder öffnet und eine neue spannende Welt zum Entdecken freigibt.

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Sonntagstipp:
Zeitreise ins Haus
namens "Sanka"

Von Jakob Illek

Es ist ein großes Privileg, an einem solchen Ort wie den Ausläufern des Patscha einen Rückzugs-, ja einen Sehnsuchtsort zu haben. Meine Urgroßeltern kauften hier in Greith, einem Ortsteil der Gemeinde St. Kathrein am Offenegg, schon in den 50er-Jahren ein Haus. Von uns wird es liebevoll „Sanka“ genannt. Zahlreiche Wochen und noch viel mehr Wochenenden verbrachte ich hier – als Kind mit weniger, als Jugendlicher mit mehr Überzeugungsarbeit der Eltern. Heute schätze ich mich glücklich, wenn ich im Jahr ein, zwei Nächte finde, um in „Sanka“ den Kachelofen anzuheizen, um zu den vielen Erinnerungen zurückzukehren; auf den größten Ameisenhaufen der Steiermark, denn auf dem Weg zum Gipfel (1271 m) wuselt es am Patscha gefühlt überall.

Der Blick vom Schießhütterl ist magisch. Foto: Illek

Der Blick vom Schießhütterl ist magisch. Foto: Illek

Zu erleben gibt es vieles. Die „berühmte“ Patscha-Höhle, der Steinbruch, an dem wir uns bestimmt schon 100 Mal verewigt haben, oder die Patscha-Nase, wo man direkt vor dem Abgrund in die Weizklamm steht. Eier und Milch kommen vom benachbarten Bauern, vom Hansi – Kälber-Streicheln ist beim Besuch inklusive. Und für die Romantischen empfiehlt sich die „goldene Stunde“ kurz vor Sonnenuntergang am Schießhütterl. Der Blick auf Passail, die Sommeralm und die Rote Wand ist magisch. Und macht (sehn)süchtig. Das bestätigt auch die Mama. Für die ist „Sanka einfach ein Happy Place“.

30.

Meine
Energie-Tankstelle

Von Johanna Birnbaum

Die Flöten zwitschern ihre Oktaven, die Streichinstrumente lassen virtuoses Fingerspiel erahnen, das tiefe Blech leistet seinen Beitrag mit sonoren Tönen. Die Trompeten und Posaunen kümmert das nicht, sie ziehen ihr Einspielen durch, lassen sich auch nicht von so manchem quietschenden Klarinettenton irritieren. Einzig die Sängerinnen und Sänger sind noch nicht zu hören. Das Orchester stimmt sich ein – in der Oper, im Konzertsaal.
Dieses Eintauchen in die Musik und in die Welt des Musiktheaters, dieses Einlassen auf Interpretationen löst Glücksgefühle aus, die lange anhalten. Besonders genießen kann ich meine musikalische Auszeit seit vielen Jahren in der Oper in Graz, die mich immer wieder – auch mit Inszenierungen selten gespielter Opern – überrascht und begeistert.
Ich gönne mir meine persönliche Auszeit sooft es geht, weil sie eine Energiequelle für meinen Alltag ist. Morgen, Sonntag, wird „Madame Butterfly“ auf der Seebühne in Bregenz meine Energie-Tankstelle.

29.

Schönes
Scheitern

Von Anna Stockhammer

Durchgewirbelt, prustend, fluchend. Ich schlage mit der einen Hand ins Wasser, die andere liegt auf dem Brett, hält es fest. „Das gibt’s ja nicht!“ Das Salzwasser brennt in der Nase, der Frust ist groß, der Ehrgeiz größer. Jetzt erst recht. Welle um Welle schlägt über mir zusammen. Bis ich mich weit genug hinaus gekämpft habe. Wieder bäuchlings aufs Brett gehievt, volle Kraft voraus. In der Zone angekommen, in der ich mich lässig aufsetzen kann, ein Bein links, eins rechts, die Hände im Meer. Die nächste Chance, die – vergleichsweise kleine, aber für mich groß wirkende – Wassermasse rollt heran. Umgedreht und losgepaddelt ... wieder nichts. Wie soll man denn auch besser werden, wenn man nur alle paar Jahre üben kann? Und doch, es immer wieder zu versuchen, ist das allergrößte Glück. Komisch, dass mir beim Surfen selbst das Scheitern schön vorkommt. Ich werd’ immer wieder hierherkommen, weiß ich. Ich werd’
fallen, werd’ prusten und fluchen. Ich werd’s ewig weiterprobieren.

