ANALYSE

30 Jahre Klimapolitik:
Alles nur heiße Luft?

ANALYSE. Vor 30 Jahren legte die Welt mit der UN Klimarahmenkonvention den Grundstein für die internationale Klimapolitik. Doch die bisherige Bilanz fällt trotz vieler Bekenntnisse erschütternd mager aus.

Von Günter Pilch

Der Beschluss war getragen von einer allgemeinen Aufbruchstimmung. Am 9. Mai 1992 verabschiedete die UN-Vollversammlung in New York die Klimarahmenkonvention, im Monat darauf wurde das Dokument am „Erdgipfel“ von Rio de Janeiro feierlich von 154 Staaten unterzeichnet. Damit war fixiert, was bis heute gilt: Die Staaten treffen sich jährlich zu Klimakonferenzen und schließen Vereinbarungen, um jenes gemeinsame Ziel zu erreichen, das im Artikel 2 der Konvention festgehalten ist:

Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre soll auf einem Niveau stabilisiert werden, das eine gefährliche menschliche Beeinflussung des Klimasystems verhindert.

30 Jahre und 26 Weltklimakonferenzen später ist zu konstatieren: Das Ziel ist nicht erreicht, das Gegenteil ist eingetreten: Die Menge an Treibhausgasen in der Lufthülle des Planeten steigt nicht nur weiter, sie tut es auch immer schneller. Das zeigt ein Blick auf die berühmte Keeling-Kurve, die den Verlauf der globalen CO2-Konzentration über die langen Jahre abbildet - unterhalb können Sie sich durch diese Kurve scrollen!

Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird in Millionstel-Teilen (ppm) gemessen. Anfang der 1960er-Jahre lag dieser Wert bei unter 320. Das jährliche Auf und Ab im folgenden Diagramm ist jahreszeitlich bedingt.

1972: Der Club of Rome veröffentlicht seinen Bericht über die „Grenzen des Wachstums“.

1979: Erste „World Climate Conference“ der Weltwetter-Organisation WMO.

1985: Atmosphärenphysiker warnen in einer Studie vor starker Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten.

1988: Gründung des Weltklimarats IPCC, um die Politik über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel auf dem Laufenden zu halten.

1990: Erster IPCC-Weltklimabericht stellt fest: Menschliche Treibhausgas-Emissionen führten zur Erwärmung von bislang
0,6 Grad Celsius.

1992: Gründung der UN-Klimarahmenkonvention, um die „gefährliche menschliche Beeinflussung des Klimasystems“ zu bekämpfen.

1997: Beschluss des Kyoto-Protokolls: 37 Industriestaaten und die EU wollen bis 2012 ihre Emissionen um 5,2 Prozent unter den Wert von 1990 bringen.

2003: Dritter IPCC-Weltklimabericht: Die Erwärmung droht mehr Tempo aufzunehmen als jemals zuvor in den vergangenen 10.000 Jahren.

2006: Al Gore veröffentlicht den Klima-Dokumentarfilm "Eine unbequeme Wahrheit"

2015: Klimaabkommen von Paris: 195 Staaten stimmen zu, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen und möglichst unter 1,5 Grad zu halten.

2018: Greta Thunberg beginnt mit ihren Schulstreiks fürs Klima.

2021: Klimapakt von Glasgow: Fast 200 Staaten bekräftigen das 1,5-Grad-Ziel und beschließen Spielregeln für die Umsetzung des Pariser Abkommens.

2022: Sechster IPCC-Weltklimabericht stellt fest: Die Zeit, um das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen zu können, läuft in den nächsten Jahren ab.

Betrug der mittlere Anstieg in den 1960ern noch rund 1 ppm (Millionstelteil) pro Jahr, lag er in den 1980ern bereits bei 1,5 ppm, kam in den 2000ern bei 2 ppm an und liegt mittlerweile bei plus 2,5 ppm jährlich. Statt zu stagnieren, steigt die Kurve also mit zunehmendem Tempo. Eine dramatische Entwicklung, die bislang weder die Klimaabkommen von Kyoto oder Paris, die aufrüttelnden Berichte des Weltklimarats oder die Fridays-For-Future-Bewegung zu ändern vermochten.

War also alle Klimapolitik umsonst?

„Die Kurve zeigt eindrücklich, dass die sogenannten klimapolitischen ,Meilensteine‘ nichts bewirkt haben“, sagt Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Boku Wien. „Der einzige Effekt war, dass wir uns darüber hinwegtäuscht haben, dass wir das Problem nicht lösen.“

Die "sogenannten klimapolitischen 'Meilensteine'" hätten nichts bewirkt, meint Klimaforscher Reinhard Steurer. Foto: KK

Die "sogenannten klimapolitischen 'Meilensteine'" hätten nichts bewirkt, meint Klimaforscher Reinhard Steurer. Foto: KK

Dieses, so Steurer, werde nach wie vor nicht ausreichend ernst genommen. „Dazu kommen massive Interessens- und Machtkämpfe. Die fossile Branche will ihre Felle nicht aufgeben und betreibt das sehr erfolgreich.“

Leitartikel: Das Klima bedarf keines Schutzes, die menschlichen Gesellschaften schon

So war es über Jahrzehnte hin unmöglich, dass die fossilen Energieträger Öl, Kohle und Gas in den Abschlussdokumenten der UN-Klimakonferenzen auch nur erwähnt werden, geschweige denn, dass ein Ausstieg thematisiert worden wäre. Erst vergangenes Jahr beim Gipfel von Glasgow hat sich das geändert. Und auch die mittelfristigen Ziele der Staaten zur Treibhausgasreduktion hinken hinterher.