28.

"Minutenferien"
im Alltag

Von Robert Breitler

Es ist wohl das Gegenteil des Stendhal-Syndroms, das mich erfasst, wenn ich die Grazer Innenstadt besuche. Kein schneller gehender Puls, keine Panikattacken ob der Schönheit der historischen Gebäude, stattdessen innere Ruhe und Zufriedenheit. Jahrelang bedeutete ein Spaziergang durch die Altstadt für mich (als Stadtführer), dass mir Dutzende Touristen folgten und an meinen Lippen hingen. Doch jetzt genieße ich die Momente, in denen ich absolut nichts zu erledigen habe, keine Einkäufe, keine Termine – nur flanieren, wo andere hasten. Bewusst reduziere ich dabei meine Gehgeschwindigkeit und werde „umspült von der Eile der andern“, wie es der deutsche Literat Franz Hessel treffend ausdrückt. Leider finde ich nur selten die Gelegenheit und Zeit für diese unaufgeregten Altstadtbummel. Als kleiner Ersatz steige ich aber einfach früher aus Bus oder Bim aus, gehe ein paar Stationen zu Fuß – natürlich schön langsam – und genieße meine „Minutenferien“ im Alltag.

27.

All die Weite,
all die Stille

Von Thomas Golser

Auszeit bedeutet für mich, mich aus dem verlärmten, durchdigitalisierten Alltag zu nehmen: Weg von all der Geschwätzigkeit unserer desorientierten Zeit, die einem dabei nur wenig sagt. Auf Island, wo ich (außerhalb der Hauptsaison) ein paar Wochen verbringen durfte, gelang das entrückend gut. Das Überlaufventil „Golden Circle“ im Südwesten der vulkangeborenen Insel muss die meisten Touristen schlucken: Nichts wie weg von dort!
Wirklich einzutauchen bedeutet, der 1320 Kilometer langen Ringstraße folgend, die ganze Großartigkeit der Insel zu erfahren. Stehenbleiben, gehen, durchatmen. Dort im Nirgendwo des Nordatlantiks breitet sich weitläufige Grandezza aus – oszillierend zwischen Eis und Feuer, Himmel und Nordmeer. Über all diese Weite staunen, das Handy weglegen. Natur gibt den Gleichtakt vor, wenn man auf Hunderten Kilometern kaum eine Ortschaft zu sehen bekommt – und erkennt, was man doch schon ahnte: Mensch ist nicht das Wichtigste.

26.

Zartrosa
Verschnaufpause

Von Verena Schaupp

Und wieder flattert mir eines dieser Kuverts aus dem Briefkasten entgegen. Keine Nachzahlung, keine Erhöhung, sondern zartrosa Briefpapier: „Wir sagen Ja!“. Mitte 30 heißt mittendrin im Hochzeitsmarathon. Gleich fünf Mal wird diesen Sommer im Freundeskreis die Liebe zelebriert. Dreimal an einem Freitag, einmal im Ausland. Klingt intensiv? Ist es auch. Doch wenn ich dann ein elegantes Kleid anziehe und meinen Haaren ohne morgendliche Hektik mehr als ein schnelles Bürstprogramm gönnen kann, steht die Zeit still. Meine Vorfreude steigt: auf rührende Worte, strahlende Gesichter und schnulzige Lieder. Wenn selbst dem Großonkel in der letzten Kirchenreihe eine Träne über die Wangen kullert, bleiben die eigenen Augen kaum trocken. Kitschiger als Hochzeiten geht nicht. Aber genau dieser Kitsch lässt jeden Alltagsstress im Nu vergessen. Die erste Einladung fürs nächste Jahr liegt übrigens schon auf dem Küchentisch – Verschnaufpause, ich komme!

25.

Das kleine Glück

Von Martin Gasser

21056. 10283. 10265. So lauten die Zahlen zum kleinen Glück. Keine Lottozahlen, keine geheimen Codes oder Passwörter, sondern schnöde Artikelnummern. Wenn ich Abstand suche von den Sachen, die mich sonst beschäftigen, wird gebaut. Modelle aus Klemmbausteinen, bevorzugt jene eines Herstellers aus Dänemark. Stubenhocker? Von wegen, am Balkontisch, mit dem Blick auf die brütend heiße Stadt oder auf abendliche Lichter, mit einem kühlen Getränk, das bringt einen kilometerweit weg vom Alltag. Das Bauen ist so einfach, dass es nicht anstrengend ist, und so kompliziert, dass man daneben nichts anderes machen sollte. Dabei entstehen anmutige Dinge wie ein Taj Mahal, ein Ford Mustang oder ein Spaceshuttle. Der Vorteil: Die Instant-Auszeit mit den kleinen, bunten Bausteinchen funktioniert zu jeder Jahreszeit. Der Nachteil: Die fertigen Stücke sind Platzräuber und das Kellerabteil auch schon voll. In jedem kleinsten Glück wohnt wohl auch ein allerkleinstes Unglück.

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Sonntagstipp:
Wanderlust
in Etappen

Von Verena Schaupp

Meine Mama hilft meinem vierjährigen Ich in die Gatschhose, Papa schnürt inzwischen meine Wanderschuhe. Kurz darauf stehen meine Schwester und ich in den übergroßen Leiberln des älteren Cousins am Fuße des für uns gigantischen Berges. Zum Unteren Kaltenbachsee (1749 Meter) im Großsölktal wandert man eine gute halbe Stunde. Früher war die Aussicht auf ein Saftpackerl die größte Belohnung am „Gipfel“. Mit der Zeit wuchs die Faszination für die Kulisse rundum: blühender Enzian, weidende Kühe, saftiges Grün, spiegelklare Bergseen. Mittendrin liegt die Sölkpassstraße, die zum Startpunkt (1560 Meter) der Tour führt, dem Parkplatz neben der Kaltenbachalm (Empfehlung: der Steirerkrapfen!).

Blick runter vom ersten Aufstieg. Foto: Schaupp

Blick runter vom ersten Aufstieg. Foto: Schaupp

Die Wanderlust meines Teenager-Ichs nahm zu, als es immer höher hinauf ging. Zunächst zum Mittleren Kaltenbachsee (1912 Meter) in noch einmal einer halben Stunde. Der dann etwas felsigere Weg zum Oberen Kaltenbachsee (2066 Meter) wurde schon als Triumph gefeiert (eine gute Stunde Gehzeit). Das Erreichen des Gipfelkreuzes Deneck (2433 Meter), Teil der Schladminger Tauern, nach rund einer weiteren Stunde markierten meine Schwester und ich mit zahlreichen Gipfelstempeln auf Schuhen und Unterarmen. Heute trifft man mich mindestens einmal jährlich auf dieser Wanderung. Etwa zweieinhalb Stunden geht man übrigens bergab. Kürzlich schwärmte ein Kollege an dieser Stelle über das Kleinsölktal. In der Großsölk stößt man zwar genauso wenig auf Frau Rottenmeier, Heidi-Feeling kommt aber auch hier auf. Spätestens, wenn meine inzwischen ebenso erwachsene Schwester mutig in den kühlen Bergsee springt. Nur das Jodeln fehlt.

24.

Der Duft
des Südens

Von Nora Kanzler

Eine prägende Erinnerung an meine Kindheit ist die an den jährlichen Urlaub in Kroatien mit meinen Großeltern. Der felsige Weg zum Meer und rund um unsere Unterkunft war gesäumt von Rosmarinbüschen, die herrliche Aromen verströmten. Und dazwischen streckten Feigenbäume ihr duftendes Blätterdach über uns aus. Mein Großvater liebte den Rosmarin und sang stets beim Hinanschreiten schmetternd „Rosmarie, vergiss mich nie, ich komme wieder, Rosmarie“ – ein sehr
alter Schlager, der dem sonst strikt der klassischen Musik Zugewandten doch im Ohr geblieben war. So steigen also bis heute sentimentale Gefühle in mir auf, wenn ich Rosmarin rieche. Und auch der Duft von Feigenbäumen bringt mich ganz schnell gedanklich in südliche Gefilde. Daher gibt es auf meiner heimischen Terrasse immer ein Rosmarinstöckerl und einen Feigenbaum, die beide zwar nicht annähernd an die prächtigen Exemplare im Süden heranreichen, aber der Duft allein ist schon ein kleines Stückchen Paradies.