Selbst wenn sämtliche bisher getätigten Zusagen eingehalten werden, erwartet das UN-Umweltprogramm eine Erwärmung von 2,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts.

Doch bislang sieht es nicht einmal danach aus. Für das 2015 in Paris fixierte 1,5-Grad-Ziel sieht Steurer den Zug längst abgefahren. „Wer daran noch festhält, lügt sich in die eigene Tasche.“

Ein Urteil, das Renate Christ so nicht teilen will. Die Oberösterreicherin leitete lange Jahre das Sekretariat des Weltklimarats IPCC und war 1992 beim Beschluss der Klimarahmenkonvention Teil der österreichischen Delegation. „Es wäre fatal zu sagen, wir schaffen es eh nicht und aufzugeben. Jedes Bisschen Erwärmung zählt. Wenn es am Ende 1,7 Grad werden, ist das immer noch viel besser als 2,1 Grad mit fatalen Folgen.“

"Jedes Bisschen Erwärmung zählt", meint Klimaschutz-Expertin Renate Christ. Foto: Helmut Lunghammer

"Jedes Bisschen Erwärmung zählt", meint Klimaschutz-Expertin Renate Christ. Foto: Helmut Lunghammer

Auch ein Komplettversagen der bisherigen Klimapolitik ortet Christ nicht. „Was wäre passiert, wenn wir die internationale Debatte und die daraus entwickelten Instrumente des Klimaschutzes nicht hätten? Es gäbe keinen Zug in Richtung erneuerbarer Energie, keine Emissionsreduktion bei der Industrie.“ Tatsächlich hat sich die Wachstumsrate beim globalen Treibhausgasausstoß laut jüngstem IPCC-Bericht im vergangenen Jahrzehnt (2010 bis 2019) erstmals leicht abgeflacht. Und die Forscher haben auch berechnet, dass die weltweit steigende Zahl an Klimagesetzen und Regulierungsinstrumenten mittlerweile bewirkt, dass jährlich 5,9 Gigatonnen CO2 eingespart werden, was rund zehn Prozent der globalen Emissionen entspricht.

Ein Anzeichen dafür, dass die Welt nach Jahrzehnten endlich auf einen tatsächlichen Klimakurs einschwenkt? Christ formuliert es vorsichtig: „Es ist spürbar, dass sich etwas tut.“ Ob es für eine neuerliche Aufbruchstimmung wie vor 30 Jahren reicht, bleibt vorerst offen.

Fossile Investitionen heben ab

Allen Klimavereinbarungen zum Trotz gehen die Investitionen in fossile Großprojekte auf der ganzen Welt munter weiter. So hat etwa Chinas Kohleförderung im Vorjahr laut Regierungsangaben mit 4,07 Milliarden Tonnen einen neuen Rekord erreicht. Australiens Regierung genehmigte im heurigen April indes endgültig die Ausbeutung des riesigen Scarborough Gasfelds vor der Nordwestküste, das während seiner Lebensdauer 1,6 Milliarden Tonnen an CO2-Emissionen verursachen dürfte.

Eine Hypothek auf die Zukunft, die keine Ausnahme darstellt. So planen die größten Öl- und Gaskonzerne der Welt keineswegs, das fossile Geschäft zurückzufahren. Laut Recherchen des britischen Guardian verfolgen die Fossil-Riesen milliardenschwere Expansionspläne, allen voran Investitionen in 195 riesige Öl- und Gasprojekte. Jedes dieser Projekte verursacht über die gesamte Lebensdauer mehr als eine Gigatonne (eine Milliarde Tonnen) CO2, einige ein Vielfaches.

In Summe stehen die 195 Vorhaben laut Guardian für 646 Gigatonnen an künftigem Treibhausgasausstoß. Das ist deutlich mehr als jene rund 400 Gigatonnen CO2, die laut Weltklimarat überhaupt noch ausgestoßen werden dürfen, um eine 50-Prozent-Chance für das 1,5-Grad-Klimaziel zu wahren. Die Expansionspläne der Öl- und Gasmultis, deren größte drei (Quatar Energy, Gazprom und Saudi Aramco) übrigens in Staatsbesitz befinden, lassen die Klima-Uhr noch rascher ticken. Werden die Pläne wie geplant verwirklicht, dürfte es auch mit dem Ziel, die Erwärmung unter 2 Grad zu halten, kaum noch etwas werden.

20. Mai 2022, 6 Uhr.

Fotos: Unsplash/Marek Piwnicki (Titelbild), Adobe Stock (Grafik-Hintergrund), Unsplash/Keagan Henman (Maisfeld)

Grafiken: Günter Pichler, Jonas Pregartner

Daten für die Keeling-Kurve der CO2-Konzentration: Mauna Loa Observatory