23.

Der schöne
Schmerz

Von Julian Melichar

Wir Kinder des Sommers (ich wurde im Juni geboren) sind ungefähr neun Monate lebensunfähig. Im Würgegriff des Winters klammern wir uns an Sonne und Vitamin D wie Krebse, die aus dem Wasser gezerrt wurden. Der Sommer ist bis heute die kurze jährliche Episode der gefühlten Unsterblichkeit.
Gut so, denn die schönen Momente dieser Jahreszeit haben immer mit Schmerzen zu tun. Opa meint nach der ersten (!) Ferienwoche: „Schön war der Sommer. Freust dich auf die Schule?“ Aua. Beim Eisschlecken friert das Hirn, barfuß am steinigen Strand in Premantura weiß man, wieso hässliche Badeschuhe an jeder Ecke verkauft werden. Das Salzwasser mag gesund sein, juckt aber noch schrecklicher als der Sonnenbrand, den man sich am Vortag gesichert hat. Was noch mehr schmerzt und gleichzeitig schön ist? Die kurze Sommerliebe. Das einander Versprechen, dass man sich wiedersieht, auch wenn bereits beide wissen, dass es anders kommen wird.

22.

Einfach dasitzen

Von Maria Schaunitzer

Unlängst gelesen: Ein junger Autor erzählt in einem deutschen Magazin von seinem Alltag. Morgens beim Duschen wird ein Podcast gehört, den ganzen Tag im Großraumbüro Stimmengewirr, am Abend ein Bier und ein launiges Gespräch mit den Freunden. Selbst beim Joggen hört er Musik, in den Öffis sowieso. Das Handy ist schließlich immer dabei,
die Welt niemals fern. Selbst zum Einschlafen wird noch Netflix gestreamt. Am Ende des
Tages fragt er sich, wann eigentlich Stille herrschte? Wann blieb die Zeit zu reflektieren und nachzudenken? Gar nicht, so sein selbstkritisches Fazit. Und meines? Überraschend ähnlich. Seither weniger Musik, weniger Handy und mehr Raum für Gedanken. Eine bewusste tägliche Auszeit – die auch Mühe kostet. Denn manchmal ist die Stille sehr laut. Nun halte ich es also gerne wie Astrid Lindgren: „Dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hinzustarren.“ Bisher ein lohnendes Experiment.

21.

Immer wie
im Urlaub

Von Daniela Winkler

Als Abkühlung für zwei Stunden nach der Arbeit, als Treffpunkt, um sich mit Freunden bei einem Glas Wein (oder Soda Zitrone) auszutauschen, oder als schön anzusehender Begleiter, wenn man entlang seines Wassers spazieren geht: Der Wörthersee ist – nicht nur im Sommer – genau das Fleckchen Erde, das ich nicht missen will und für das ich dankbar bin. Und ja, „Dort leben, wo andere Urlaub machen“ ist so eine vielverwendete Phrase, bei der sicher manch einer die Augen verdrehen könnte. Zu klischeehaft, zu abgedroschen scheint sie. Doch sie beschreibt auch genau das, was auf diesen See und meine Freude daran zutrifft. Ihn nämlich quasi vor der Haustür zu haben, mit dem Fahrrad und einem Buch sowie einer Decke im Gepäck in zehn Minuten dort zu sein, das ist ein Luxus, den ich immer mehr zu schätzen weiß. Und auch, wenn ich nur kurz hinfahre, um den Anblick zu genießen und zu entspannen: Es ist einfach immer ein bisschen Urlaubsgefühl.